Januar 2008 |
080101 |
ENERGIE-CHRONIK |
Ab 1. Januar bzw. 1. Februar 2008 erhöhen insgesamt 454 Grundversorger ihre Strompreise um durchschnittlich 7,7 Prozent. Dies teilte am 13. Januar der Branchendienstleister Verivox mit, der sich auf die Vermittlung von Stromlieferverträgen und Telekommunikationsleistungen spezialisiert hat. Besonders zahlreich seien die Erhöhungen in Bayern (144), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (75), Niedersachsen (47), Baden-Württemberg (44), Hessen (34), Rheinland-Pfalz (25), Thüringen (21), Sachsen (14), Sachsen-Anhalt (14), Mecklenburg-Vorpommern (11), Schleswig-Holstein (11), Brandenburg (9) und Saarland (5). Lediglich in Berlin, Bremen und Hamburg müßten die Verbraucher vorerst nicht mit höheren Strompreisen rechnen (siehe Tabelle).
Als Folge der ständig steigenden Strompreise und des inzwischen fast problemlos funktionierenden Wechsel-Prozedere wächst bei Haushalten und anderen Kleinverbrauchern die Bereitschaft, auch relativ geringe Preisvorteile zu nutzen und einen anderer Lieferanten zu wählen. "Wir konnten 2007 gegenüber dem Vorjahr eine Verdopplung der Zahl der Kunden beobachten, die ihren Stromanbieter gewechselt haben", sagte der Chef der Regulierungsbehörde, Matthias Kurth, der "Berliner Zeitung" (18.1.). Insgesamt hätten mehr als eine Million Kunden im vergangenen Jahr ihren angestammten Versorger verlassen. Allein in den letzten zwei Jahren sei auf dem deutschen Strommarkt "mehr passiert als in den 20 Jahren davor."
Ein Sprecher von Verivox nannte noch höhere Zahlen als die Bundesnetzagentur. Gegenüber dem "Mannheimer Morgen" (11.1.) schätzte er die Zahl der Verbraucher, die im vergangenen Jahr den Stromlieferanten wechselten, auf rund 1,5 Millionen. Verivox habe im vergangenen Jahr rund dreimal so vielen Haushalten einen neuen Anbieter vermittelt wie im Vorjahr. Allein im November seien über das Vergleichsportal im Internet mehr als 100.000 neue Verträge abgeschlossen worden – so viele wie nie zuvor.
Die meisten Wechselwilligen entscheiden sich allerdings nicht für unabhängige Anbieter, sondern landen bei den vier Konzernen, die sich inzwischen eigene Billganbieter zugelegt haben, die sie mit großem Reklameaufwand propagieren. So konnte der Energiekonzern E.ON mit seiner bundesweiten Discount-Vertriebstochter "E wie einfach" im letzten Jahr weitaus mehr Kunden neu gewinnen, als bei den etablierten Regionalgesellschaften verloren gingen. Gegenüber der "Berliner Zeitung" (12.1.) sagte Konzernchef Wulf Bernotat: "Bis Anfang Dezember haben unsere Regionalgesellschaften rund 220.000 Privatkunden bei Strom und Gas verloren. Bei E wie einfach aber haben wir 460.000 Kunden neu gewonnen. Das ist per saldo ein deutliches Plus." Wenn man den Anteil der Gas-Kunden berücksichtige, der bei "E wie einfach" ein knappes Drittel ausmache, verzeichne E.ON im Stromsektor einen Zuwachs von mehr als 100.000 Kunden.
Bei "E wie einfach" gibt es die Kilowattstunde Strom nur um einen Cent billiger als beim jeweiligen lokalen Versorger. Andere Anbieter sind wesentlich günstiger. E.ON dürfte seinen Marketing-Erfolg deshalb weniger einem nüchternen Vergleich als einer generell erhöhten Wechselbereitschaft zu verdanken haben, die durch die millionenteure Werbekampagne für "E wie einfach" wirksam angesprochen wurde.
Laut "Handelsblatt" (27.12.) gewinnt die deutsche Filiale des niederländischen Versorgers Nuon monatlich mehr als 10.000 Kunden neu hinzu. Nuon ist schon länger in Hamburg und Berlin aktiv (060109, 060708). Inzwischen bietet das Unternehmen "lekker Strom" auch in Nordrhein-Westfalen und Leipzig an. Der EnBW-Vertrieb Yello gibt ebenfalls an, die Zahl seiner Kunden im vergangenen Jahr um 160.000 auf über 1,3 Millionen erhöht zu haben. Insgesamt dürfte der bisher unumstrittene Marktführer durch die neue Konkurrenz aber kräftig an Marktanteilen verloren haben, was den ehedem erfolgreichen Yello-Werber Bernd Kreutz in seinem Internet-Blog "Reklamehimmel" zu bissigen Bemerkungen über das Marketing-Talent des abgehalfterten EnBW-Chefs Claassen und dessen noch immer im Amt befindlichen Vertrauten Detlef Schmidt veranlaßte.
Inzwischen hat auch der Vattenfall-Konzern, dem wegen seiner ungeschickten Preispolitik in Berlin und Hamburg 250.000 Kunden davongelaufen sind, ein bundesweites Stromangebot nach Art von "E wie Einfach", "Eprimo" und "Yello" gestartet. Bisher ist das Internet-Angebot "easy" aber nur im kleineren Teil des Bundesgebiets erhältlich. Außerdem überzeugt es preislich noch weniger als die drei anderen Angebote. Um den bröckelnden Kundenstamm zu halten, hat Vattenfall aus der Not, die Strompreise nicht nochmals erhöhen zu können, inzwischen eine Tugend gemacht und bietet in Hamburg eine zwölfmonatige Preisgarantie an. Zudem wurde mit öffentlichkeitswirksamer Begleitung durch die Medien eine Senkung der Strompreise verkündet, die der Senkung der Netzentgelte durch die Bundesnetzagentur (080108) entspreche. Tatsächlich handelt es sich aber nur um 0,03 bzw. 0,04 Cent pro Kilowattstunde, so daß sich praktisch nichts an der gut siebenprozentigen Erhöhung für die Hamburger Endkunden ändert, mit der Vattenfall zum 1. Juli 2007 als erster der vier Konzerne das Preiskarussell in Schwung brachte.