Mai 2007 |
070508 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Norddeutsche Affinerie (NA) verzichtet auf die Errichtung eines eigenen Kraftwerks und beteiligt sich stattdessen an einem neuen Steinkohlekraftwerk, das Vattenfall in Hamburg-Moorburg errichten will. Wie beide Unternehmen am 4. Mai mitteilten, unterzeichneten sie an diesem Tag eine entsprechende Vereinbarung. Demnach erhält NA eine "virtuelle Kraftwerksscheibe" von 114 MW an dem neuen Kraftwerk, das eine Leistung von 2 x 800 MW haben wird. Insgesamt werde NA ab 1. Januar 2010 für die Dauer von 30 Jahren eine Milliarde Kilowattstunden Strom pro Jahr von Vattenfall beziehen.
Zugleich stoppt NA die bereits weit gediehene Planung für ein eigenes 100-MW-Kraftwerk auf dem Firmengelände, das gemeinsam mit der Hamburger Stadtreinigung errichtet und betrieben werden sollte. Dieses Kraftwerk sollte Ende 2009 in Betrieb gehen. Noch am 29. März hatte NA verlauten lassen, daß das Projekt planmäßig vorangetrieben werde.
Die NA hatte früher ihren Strom sehr günstig von dem Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) bezogen. Nachdem HEW dem Vattenfall-Konzern eingegliedert worden war und dieser auch von den Großkunden erheblich höhere Preise verlangte, war sie Anfang 2004 zur belgischen Electrabel gewechselt (040516). Allerdings lag auch hier der Preis "nur hauchdünn" unter dem deutschen Niveau. Auf der Suche nach einem neuen preisgünstigen Lieferanten stellte der NA-Vorstandsvorsitzende Werner Marnette immer wieder fest, daß es keine wesentlichen Preisunterschiede bzw. keinen echten Wettbewerb auf dem Strommarkt gab. Er entwickelte sich deshalb zu einem scharfen Kritiker des herrschenden Oligopols und des mangelnden Wettbewerbs. Mit dem Wort vom "Strommarkt mit vier Besatzungszonen" (050603) brachte er die Chefs der vier Stromkonzerne derart in Rage, daß er im August 2005 den Vorsitz im Energieausschuß des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) niederlegen mußte (050801). Noch im November 2006 hatte er in einem Offenen Brief dem Vattenfall-Chef Lars G. Josefsson vorgehalten, daß der Börsenpreis von 57 Euro pro Megawattstunde in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Erzeugungskosten von 22 Euro pro Megawattstunde stehe (siehe Wortlaut).
Marnette verfolgte offenbar eine mehrgleisige Strategie, um die Stromkosten für sein Unternehmen wieder senken zu können. Schon 2004 erwog er, gemeinsam mit Electrabel ein eigenes Kraftwerk in Hamburg zu errichten. Im Oktober 2005 schloß die NA mit der Stadtreinigung Hamburg (SRH) einen Vorvertrag über den gemeinsamen Bau und Betrieb eines Kraftwerkes auf dem NA-Gelände, das mit Ersatzbrennstoff (EBS) aus aufbereitetem Müll betrieben werden sollte. Beide Seiten beteiligten sich jeweils zur Hälfte an einer entsprechenden Projektgesellschaft. Im November 2006 kündigte die NA die Entlassung von bis zu 400 Mitarbeitern an, wenn dem Strompreisanstieg nicht Einhalt geboten werde, da das EBS-Kraftwerk erst 2009 in Betrieb gehen und so die Arbeitsplätze sichern könne. Im selben Monat schloß sie mit der Energie Baden-Württemberg (EnBW) einen Stromliefervertrag für 2007, der den auslaufenden Vertrag mit Electrabel für den Standort Hamburg ersetzte. Im Februar 2007 folgte ein weiterer Stromliefervertrag mit Vattenfall für 2008 und 2009, der alle größeren Produktionsstätten in Hamburg und Nordrhein-Westfalen umfaßte. Damals hieß es noch, daß Vattenfall "die strommäßige Absicherung des geplanten EBS-Kraftwerks übernehmen" werde. Zehn Wochen später kam es zum Kraftwerks-Arrangement mit Vattenfall und zum Verzicht auf die eigene Stromerzeugung.