Mai 2007

070508

ENERGIE-CHRONIK


"Im Klartext: Die Strombörse EEX funktioniert nicht"

Offener Brief des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie (NA), Werner Marnette, an den Vattenfall-Vorstandsvorsitzenden Lars G. Josefsson


 

13. November 2006

per Fax: 0046 8 739 5004

OFFENER BRIEF

Herrn
Lars G. Josefsson
President & CEO
Vattenfall AB
Birger Jarlsgatan 33
16287 Stockholm
Schweden

 

Sehr geehrter Herr Josefsson,

man nimmt, was man bekommen kann. Dieses mittelalterliche Motto ist im Zeitalter des Umweltschutzes und der weltweiten Ressourcenschonung fehl am Platze. Umso mehr erstaunt es mich und die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik, dass Sie und Ihre drei deutschen Kollegen genau danach handeln.

Nachdem Sie Ihr ursprüngliches Überangebot an Kraftwerkskapazität in Deutschland gezielt beseitigt haben und jetzt angeblich in Deutschland Knappheit herrscht, kommt es zu gewaltigen Gewinnsprüngen zu Lasten der deutschen Stromkunden - im Übrigen verstärkt durch staatlich verursachte Kosten.

Zusätzliches Glück hat Ihnen und Ihren Kollegen die Politik verschafft. Sie durften die Ihnen kostenfrei zugeteilten CO2-Zertifikate strompreiserhöhend einbuchen. Dies verschafft Ihrer Branche sogenannte Windfall-Profits von jährlich weit über 5 Mrd. €.

Die Rolle der Strombörse EEX ist zu überprüfen

Deckmantel dessen ist die Strombörse EEX, deren beschränkte Funktionstüchtigkeit auch durch die Monopolkommission aufgegriffen und kritisiert worden ist.

Ein schlechtes Spiel, denn hierdurch gehen die von Ihnen geforderten Strompreise und Ihre tatsächlichen Erzeugungskosten immer weiter auseinander. Seit dem Jahre 2003 haben sich die Stromerzeugungskosten lediglich um 20 % erhöht, dagegen haben sich die Strompreise der Börse mehr als verdoppelt.

Sie und Ihre Kollegen behaupten stets, dass die Preisentwicklung an der Strombörse EEX durch das Kraftwerk mit der schlechtesten Kostenstruktur bestimmt wird.

Im deutschen Kraftwerkspark ist dies in der Grundlast ein auf Importkohlebasis arbeitendes Kohlekraftwerk. Würde Ihre und die Behauptung Ihrer Erzeugerkollegen stimmen, müsste sich der Strompreis an der Börse auf einem Niveau von ca. 35 € pro Megawattstunde einpendeln.

Selbst nach einer missbräuchlichen Einpreisung der kostenlos zugeteilten CO2-Zertifikate in Höhe von 5 bis 10 € pro Megawattstunde dürfte nach Ihrer Diktion ein marktgerechter Strompreis auf einem Preisniveau von ca. 40 bis 45 € pro Megawattstunde liegen.

Unmittelbar nach der Einpreisung der CO2-Zertifikate durch Sie und Ihre Kollegen machten diese einen erheblichen Anteil des Börsenpreises aus. In der Spitze wurden sogar durch diesen Effekt 27 € pro Megawattstunde erzielt; heute liegt dieser Wert bei 8 €. Der heutige Börsenpreis von 57 € pro Megawattstunde berücksichtigt diesen Rückgang jedoch in keiner Weise. Oder können Sie mir erklären, warum bei einem Anstieg der CO2-Zertifikatspreise der Strompreis in fast der gleichen Höhe hoch schnellt, bei einem Sinken dieser Zertifikatspreise der Strompreis an der EEX sich jedoch nur um einen Bruchteil nach unten bewegt?

Im Klartext: Die Strombörse EEX funktioniert nicht und der Preis wird durch alles andere als durch den Markt oder Wettbewerb bestimmt. Daher bieten Sie und die anderen deutschen Erzeuger der Norddeutschen Affinerie AG heute den Strom zu einem Einheitspreis von 57 € pro Megawattstunde an. Und dies bei einer Stromabnahmemenge von bis zu 650 Mio. kWh pro Jahr.

Es ist zynisch, dass Sie und Ihre Mitarbeiter der Norddeutschen Affinerie AG heute vorwerfen, sie hätte den richtigen Kaufzeitpunkt verpasst, da sie noch vor wenigen Monaten zu einem Niedrigstpreis von 47,50 € hätte abschließen können. Dies kann nur derjenige behaupten, der selbst Einfluss auf die Preiselastizität des Angebots nimmt und Kenntnis darüber hat, dass sich die deutschen Strompreise durch fehlenden Wettbewerb ständig nur nach oben bewegen. Auch der Vorwurf, die NA habe auf kurzfristige Beschaffung gesetzt, ist nicht haltbar. Richtig ist, dass die NA seit Jahren versucht, bei Ihnen und Ihren Kollegen einen fairen Strompreis auszuhandeln.

Im Falle des von Ihnen geführten Unternehmens Vattenfall (hoher Anteil abgeschriebener Kernkraftwerke, kostengünstige Braunkohle) stehen Erzeugungskosten von 22 € pro Megawattstunde aktuellen Börsenpreisen von 57 € gegenüber. Aus dieser Differenz und Ihrer Erzeugungsmenge von ca. 80 Mrd. kWh pro Jahr lassen sich sehr schnell die von Vattenfall realisierten Gewinne nachvollziehen. Hinzu kommen die Gewinne, die Sie aus den überhöhten Netzgebühren erzielen.

Die Situation bei Ihren drei Erzeugerkollegen in Deutschland ist sehr ähnlich.

Dies geht voll zu Lasten Ihrer Kunden, d. h. zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und der Industrie. Sie und Ihre Kollegen belasten hierdurch die deutsche Volkswirtschaft seit 2003 um jährlich mehr als 15 Mrd. €; dies kostet Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze in Deutschland. Noch viel schlimmer ist, dass hierdurch der deutschen Wirtschaft/Industrie Planungssicherheit und internationale Wettbewerbsfähigkeit genommen wird.

Bei der nach oben offensichtlich ungedeckelten Preiskurve ist eine Investitionsplanung im produzierenden Gewerbe praktisch nicht mehr möglich. Die Norddeutsche Affinerie AG muss daher ihr anspruchsvolles Investitionsprogramm der nächsten Jahre, insbesondere am Standort Hamburg, ernsthaft in Frage stellen.

Fehlgeleiteter politischer Ordnungsrahmen ist dringend zu korrigieren

Den Ordnungsrahmen für die Handlungsweise von Ihnen und Ihren deutschen Kollegen hat die Politik geschaffen. Ob es allerdings langfristig gut ist, wenn man seine Kunden nachhaltig vor den Kopf stößt und sogar deren Existenz gefährdet, ist die Frage der jeweiligen Strategie der Erzeuger. Eine individuelle Kundenbeziehung, wie wir sie noch zu Monopolzeiten in Hamburg kannten, hat für Vattenfall heute offenbar keinen Wert mehr, da man im Falle eines Kundenausfalls über die Strombörse jede beliebige Strommenge zu einem hohen Preis absetzen kann. Dies ist zumindest die Aussage Ihres Unternehmens.

Ich habe Sie am 28. Februar 2006 in Stockholm aufgesucht, um Ihnen meine Überlegungen für einen Energiepakt in Norddeutschland/Hamburg nahe zu bringen. Es war mein Versuch, Ihnen eine gemeinsame Strategie weg von der Konfrontation hin zu einer standortfördernden Kooperation zu empfehlen. Natürlich hatte ich hierbei auch die Interessen der Norddeutschen Affinerie AG im Auge.

Neben einer langfristig sicheren Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen für alle Menschen unserer norddeutschen Region, für Wirtschaft, Handwerk und Industrie waren wir uns einig darüber, dass die Kernenergie für Deutschland erhalten bleiben müsse. Zu diesem Grundverständnis gehörte auch, dass Sie als Erzeuger innerhalb dieses Energiepakts wirtschaftlich erfolgreich bleiben müssten, um Neuinvestitionen in Kraftwerke und Netze leisten zu können. Bei einem Funktionieren dieses Energiepakts hatte ich Ihnen sogar eine Beteiligung an dem von der NA geplanten Kraftwerk in Aussicht gestellt.

Zu meiner größten Überraschung aber kündigte Vattenfall Europe zum 1. Mai 2006 eine weitere Strompreiserhöhung in Hamburg um 6 % an, wovon Vattenfall dann 5,1 % gegenüber dem Senat durchzusetzen wusste. Diese Strompreiserhöhung widersprach voll dem Geist von Stockholm und war durch absolut nichts zu begründen, zumal Sie Ende April 2006 das höchste Quartalsergebnis in der Unternehmensgeschichte ausweisen konnten. Wie die Folgemonate belegten, hatten Sie offenbar entschieden, in Deutschland weiter den Gesetzen des Oligopols zu folgen.

Lieber Herr Josefsson, Energie ist kein beliebiges Massengut, sondern ist wesentlicher Baustein für eine funktionierende Volkswirtschaft. Daher kommt Ihnen auch als schwedischer Staatskonzern eine besondere Verantwortung für Ihr Versorgungsgebiet Ostdeutschland und Hamburg zu. In Deutschland ist nicht verborgen geblieben, dass der schwedische Industrieminister Sie gezwungen hat, erhebliche Preissenkungen für Ihre schwedischen Industriekunden vorzunehmen. Tun Sie dieses aber bitte nicht zu Lasten der Arbeitsplätze in Deutschland.

Dank der Initiative der Verbraucherverbände, zahlreicher industrieller Verbraucher und inzwischen auch verantwortungsbewusster Bundestagsabgeordneter in den Fraktionen der Union, der SPD, der FDP und der Grünen ist die Beweislast gegen Sie und Ihre Kollegen in den drei deutschen Stromkonzernen erdrückend.

Sie und Ihre Kollegen versuchen jetzt durch PR-Kampagnen, die Schuld für die dramatischen Preissteigerungen dem Staat zuzuschieben. Doch die Zahlenspiele sind leicht widerlegbar und die durch das Börsenspiel erzielten zweistelligen Renditen der Erzeugung nicht zu verheimlichen. Bitte ersparen Sie uns, auch hier Aufklärungsarbeit leisten zu müssen.

Gemeinsame Initiative der Erzeuger und Verbraucher notwendig

Lieber Herr Josefsson, die gravierenden Fehlentwicklungen auf dem deutschen Energiemarkt lassen sich nur durch konstruktive Zusammenarbeit zwischen Erzeugern und Verbrauchern beseitigen. Ich möchte Sie daher bitten:

1. Greifen Sie den Gedanken unseres Stockholmer Gespräches auf und verlassen Sie das marktbeherrschende Oligopol in Deutschland. Tragen Sie bitte mit dazu bei, dass beispielhaft für ganz Deutschland ein Energiepakt für die Metropolregion Hamburg zustande kommen kann. Denn nur gemeinsam werden wir essentielle Fragen der Energieversorgung, z. B. die längere Laufzeit der Kernkraftwerke, lösen können.

2. Schaffen Sie branchen- und kundenbezogene Strompreise, die international wettbewerbsfähig sind und auch Ihnen angemessene Renditen ermöglichen. Handeln Sie proaktiv und warten Sie nicht erst das Ergebnis nächster Gipfel der Kanzlerin Merkel ab.

3. Lassen Sie Erzeugerwettbewerb und den Bau von Eigenstromerzeugung in Industrieunternehmen und Handwerk zu. Überzeugen Sie Ihre Mitarbeiter in Hamburg und Berlin, dass sie aufhören, den Bau des Ersatzbrennstoffkraftwerks der NA zu hintertreiben. Auf dem deutschen Energiemarkt hat das Kraftwerk für unser Unternehmen existenzielle Bedeutung.

Lieber Herr Josefsson, bitte sehen Sie mir nach, dass ich mich heute mit einem offenen Brief an Sie wende. Die öffentliche Diskussion über die von uns in Erwägung gezogene Stilllegung unserer Sekundärhütte RWN, von der bis zu 400 Mitarbeiter betroffen sein könnten, lässt mir leider keine andere Wahl.

Sofern Sie dies wünschen, stehe ich Ihnen jederzeit gern zu einem weiteren persönlichen Gespräch zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Werner Marnette
Vorsitzender des Vorstands