Mai 2005

050501

ENERGIE-CHRONIK


Bundestagswahlkampf belastet auch Energiepolitik

Die Ankündigung vorgezogener Bundestagswahlen aufgrund des Ergebnisses der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai belastet auch die anstehende Verabschiedung des neuen Energiewirtschaftsgesetzes, über dessen Eckpunkte bereits Einigung zwischen Regierung und Opposition erzielt wurde. Zum einen erwägt nun die Union aus wahltaktischen Gründen, eine Reihe von Gesetzen der rot-grünen Koalition im Bundesrat scheitern zu lassen. Zum anderen wachsen die Spannungen innerhalb der Regierungskoalition, weshalb nicht auszuschließen ist, daß sie noch vor dem Wahltermin zerbricht.

Als weitere Folge der vorgezogenen Bundestagswahlen werden die Oppositionsparteien ihre Ankündigung, bei einem Regierungswechsel die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern (050502), schneller verwirklichen können als dies bisher zu erwarten war. Die Börse reagierte auf diese Aussicht mit einem Plus von über 2,5 Prozent für die Aktien von E.ON, des größten Kernkraftwerksbetreibers in Deutschland. Die RWE-Aktien stiegen um über zwei Prozent.

Rhiel glaubt an baldige Einigung mit der Bundesregierung

Das neue Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das der Bundestag am 15. April verabschiedete, war am 29. April vom Bundesrat erwartungsgemäß an den Vermittlungsausschuß überwiesen worden (050401), der sich auf seiner Sitzung am 15. Juni damit befassen wird. Theoretisch könnten die unionsregierten Länder das Inkrafttreten des EnWG blockieren, da sie bereits seit drei Jahren im Bundesrat über die einfache Mehrheit verfügen und durch das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen noch ausbauen konnten. Indessen scheinen die Befürworter einer solchen Blockadepolitik auch innerhalb von Union und FDP in der Minderheit zu sein. Hinzu kommt, daß die Fristvorgabe der EU für die Umsetzung der neuen Stromrichtlinie (030704) am 1. Juli 2005 bereits um ein Jahr überschritten sein wird. Der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel, der die unionsregierten Länder im Bundesrat und die Bundestagsabgeordneten von Union und FDP im Vermittlungsausschuß vertritt, sagte am 27. Mai, daß auch die Union das neue EnWG unbedingt wolle und die Verhandlungen zügig vorantreiben werde. Er sei zuversichtlich, "daß die Bundesregierung auf die deutlich wettbewerbsorientierte Sichtweise der Union eingehen wird, um ein Gesetz für mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft zu verabschieden, das gleichzeitig auch echte Kostenentlastungen für Bürger und Unternehmen verspricht".

Stromwirtschaft dringt auf schnelle Verabschiedung

Die Stromwirtschaft dringt ebenfalls auf die Verabschiedung des neuen EnWG noch vor der Bundestagswahl. "So kurz vor der Ziellinie wäre es töricht, das Gesetzgebungsverfahren abzubrechen, um 2006 von neuem anzufangen", sagte Vattenfall-Chef Klaus Rauscher als Präsident des Verbands der Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger (VRE). "Alle Parteien haben es in der Hand, endlich die stabilen Rahmenbedingungen zu schaffen, auf die unsere Branche wartet, um investieren zu können." Ähnlich äußerte sich der Mannheimer Oberbürgermeister Gerhard Widder als Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) auf einer Fachtagung des Verbands zur Kraft-Wärme-Kopplung. Der Bundesverband der Energieabnehmer (VEA) warnte dagegen vor einer "hektischen Umsetzung der Novelle" und hielt es für ratsam, das Gesetz erst nach dem voraussichtlichen Wahltermin im Herbst zu verabschieden.

Schröder tritt die Flucht nach vorn an - Chancen auf eine Wiederwahl hat er so oder so nicht

Bei den Landtagswahlen am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen hatte die in Düsseldorf regierende rot-grüne Koalition eine Niederlage erlitten, die allgemein erwartet worden war und allenfalls in ihrem Ausmaß überraschte: Die SPD bekam nur noch 37,1 Prozent der Stimmen gegenüber 42,8 vor vier Jahren. Die Grünen fielen von 7,1 auf 6,2 Prozent. Die CDU verbesserte sich dagegen von 37,0 auf 44,8 Prozent. Ihr potentieller Koalitionspartner FDP, der vor vier Jahren 9,8 Prozent errang, konnte sich mit 6,2 Prozent einigermaßen gut über die Fünf-Prozent-Hürde retten. Die neugegründete Linkspartei WASG, die erstmals bei Wahlen als Alternative zum neoliberalen Grundkurs von SPD, Union, Grünen und FDP antrat, errang 2,2 Prozent.

Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm das Wahlergebnis zum Anlaß, um noch für Herbst 2005 vorgezogene Bundestagswahlen anzukündigen. Zu diesem Zweck will er am 1. Juli im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Da ihm die Opposition kaum das Vertrauen aussprechen wird, würde schon die Stimmenthaltung der Regierungsmitglieder genügen, um über ein negatives Votum Neuwahlen herbeizuführen, wie dies zuvor schon die Bundeskanzler Brandt (1972) und Kohl (1982) praktiziert hatten. Anscheinend tritt Schröder damit die Flucht nach vorn an, um sich einen einigermaßen passablen Abgang zu verschaffen. Realistische Chancen auf eine Wiederwahl als Kanzler hat er so oder so nicht. Mittlerweile droht ihm sogar die Demontage durch die eigene Partei, die er in einen historischen Tiefstand bei den Wahlergebnissen und in eine schwere Identitätskrise gestürzt hat. Kritiker wie der 1999 zurückgetretene SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine (990302) werfen ihm schon seit langem eine unsoziale, auf neoliberale Dogmen fixierte Politik vor, die allen sozialdemokratischen Grundsätzen widerspreche, indem sie die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher mache. Zum eigentlichen Stolperstein wird für Schröder aber nun die offenkundige Erfolglosigkeit seiner "Reformen", die weder einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirkt noch die Zunahme der Massenarbeitslosigkeit verhindert haben. Schon vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen hatte der Parteivorsitzende Franz Müntefering mit verhaltener Kritik am "Turbo-Kapitalismus" neue Akzente gesetzt, die offenbar darauf zielten, die SPD neu zu positionieren und auf die Zeit nach dem Abgang Schröders vorzubereiten.

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