Mai 2005

050502

ENERGIE-CHRONIK


Union und FDP wollen Laufzeiten für Kernkraftwerke verlängern

Union und FDP wollen den derzeit geltenden Atomkonsens revidieren, falls die Oppositon - was fast als sicher gelten kann - bei den vorgezogenen Bundestagswahlen die Regierungsmehrheit erhält. Die maßgeblichen Politiker beider Parteien vermeiden es zwar, für den Neubau von Kernkraftwerken zu plädieren, doch besteht Einigkeit darin, die Laufzeiten der bestehenden Anlagen zu verlängern und die Kernenergie allgemein als energiewirtschaftliche Option offenzuhalten.

"In der Union gibt es einen breiten Konsens, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern", sagte der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Peter Paziorek, der "Berliner Zeitung" (11.5.). Er plädiere dafür, die Regellaufzeit der Meiler um acht Jahre zu verlängern. Dies würde einer Laufzeit von vierzig Jahren entsprechen, wie sie zugrunde gelegt wurde, bevor der Atomkonsens bzw. das darauf basierende neue Atomgesetz die Regellaufzeit auf 32 Jahre ab der Inbetriebnahme verkürzte (020404).

Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) nahm die Abschaltung des Kernkraftwerks Obrigheim (050503) zum Anlaß, um eine Verlängerung der Laufzeiten zu fordern. Das übereilte Abschalten sicherer Kernkraftwerke bringe nicht den erhofften Gewinn an Sicherheit, wenn gleichzeitig Kernenergiestrom aus dem benachbarten Ausland bezogen werden müsse.

Auf der "Jahrestagung Kerntechnik" am 10. Mai in Nürnberg sagte der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU), die Kernenergie sei für Deutschland "unverzichtbar". Auch künftig müsse man ihr "einen vorrangigen Platz einräumen". Auf derselben Veranstaltung meinte die energiepolitische Sprecherin der FDP, Gudrun Kopp, daß nicht die Politik, sondern der Markt darüber entscheiden müsse, auf welche Weise Strom produziert werde. Die FDP werde sich deshalb für die Rückgängigmachung des politisch verordneten Ausstiegs aus der Kernenergie einsetzen.

Atomstromerzeuger begrüßen Ankündigung verlängerter Laufzeiten

Vertreter der Stromwirtschaft bemühten sich unterdessen weiterhin, nicht den Anschein zu erwecken, sie würden die Kampagne der Opposition aktiv unterstützen und dadurch auf Konfrontationskurs zur amtierenden Bundesregierung gehen (041007). Die Energiewirtschaft stehe zur Vereinbarung über den Ausstieg aus der Kernenergie, sagte der Präsident des Deutschen Atomforums und E.ON-Vorstand Walter Hohlefelder auf der Jahrestagung Kerntechnik. Allerdings bedeute dies kein "Denkverbot".

Nach dem Wahlsieg der Union in Nordrhein-Westfalen und der anschließenden Ankündigung vorgezogener Bundestagswahlen noch im Herbst des Jahres 2005 (050501) wurde Hohlefelder deutlicher. Anlaß war eine Äußerung der Bundeskanzlerkandidatin der Union, Angelika Merkel, in der ARD am 23. Mai, die im Grunde lediglich wiederholte, was sie zum Thema Laufzeitverlängerung schon früher mehrfach gesagt hatte. Als Präsident des Deutschen Atomforums, das die Interessen der Kernkraftwerksbetreiber vertritt, ließ Hohlefelder nun folgende Erklärung verbreiten: "Die deutschen Energieversorger haben in der Vereinbarung mit der Bundesregierung von 2001 die Begrenzung der Laufzeiten ihrer Kernkraftwerke akzeptiert. Sie haben stets erklärt, dass sie sich an diese Vereinbarung gebunden sehen, solange von der Politik keine Initiative zur Verlängerung der Laufzeiten ausgeht. Vor diesem Hintergrund begrüßt das Deutsche Atomforum die Ankündigung der CDU-Bundesvorsitzenden, Frau Dr. Merkel, im Falle des Wahlsiegs der Union die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern."

Bundesumweltministerium intensiviert Öffentlichkeitsarbeit

Das Bundesumweltministerium reagierte auf diese politischen Vorstöße und die begleitende Debatte in den Medien mit einer 24 Seiten umfassenden Broschüre. Sie setzt sich mit sechs "gängigen Behauptungen der Atomlobby" auseinander, wie sie etwa in den Blättern des Holtzbrinck-Konzerns ("Handelsblatt", "Die Zeit") propagiert wurden. Unter anderem wird die These von einer weltweiten Renaissance der Kernkraft zurückgewiesen und bezweifelt, daß heutige Kernkraftwerke sicherer seien als vor zehn oder zwanzig Jahren. Auch bei der Neuentwicklung des EPR sei eine Kernschmelze als schwerster denkbarer Unfall nicht ausgeschlossen.

Auf eine Fernsehsendung, die am 11. Mai unter dem Titel "Gegen den Strom - Deutschlands einsamer Atom-Ausstieg" vom"heute-journal" des ZDF ausgestrahlt wurde, reagierte das Ministerium mit einer umfangreichen Erwiderung, die dem ZDF "gleich mehrere grobe Fehler" vorwarf. Falsch sei beispielsweise die Behauptung, daß Deutschland nach dem Ausstieg die einzige größere Industrienation sei, die keine Kernkraft nutze. Tatsächlich gebe es in sieben europäischen Ländern Ausstiegsbeschlüsse, darunter Italien, Österreich, Schweden, Spanien und Belgien. Die Länder Dänemark, Irland, Norwegen und Portugal verzichteten schon bisher schon auf Atomkraft und planten auch keinen Einstieg. Die angebliche Renaissance der Atomkraft sei lediglich "ein Mythos, der vor allem von Seiten der Atomlobby gepflegt und von schlecht informierten Kommentatoren kolportiert wird". Dabei würden bloße Ankündigungen oder seit langem bestehende Planungen voreilig als neue Bauvorhaben gewertet.

Anläßlich der Abschaltung des Kernkraftwerks Obrigheim gab das Ministerium eine weitere Broschüre heraus, die auf zwölf Seiten ebenfalls den "Mythos vom Atom-Comeback" angreift und demgegenüber einen "weltweiten Boom für Sonne, Wind und Co." beschwört.