Februar 2004 |
040201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Entgegen ihrer Selbstverpflichtung zum Klimaschutz vom November 2002 (001010) und der darauf aufbauenden KWK-Vereinbarung vom Juni 2001 (010601) hat die deutsche Wirtschaft ihre Kohlendioxid-Emissionen im Zeitraum von 2000 bis 2002 nicht gesenkt, sondern gesteigert. Diesen Vorwurf erhob am 12. Februar Bundesumweltminister Jürgen Trittin, nachdem die Wirtschaft ein für diesen Tag geplantes neuntes Gespräch mit dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium zum "nationalen Allokationsplan" abgesagt hatte. Statistisch bereinigt betrage der Anstieg - trotz der Rezession, die in diesen drei Jahren eingesetzt habe - rund sechs Millionen Tonnen Kohlendioxid.
Laut Trittin ergab sich dieser Befund bei der Erhebung der Emissionsdaten zum nationalen Allokationsplan für das Emissionshandelsgesetz. Die rund 2300 Anlagen, die unter das Gesetz fallen, hätten im Erhebungszeitraum von 2002 bis 2003 jährlich durchschnittlich 501 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Dieses Gesamtergebnis befinde sich im Einklang mit den Ergebnissen der nationalen Klimastatistik. Es bewege sich aber "am obersten Rand". Vor allem verberge sich hinter dieser Zahl ein kontinuierlicher Anstieg der CO2-Emissionen von 491 über 495 auf 506 Millionen Tonnen. Verursacher dieses Anstiegs sei die Energiewirtschaft, die ihre CO2-Emissionen von 452 auf 469 Millionen Tonnen gesteigert habe. Die prozeßbedingten Emissionen seien dagegen von 39 auf 37 Millionen Tonnen leicht gesunken.
Seit Oktober 2003 hätten acht Treffen der Staatssekretäre Baake (BMU) und Adamowitsch (BMWA) stattgefunden, an denen auch 13 vom BDI nominierte hochrangige Vertreter der Wirtschaft teilnahmen. Ziel der Gesprächsrunden sei es gewesen, die Wirtschaft in die Erarbeitung des nationalen Allokationsplans durch die Bundesregierung einzubeziehen. "Daß vor allem die Energiewirtschaft entgegen ihrer Zusage die Treibhausgasemissionen gesteigert hat, liefert vielleicht eine triftige Erklärung dafür, daß der BDI und die anderen Wirtschaftsbeteiligten die Gespräche mit der Regierung vorerst unterbrochen haben", sagte Trittin mit Blick auf die ergebnislos abgebrochene Runde am 29. Januar (040104) und die Absage der Wirtschaft für ein weiteres Gespräch am 12. Februar. "Wer achtmal kam und beim neunten Mal fehlt, erweckt den Eindruck, sich unangenehmen Fragen entziehen zu wollen."
Die überraschende Vorlage eines ersten Entwurfs für den nationalen Allokationsplan, der zum Abbruch des Treffens am 29. Januar führte, begründete Trittin damit, daß erste belastbare Abschätzungen aus dem vorliegenden Datenmaterial vorgelegen hätten und er dem Wunsch der Wirtschaftsvertreter nach prompter und umfassender Informationen habe entsprechen wollen. Nachdem nunmehr alle Voraussetzungen zur Erstellung des nationalen Allokationsplans vorlägen, habe sein Ministerium die Abstimmung mit den anderen Ressorts der Bundesregierung begonnen. Die Verabschiedung durch das Kabinett sei für den 31. März geplant.
Die betroffenen Wirtschaftskreise haben den von Trittin vorgelegten Entwurf für den nationalen Allokationsplan heftig kritisiert. Die vorgelegten Emissionsdaten seien "drastisch" höher als die Zahlen, die bisher in der Staatssekretärsrunde diskutiert wurden, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am 14. Februar. Die "vermeintliche Zielverfehlung" bei den CO2-Einsparungen, die Trittin der Energiewirtschaft vorwerfe, sei "nicht nachvollziehbar". Ohne die von Trittin genannten Zahlen direkt in Frage zu stellen, hielt es der BDI für "unseriös, auf der Basis die Entwicklung bis zum Jahr 2010 hochzurechnen".
"Der Bundesumweltminister macht Umweltpolitik ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen und bricht das Versprechen der Bundesregierung, den Emissionshandel ohne Mehrbelastung für die deutsche Wirtschaft einzuführen", erklärte am 8. Februar Vattenfall-Chef Klaus Rauscher in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verband des Verbundunternehmen und Regionalen Energieversorger in Deutschland (VRE). Die für den Ausstieg aus der Kernenergie vorgesehenen Zertifikate reichten bei weitem nicht aus. Zudem werde der Energiewirtschaft schon bis 2007 eine CO2-Minderung von etwa siebeneinhalb Prozent abverlangt. Dies sei auch deshalb unangemessen, weil das deutsche CO2-Minderungsziel von 21 Prozent seit 1990 bereits zu 21 Prozent erreicht wurde. Und dies sei hauptsächlich den Investitionen der Energiewirtschaft zu verdanken. Man hoffe nun darauf, daß das Bundeswirtschaftsministerium die Forderungen der Energiewirtschaft innerhalb der Bundesregierung zur Geltung bringe. Ähnlich äußerten sich die Vertreter der Branchenverbände Stahl, Metalle, Zement, Kalk, Papier und Glas am 5. Februar in Düsseldorf.
RWE Power kündigte am 26. Februar an, den fertig vorliegenden Genehmigungsantrag für ein neues Braunkohlekraftwerk im rheinischen Revier zurückzustellen, und begründete dies mit der fehlenden Investitionssicherheit vor dem Hintergrund des von Trittin vorgelegten Entwurfs für den nationalen Allokationsplan. Eine Investitionsentscheidung von über einer Milliarde Euro sei unter diesen Umständen nicht zu verantworten. Bei dem Projekt handelt es sich um ein weiteres Braunkohlekraftwerk mit optimierter Anlagentechnik (BoA). Die erste Anlage dieser Art war im September 2002 in Niederaußem in Betrieb genommen worden (020911).
Auch die Gewerkschaften IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE), ver.di und IG Metall wandten sich gegen Trittins Entwurf für den Allokationsplan. IGBCE und ver.di lehnen vor allem die Begünstigung von Erdgaskraftwerken zu Lasten der Kohleverstromung ab. Der IG Metall geht es hauptsächlich um die Belange der Stahlindustrie. Die Gewerkschaften befürchten den Verlust von Arbeitsplätzen.
Unterstützung erhielt Trittin dagegen vom Rat
der Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung
am 23. Februar aufforderte, dem Verlangen der Industrie nach geringeren
Emissionsminderungszielen nicht nachzugeben (040202).