Juni 2024

240605

ENERGIE-CHRONIK


 


Ungarn hat nicht ganz zufällig die niedrigsten Haushalts-Gaspreise in der EU: Zum einen liegt das an den besonders günstigen Lieferkonditionen, mit denen der Kreml dem Orban-Regime dessen Unterstützung für Putin honoriert. Zusätzlich werden die Gaspreise für Kleinverbraucher von der Regierung zu Lasten des industriellen Sektors subventioniert, um ihr die Unterstützung in der Bevölkerung zu sichern. Dadurch sind sie weniger als halb so hoch wie die Preise, welche die Industrie und andere gewerbliche Verbraucher zahlen müssen. – Ganz anders ist jedoch die Lage in Österreich, das seinen Gasbedarf in ähnlicher Weise wie Ungarn größtenteils von der Gazprom bezieht: Hier verlangt Gazprom die üblichen Marktpreise. Die Kilowattstunde kostet deshalb für Haushaltskunden mehr als viermal soviel wie in Ungarn, während die Industriestrompreise geringer sind.

Verzichtet auch Österreich auf russisches Pipeline-Gas?

Die Entscheidung des Stockholmer Schiedsgerichts vom 7. Juni, die dem deutschen Gasimporteur Uniper einen Schadenersatzanspruch in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro gegenüber der russischen Gazprom zuspricht (240604), könnte der Anfang vom Ende der russischen Gasexporte nach Österreich sein. Darauf machte der staatliche österreichische Energiekonzern OMV bereits drei Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe des Urteils aufmerksam. Obwohl er offenbar ungewöhnlich gut über den Stand des Verfahrens unterrichtet war, vermied er es jedoch, Roß und Reiter zu nennen. In einer am 21. Mai veröffentlichten Pflichtmitteilung für Investoren hieß es lediglich:

"OMV Gas Marketing & Trading GmbH (OGMT) hat von einem ausländischen Gerichtsurteil erfahren, das ein großes europäisches Energieunternehmen erwirkt hat und das, sollte es in Österreich gegen OGMT vollstreckt werden, OGMT dazu verpflichten würde, Zahlungen aus dem Gasliefervertrag mit Gazprom Export an dieses europäische Energieunternehmen (anstelle von Gazprom Export) zu leisten. In diesem Zusammenhang ist OGMT derzeit nicht bekannt, ob und wann eine solche Zwangsvollstreckung zu erwarten ist. Im Falle einer solchen Zwangsvollstreckung hält es OGMT für wahrscheinlich, dass Gazprom Export die Gaslieferungen im Rahmen des Gasliefervertrags mit OGMT einstellen und damit den österreichischen Gasmarkt beeinträchtigen wird. Diese Einschätzung stützt sich auf das Verhalten von Gazprom Export in ähnlichen Situationen. In einem solchen Szenario wäre OGMT aufgrund ihrer umfangreichen Diversifizierungsbemühungen der letzten Jahre jedenfalls in der Lage, ihre Vertragskunden mit Gas aus alternativen, nicht-russischen Quellen zu versorgen."

Uniper könnte jetzt die Gasrechnungen der Gazprom in Westeuropa pfänden lassen

Das erwähnte "große europäische Energieunternehmen" war der inzwischen bundeseigene Energiekonzern Uniper, der seinerseits am 12. Juni über den Schiedsspruch berichtete, es aber geflissentlich vermied, auf daraus sich ergebenden Pfändungsansprüche gegenüber in Westeuropa vorhandenen Guthaben der Gazprom einzugehen. "Für Uniper schafft dieses Urteil rechtliche Klarheit", hieß es lediglich in einer kurzen Stellungnahme des Uniper-Vorstandsvorsitzenden Michael Lewis. "Mit dem Kündigungsrecht, das wir mit dem Schiedsurteil erhalten haben, beenden wir die Verträge mit Gazprom Export. Auch in der Frage des Anspruchs auf Schadensersatz wurde die Rechtsauffassung von Uniper bestätigt. Etwaige Zahlungen würden dem Bund zufließen. Ob Beträge in signifikanter Höhe zu erwarten sind, ist aus heutiger Sicht noch nicht abzuschätzen."

Ungarn erließ eilends ein Dekret, das der Gazprom die weitere Bezahlung ihrer Lieferungen garantiert

Der gewichtigste dieser "Beträge in signifikanter Höhe" wären sicher die Milliarden, die Österreich regelmäßig für die russischen Lieferungen überweist, mit denen es nach wie vor den größten Teil seines Gasbedarfs deckt. Anders als Deutschland, dem der Kreml im Sommer 2022 den Gashahn erst teilweise (220701) und dann ganz zudrehte (220802), wurden die EU-Länder Österreich, Ungarn, Slowakei und Slowenien mit keinem Lieferstopp belegt, um sie zu erpressen. Gegenüber dem Orban-Regime in Ungarn war das sowieso nicht nötig, weshalb dem treuen Unterstützer Putins sogar besonders günstige Lieferkonditionen eingeräumt wurden. Unter diesen Umständen musste vor allem Orban befürchten, dass ihm seine Zahlungen an die Gazprom beschlagnahmt würden, bevor sie den Adressaten in Moskau erreichen. In aller Eile ließ er deshalb in der Nacht zum 30. Mai im ungarischen Amtsblatt ein Regierungsdekret veröffentlichen, um den ungarischen Energiekonzern MVM vor einer Pfändung zu bewahren. Darin heißt es: "Der Gegenwert des an eine Vertragspartei zu zahlenden Erdgases darf nicht beschlagnahmt, vollstreckt oder mit einer Sicherheitsleistung belegt werden, um die Forderung eines Dritten zu sichern oder zu befriedigen, da dies gegen die ungarische öffentliche Ordnung verstößt."

Bei Österreichs OMV hat der Putin-Freund Seele einen Scherbenhaufen hinterlassen

In Österreich zahlen die Haushalte dagegen für die Kilowattstunde Erdgas einen mehr als viermal so hohen Preis wie in Ungarn. Das haben sie dem Putin-Freund Rainer Seele zu verdanken, den die OMV im Jahr 2015 zu ihrem Vorstandsvorsitzenden berief (150319). Seele hatte bis 2009 die BASF-Tochter Wintershall geleitet, die eng mit der Gazprom liiert war (060403). Nachdem sein Vertrag 2021 nicht mehr verlängert wurde (210415) und es ans Aufräumen des hinterlassenen Scherbenhaufens ging (220607), stellte sich heraus, dass er nicht nur den ungünstigen Liefervertrag mit der Gazprom bis ins Jahr 2040 verlängert hatte. Außerdem hatte er mit anderen Russlandgeschäften mindestens 22,46 Milliarden Euro in den Sand gesetzt, die von der OMV abgeschrieben werden mussten.

Die Einstellung der russischen Gaslieferungen ist für Wien keine Schreckensvision

Inzwischen wird in Österreich bereits darüber nachgedacht, wie man am besten aus den Lieferverträgen mit der Gazprom wieder herauskommen könnte. Die grüne Energieministerin Gewessler hat das sogar explizit verlangt, konnte sich aber in der momentan noch bestehenden schwarz-grünen Regierung nicht gegen den konservativen Koalitionspartner durchsetzen. Die Ersatzbeschaffung wäre nicht wesentlich teuerer, und auch in Wien empfindet man die unfreiwillige Finanzhilfe für Putins Krieg gegen die Ukraine als peinlich. Außerdem wäre ab 2025 sowieso mit dem Ende der Gazprom-Lieferungen zu rechnen, falls die Ukraine den Transitvertrag für die Nutzung der Pipeline nicht verlängert, um die damit verbundenen Einnahmen nicht zu verlieren (wobei der Vertrag formal auch für Lieferungen aus Aserbaidschan abgeschlossen werden könnte, da man dem Gas die Herkunft nicht ansieht). Die Beendigug der russischen Gaslieferungen ist für Wien jedenfalls keine Schreckensvision wie für das Orban-Regime in Budapest. Dasselbe gilt für die vorläufig rein hypothetische Möglichkeit, dass Uniper die Gasrechnungen der Gazprom pfänden lassen könnte. Dies würde zwar sicher zur Folge haben, dass die Gazprom ihre Lieferungen einstellt. Aber genau das wäre vielleicht die eleganteste Lösung, um die Einzahlungen in Putins Kriegskasse loszuwerden...

 

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