Juni 2022

220607

ENERGIE-CHRONIK


OMV räumt die Scherben auf, die der Putin-Freund Seele hinterlassen hat

Die Aktionäre des österreichischen Energiekonzerns OMV haben am 3. Juni dem früheren Vorstandsvorsitzenden Rainer Seele die Entlastung verweigert. Mit 71 Prozent des stimmberechtigten Kapitels folgten sie einer entsprechenden Empfehlung des Aufsichtsrats. Darunter befanden sich die beiden Beteiligungsgesellschaften des österreichischen Staats (31,5 Prozent) und der Vereinigten Arabischen Emirate ( 24,9 Prozent ), die als Hauptaktionäre den entscheidenden Einfluss haben. Der Aufsichtsrat begründete seine Empfehlung mit Verstößen gegen die Governance-Regeln. Offensichtlich geht es aber nicht mehr bloß um die Vorwürfe, die schon vor einem Jahr gegen Seele erhoben wurden und die neben der Nichtverlängerung seines Vertrags zum vorzeitigen Amtsverzicht im August 2021 führten (210415). Vielmehr wird Seele nun vor allem angelastet, den OMV-Konzern und damit Österreich in eine erdrückende Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen geführt zu haben.

Geheimdienst soll Regierung vor Seeles Berufung gewarnt haben

Der deutsche Staatsangehörige und bisherige Vorstandsvorsitzende der BASF-Tochter Wintershall übernahm die Leitung des halbstaatlichen österreichischen Energiekonzerns zum 1. Juli 2015 (150319). Er trat die Nachfolge von Gerhard Roiss an, der laut OMV-Pressemitteilung "einvernehmlich" diesen Posten aufgab bzw. aufgeben musste. Wie Österreichs führende Tageszeitung "Die Presse" am 7. Juni berichtete, soll damals ein "befreundeter" westlicher Geheimdienst die österreichische Regierung vor dieser Neubesetzung gewarnt haben, weil sie von Putin selber gefördert worden sei, um Österreich noch mehr in die Abhängigkeit von Russland zu bringen. Die liberale Abgeordnete Stephanie Krisper von der Partei "Neos" nahm dies zum Anlass, die Einberufung des Geheimdienstausschusses zu verlangen, um das Ausmaß der entstandenen Sicherheitsbedrohung zu prüfen.

Österreich wurde beim Gas sogar zu 80 Prozent von russischen Lieferungen abhängig

Wie dem auch sei: Tatsächlich ist es auf Seeles Wirken zurückzuführen, wenn Österreich heute beim Gasverbrauch zu achtzig Prozent auf russische Importe angewiesen ist. Außerdem hat er das Land bis 2040 durch langjährige Verträge an den russischen Lieferanten gebunden, die keine Ausstiegsklausel enthalten. Selbst bei Nichtabnahme bleibt die OMV zur Zahlung verpflichtet. Die Alpenrepublik ist damit noch wesentlich abhängiger geworden als Deutschland, wo vor allem die BASF-Tochter Wintershall als Geschäftspartner der Gazprom dafür sorgte, dass der Anteil russischer Importe am Gasverbrauch bis auf 65 Prozent steigen konnte.

Seele pries den "Ehevertrag" mit Gazprom und wollte "nur auf einer Hochzeit tanzen"

Seele machte keineswegs ein Hehl aus dieser einseitigen Orientierung auf die Russen als Geschäftspartner. So erklärte er bei einem Treffen mit Wladimir Putin am 17. April 2017:

"Fünfzig Jahre nach Unterzeichnung unseres Ehevertrags ist es erstaunlich, dass unsere Unternehmen OMV und Gazprom immer noch so verliebt ineinander sind, dass wir noch mehr Gas von Gazprom kaufen wollen. Deshalb planen Alexej Miller und ich, über die Verlängerung der laufenden Verträge und zusätzliche Gasbezüge zu sprechen."

Und bei einer Präsentation seiner OMV-Srategie erklärter er im März 2018 in London:

"In meiner 20-jährigen Russland-Erfahrung habe ich eines gelernt: Man soll nur auf einer Hochzeit tanzen. Daher sind wir Gazprom und unserer Zusammenarbeit verpflichtet und schauen nicht zur Seite."

Der Ex-Außenministerin Karin Kneissl verhalf Putin zu einem Sitz im Rosneft-Aufsichtsrat

Bei soviel Tanzbereitschaft gegenüber dem russischen Bären nimmt es nicht wunder, dass Putin im August 2018 die Einladung zur Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl mit einem Unternehmer annahm und höchstpersönlich mit der Dame eine Runde Walzer tanzte. Diese dankte ihm artig mit einem Knicks, wie es sich vor Höherstehenden geziemt. Kneissl war von der rechtsextremen FPÖ ins Kabinett von Stefan Kurz (ÖVP) gehievt worden. Schon ein paar Monate später verlor sie ihr Ministeramt, da Kurz aufgrund von Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste. Nach einem handgreilflich ausgetragenen Ehestreit im April 2020 kam ihr auch der frisch angetraute Gatte abhanden. Dank ihrer guten Beziehungen zu Moskau fand sie indessen schnell ein neues Auskommen, indem sie als Journalistin für die russische Regierungspropaganda tätig werden durfte. Im Juni 2021 verhalf ihr Putin dann zu einem Sitz im Aufsichtsrat des russischen Ölkonzerns Rosneft, auf den sie allerdings inzwischen notgedrungen verzichten musste (220507).

Seele und sein mutmaßlicher Förderer erhielten von Putin den "Orden der Freundschaft der Russischen Föderation"

OMV-Chef Seele leistete seine Beträge für die russische Regierungspropaganda dagegen gratis. Zum Beispiel trat er im August vorigen Jahres gegenüber der FAZ in der Pose des Fachmanns auf und erklärte die Nichtauffüllung der deutschen Gazprom-Gasspeicher mit "technischen Schwierigkeiten in einer Kondensat-Anlage in Nordsibirien" (210804). Ein Zubrot hätte er auch nicht nötig gehabt, denn nach Angaben des Boulevardblatts "Krone" (3.6.) bezog er allein für die letzten acht Monate seiner Tätigkeit als OMV-Chef ein Gesamteinkommen von 5,3 Millionen Euro. Aber auch für solche Besserverdiener hatte Putin etwas Passendes: Im September 2018 verlieh er Seele den "Orden der Freundschaft der Russischen Föderation", der seit 1994 den früheren sowjetischen "Orden der Völkerfreundschaft" ersetzt.

Rainer Seele handelte im Einvernehmen mit einer politischen Kulisse, die von kritikloser Sicht auf Putin und die russischen Zustände geprägt war. Es wäre deshalb falsch, ihn für die Folgen allein verantwortlich machen zu wollen. Sogar sein Vorgänger Roiss, der dem Nachfolger nur murrend gewichen war und ihn nun heftig kritisiert, gehörte letztendlich zu jenem österreichischen Justemilieu, das Putin und die Gazprom selbst nach der Annektierung der Krim weiterhin hofierte (140603). Ihren Höhepunkt erreichte diese Liebedienerei unter dem Bundeskanzler Stefan Kurz (ÖVP). Aber auch dessen Vorgänger Wolfgang Schüssel (ÖVP), Alfred Gusenbauer (SPÖ) und Christian Kern (SPÖ) waren parteiübergreifend auf ihre jeweilige Weise "Putin-Versteher", wie der Publizist Paul Lendvai in seiner Kolumne für die Wirtschaftszeitung "Der Standard" (21.6.) feststellte.

Als "größter heimischer Putin-Bewunderer" galt allerdings – so Lendvai – der Unternehmer Siegfried Wolf. Dieser Mann sei lange Jahre für den russischen Oligarchen Oleg Deripaska tätig gewesen, bevor er als Aufsichtsratschef der staatlichen OMV-Beteiligungsgesellschaft maßgeblich zur Bestellung Seeles beigetragen habe. Wolf bestreitet diese Darstellung, weil er weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand der OMV angehört habe, die für die Neubesetzung des Chefpostens allein zuständig gewesen seien. Fakt ist allerdings, dass er nach dem erfolgreichen Austausch der OMV-Spitze von Putin belohnt wurde – und zwar ebenfalls mit dem "Orden der Freundschaft der Russischen Föderation", den zwei Jahre später Rainer Seele für sein konsequentes Festhalten am "Ehevertrag" mit der Gazprom erhielt.

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