Juni 2024

240604

ENERGIE-CHRONIK


Uniper kann von Gazprom 13 Milliarden Euro Schadenersatz verlangen

Der Energiekonzern Uniper gab am 12. Juni bekannt, dass er die noch immer bestehenden Gaslieferverträge mit der russischen Gazprom nun auch förmlich beenden wird. Ermöglicht werde dies durch eine Entscheidung des Internationalen Schiedsgerichts in Stockholm, bei dem Uniper Ende 2022 ein Schiedsverfahren gegen die Gazprom Export eingeleitet hatte, nachdem die Russen seit Juni 2022 nur noch sehr eingeschränkt (220701) und seit Ende August 2022 überhaupt kein Gas mehr geliefert hatten (220802).

Die Möglichkeit der Streitbeilegung über das Schiedsgericht wurde in den Verträgen mit der Gazprom vereinbart und in der Vergangenheit von beiden Seiten schon wiederholt in Anspruch genommen. Die am 7. Juni ergangene Entscheidung billigt Uniper neben dem Recht zur Kündigung der Lieferverträge einen Schadensersatz in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro zu. Damit sollen die immensen Kosten ausgeglichen werden, die dem wichtigsten deutschen Gasimporteur durch den willkürlichen Stopp der vereinbarten Gaslieferungen entstanden sind.

Die durch den Vertragsbruch entstandenen Kosten waren noch höher

Um trotz des russischen Vertragsbruchs seine Lieferverpflichtungen gegenüber Stadtwerken und großen Industriekunden erfüllen zu können, musste Uniper für die Ersatzbeschaffung exzessiv überhöhte Preise zahlen, die seine Finanzkraft überforderten. Die Entschädigung entspricht ungefähr der Summe, welche die Bundesregierung im Juli 2022 bereitstellen musste, um die damals noch zum finnischen Fortum-Konzern gehörende Uniper SE vor dem Bankrott zu bewahren (220702). Weitere acht Milliarden kostete die Übernahme von 99 Prozent der Aktien durch den Bund, die Ende 2022 abgeschlossen wurde. Die EU-Kommission verknüpfte die dafür notwendige beihilferechtliche Genehmigung mit der Auflage, dass sich der Bund bis 2028 mit einer Sperrminorität von 25 Prozent begnügen und die anderen drei Viertel der Aktien wieder privatisieren muss (221211).

Die Gazprom muss jetzt die Pfändung ihrer Rechnungen bei Kunden in Westeuropa befürchten

Das Stockholmer Schiedsurteil ist laut Uniper "rechtlich bindend und final". Das heißt natürlich noch lange nicht, dass Uniper von der Gazprom Export die zuerkannten 13 Milliarden Euro bekommt. Im Gegenteil: Die Russen hatten in Erwartung des Stockholmer Urteils schon zum Gegenschlag ausgeholt und beim Handelsgericht Sankt Petersburg beantragt, Uniper die Fortsetzung des Verfahrens in Stockholm zu untersagen. Prompt gab das Gericht dem Antrag statt und drohte Uniper mit einer Strafzahlung von 14,3 Milliarden Euro, falls das Verbot nicht beachtet werde. Diese willkürlich verhängte Strafzahlung übersteigt noch den in Stockholm zuerkannten Schadenersatz von 13 Milliarden Euro für Uniper. Da sie sich nicht eintreiben lässt, wird sie dem Putin-Regime allenfalls als Vorwand dienen, können, um in seinem Machtbereich noch vorhandenes Uniper-Eigentum zu konfiszieren.

Umgekehrt muss Putin nun aber befürchten, dass Uniper in Westeuropa die Gasrechnungen jener Kunden pfänden lässt, die von Gazprom weiterhin beliefert werden. Dazu gehören Österreich, Ungarn, die Slowakei und Slowenien. Das Orban-Regime hat deshalb bereits in aller Eile ein spezielles Dekret erlassen, um eine solche Pfändung in Ungarn zu verhindern (240605).

Ohne förmliche Kündigung wären die Lieferverträge eine riskante Altlast geblieben

Historisch reichen die Geschäftsbeziehungen zwischen Uniper und Gazprom bis ins Jahr 1970 zurück, als das Vorgänger-Unternehmen Ruhrgas AG mit der Exportgesellschaft der damaligen Sowjetunion den ersten Erdgas-Liefervertrag unterzeichnete (220702). Die nun gekündigten Lieferverträge wären teilweise erst Mitte der dreißiger Jahre ausgelaufen. Ohne ihre förmliche Auflösung hätten sie eine riskante Altlast dargestellt. Aus offizieller russischer Sicht war der Gaslieferstopp nämlich bis heute kein Vertragsbruch. Der Kreml war auch immer darauf bedacht, die sukzessive Drosselung der Gaslieferungen mit angeblich notwendigen "Wartungsarbeiten", "technischen Problemen" oder "höherer Gewalt" zu begründen. Damit sollte die Form gewahrt bleiben, obwohl natürlich jeder wusste, dass es gelogen war. Zum Beispiel wurde im Juni 2022 die Drosselung des Gasflusses um mehr als die Hälfte mit dem Fehlen eines Gasverdichters begründet, der schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine zur Überholung in ein Siemens-Werk nach Kanada geschickt worden war, aber dort wegen der von Kanada gefassten Sanktionsbeschlüsse nicht für den Rücktransport nach Russland freigegeben wurde (220601). Nachdem die Bundesregierung den Rücktransport des Verdichters ermöglicht hatte und er in einem deutschen Siemens-Werk versandfertig bereitstand, zeigte die Gazprom jedoch keinerlei Interesse an einer zügigen Abholung, Stattdessen versteifte sie sich nun darauf, dass irgendwelche technischen Papiere oder Zoll-Unterlagen fehlen würden (220802).

Es war den russischen Rabulisten deshalb durchaus zuzutrauen, dass sie sich in ähnlicher Weise eines Tages auf die weitere Gültigkeit der ungekündigten Verträge berufen könnten, um eine Wiederaufnahme der Lieferbeziehungen zu erreichen. Sofern die Verträge die übliche "take or pay"-Klausel enthalten, hätte die Gazprom bei einer Weigerung von Uniper sogar die Bezahlung von nicht abgenommenen Gasmengen verlangen können. Insofern dürfte die klare Beendigung aller Verträge dem Kurs der Uniper-Aktie bei der geplanten Reprivatisierung behilflich sein. Vorerst befinden sich aber noch immer mehr als 99 Prozent der Aktien im Besitz des Bundes.

 

Links (intern)

zum Gasimporteur Uniper

zum russischen Gas-Lieferstopp im Sommer 2022