Dezember 2023

231208

ENERGIE-CHRONIK


Zwei Manager der Gazprom Germania verrieten Putins Sabotage-Plan

Als die Bundesregierung am 4. April 2022 die deutsche Tochter des russischen Gazprom-Konzerns treuhänderisch der Bundesnetzagentur unterstellte, war sie ungewöhnlich gut informiert über den bevorstehenden Sabotageakt, mit dem der russische Diktator Putin die deutsche Gas- und Stromversorgung zusammenbrechen lassen wollte (220403). Diese Informationen verdankte sie jedoch nicht ihrer eigenen Wachsamkeit oder dem dafür zuständigen Auslandsgeheimdienst BND. Es waren vielmehr zwei Manager der Gazprom Germania, die zu Whistleblowern wurden und vor der Attacke warnten. "Ohne den Mut dieser beiden hätte Deutschland den russischen Angriff auf die Energieinfrastruktur kaum so abwehren können", heißt es in einem Artikel, den das "Handelsblatt" am 1. Dezember veröffentlichte und der bisher unbekannte Details zu diesem knapp vereitelten Anschlag auf die deutsche Energieversorgung enthält.

Demnach bekam das Berliner Führungsteam der Gazprom Germania am 30. März aus Moskau die Anweisung, sich im Berliner Luxushotel Ritz Carlton am Potsdamer Platz mit fünf Russen treffen. Diese gaben an, sie seien von der Gazprom-Zentrale in St. Petersburg autorisiert und kämen im Auftrag der neuen Eigentümer von Gazprom Germania. Das Unternehmen gehöre nämlich nicht mehr dem russischen Mutterkonzern Gazprom, sondern sei von nun an im Besitz einer Firma namens JSC Palmary. Und dieser neue Besitzer habe beschlossen, die Gazprom Germania mitsamt dem halben Hundert Tochtergesellschaften in Deutschland und Westeuropa zu liquidieren. Zugleich präsentierten sie den fassungslosen Managern einen entsprechenden Liquidationsbeschluss.

Im Wirtschaftsministerium glaubte man zunächst an einen Aprilscherz

Wie es zu diesem seltsamen Eigentümerwechsel im russischen Handelsregister kam und weshalb die Strohfirma JSC Palmary sozusagen die Rolle eines "Auftragsmörders" zur plötzlichen Liquidierung der Gazprom Germania übertragen bekam, wurde in der ENERGIE-CHRONIK vom April 2022 bereits geschildert (220403). Unbekannt war bisher jedoch, dass zwei der Gazprom-Manager sich am 1. April entschlossen, die Bundesregierung vor der geplanten Katastrophe zu warnen. Bei einem eilends anberaumten Treffen mit Beamten des Wirtschaftsministeriums mussten sie diese allerdings erst davon überzeugen, dass es sich um keinen Aprilscherz handelte. Schließlich wirkte es geradezu bizarr, was sich der Kreml da ausgedacht hatte, um den Anschein eines Eigentümerwechsels zu erwecken: Offenbar diente das Schmierentheater nur dem Zweck, dass die Gazprom nicht vor aller Augen mit rauchendem Colt dastand, wenn sich die Gazprom Germania angeblich selber entleibte.

Als dann im Wirtschaftsministerium der Ernst der Lage klar wurde, blieben nur noch gut fünfzig Stunden, um Putins Plan zu durchkreuzen. Auf allen Ebenen bis hinauf zum Bundeskanzler gab es nun Alarm und hektische Beratungen, wie der von Moskau angeordnete Kamikaze-Flug der Gazprom-Tochter vor dem endgültigen Absturz auf die deutsche Energieversorgung gestoppt werden könnte.

Es führte kein Weg darum herum, die Gazprom-Tochter dem Kommando des Kremls zu entziehen

Bei diesen Beratungen musste berücksichtigt werden, dass die Gazprom ihre vertraglichen Lieferverpflichtungen zu diesem Zeitpunkt noch im wesentlichen einhielt. Nur über die durch Polen führende Jamal gelangte kein Gas mehr nach Deutschland. Die Pipelines Nord Stream 1 und Transgas waren aber weiter in Betrieb. Der Kreml-Diktator hätte somit über die Möglichkeit verfügt, diese Lieferungen sofort einzustellen, falls die Reaktion der Bundesregierung für sein Empfinden zu scharf ausfiel. Dieses Risiko wollte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Möglichkeit vermeiden, denn er war damals noch der Ansicht, dass Deutschland frühestens bis Mitte 2024 "weitgehend unabhängig" von russischem Gas werden könne (220404).

Indessen führte kein Weg darum herum, die Gazprom Germania sofort dem Kommando des Kremls zu entziehen. So kam es zu der Entscheidung, sie ab 4. April vorläufig unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur zu stellen. Damit blieb die Gazprom bzw. der von ihr vorgeschobene Strohmann weiterhin der Eigentümer. Das Sagen hatte aber fortan die Bundesregierung. Für die Anordnung der Treuhand-Verwaltung gab es sogar eine gute formale Begründung, da die Gazprom es versäumt hatte, den angeblichen Eigentümerwechsel zu melden und die nach dem Außenhandelsrecht erforderliche Zustimmung der Bundesregierung einzuholen.

Deutsche Staatsbürgerschaft soll die Whistleblower vor Putins Rache schützen

Die Namen der beiden Gazprom-Manager werden in dem "Handelsblatt"-Artikel nicht genannt. Das Kanzleramt habe ihnen Personenschutz angeboten, heißt es. Zusätzlich hätten sie inzwischen deutsche Pässe bekommen, in der "vagen Hoffnung", dass sich der russische Geheimdienst nicht so schnell an deutschen Staatsbürgern vergehen werde.

Diese Vorsichtsmaßnahmen sind auch begründet, wie beispielsweise der im August 2020 verübte Mordanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Nawalny zeigte (200908), der in Deutschland gesundgepflegt wurde, bevor er freiwillig nach Russland zurückkehrte, wo ihn Putin in Gefängnissen und Straflagern verschwinden ließ. Der Kremlchef lässt sogar Mordaufträge in Deutschland vollstrecken, wie man seit August 2019 weiß, als ein Auftragskiller des russischen Geheimdienstes mitten in Berlin einen Georgier erschoss. Besonders nachtragend ist er aber gegenüber "Verrätern". Dies musste zuletzt der Oligarch Prigoschin erfahren, der im Juni dieses Jahres mit seiner Privatarmee "Wagner" einen halbherzigen Aufstand gegen den Kremlherrscher wagte (230614). Nachdem sich die beiden Kriegsverbrecher scheinbar wieder miteinander arrangiert hatten, stürzte am 23. August ein Flugzeug, mit dem Prigoschin und neun weitere Personen von Moskau nach St. Petersburg flogen, "aus ungeklärter Ursache" ab. Unklar ist indessen nur, ob die Ursache für den Tod der zehn Personen eine Höllenmaschine an Bord war oder ob das Flugzeug vom Boden aus mit einer Rakete abgeschossen wurde...

 

Weshalb hat Putin nicht einfach den Gashahn zugedreht?

Man stellt sich unwillkürlich die Frage, weshalb der Kreml das aufwendig-umständliche Manöver mit dem angeblichen Eigentümerwechsel und der Selbstentleibung der Gazprom-Tochter vollführte, anstatt einfach die Gaslieferungen schon im April 2022 zu stoppen, wie das dann ab Juni zunächst teilweise und ab Ende August komplett der Fall war (siehe 220701, 220802, 220902). Damit hätte Putin mindestens ebenso viel Sand ins Getriebe der deutschen Wirtschaft streuen können wie mit dem völlig unerwarteten Exitus der Gazprom Germania.

Die plausibelste Antwort dürfte lauten, dass für Putin die Einnahmen aus dem Gasexport vorläufig noch wichtiger waren und er auf diese so lange wie möglich nicht verzichten wollte. Die Liquidierung der Gazprom Germania hätte zwar die deutsche Gasversorgung mächtig durcheinander gewirbelt, aber nicht unbedingt das Ende der Gaslieferungen bedeutet. Im Gegenteil: Der zeitweilige Ausfall von Gas oder Strom hätte sogar die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen noch verstärken können. Möglicherweise diente die geplante Selbstentleibung der Gazprom-Tochter zumindest nebenbei auch dem Zweck, den bisher nach deutschem Recht mit ihr vereinbarten Gaslieferungen die Grundlage zu entziehen, um dann bei der Neuverhandlung der Verträge mit dem russischen Mutterkonzern höhere Preise durchsetzen zu können.

Die Exporterlöse scheinen für den Kreml auch dann noch Vorrang gehabt zu haben, als die Gazprom Germania unter Treuhandverwaltung gestellt wurde. Jedenfalls änderte sich zunächst nichts am bisherigen Gasfluss. Putin ließ zwar eine spezielle Sanktionsliste erstellen, die nun Geschäfte mit der Gazprom Germania und 29 ihrer westeuropäischen Tochtergesellschaften verbot. Auf dieser Liste fehlte aber der Fernleitungsbetreiber Gascade, obwohl dieser mehrheitlich der Gazprom Germania gehörte und damit ebenfalls der Treuhandverwaltung unterstand. Der Grund war offenbar, dass das 3200 Kilometer lange Gascade-Netz in Deutschland für weitere Gasimporte aus Russland benötigt wurde (220506). Es fällt auch auf, dass die Gaslieferungen ab Juni nicht etwa schlagartig eingestellt wurden, sondern in Form einer erpresserisch schwankenden Absenkung erfolgten, die unter dem Vorwand notwendiger Wartungsarbeiten zweimal bis auf null fiel. Die letzten "Wartungsarbeiten" sollten vom 31. August bis 2. September 2022 dauern. Danach wollte die Gazprom angeblich wieder ein Drittel der vereinbarten Gasmengen liefern. Stattdessen folgte nahtlos ein unbefristeter Lieferstopp, der offiziell mit technischen Problemen begründet wurde.

Die immer wieder nur vorgeschützten technischen Probleme gab es dann allerdings tatsächlich, als am 26. September die inzwischen von den Russen stillgelegte Pipeline Nord Stream 1 sowie die noch gar nicht in Betrieb genommene Schwesterleitung Nord Stream 2 durch Unterwasserexplosionen schwer beschädigt wurden. Bis heute darf man rätseln, wer die Saboteure waren. Zunächst schienen alle Spuren nach Moskau zu weisen. Inzwischen gibt es aber auch Indizien, dass es ein Anschlag von Ukrainern gewesen sein könnte, die ohne Wissen und Billigung der Regierung in Kiew handelten.

 

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