April 2022

220403

ENERGIE-CHRONIK


Bundesnetzagentur übernimmt Gazprom Germania treuhänderisch

Die deutsche Tochter des russischen Gazprom-Konzerns wurde am 4. April treuhänderisch der Bundesnetzagentur unterstellt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) durchkreuzte mit dieser Anordnung den Verkauf der Gazprom Germania GmbH an zwei obskure Gesellschaften, der genehmigungspflichtig gewesen wäre, aber nicht angemeldet wurde. Besonders dringender Handlungsbedarf ergab sich, weil dieser Verkauf lediglich das Vorspiel zur Liquidierung des Unternehmens sein sollte. Damit wären in Deutschland kritische Infrastrukturen gefährdet worden, da der russische Staatskonzern in den vergangenen Jahren mit Hilfe von BASF, E.ON und anderen deutschen Geschäftspartnern in wichtige Bereiche des Energiehandels, des Gastransports und des Betriebs von Gasspeichern eindringen konnte. Die Treuhandverwaltung ist vorerst bis zum 30. September befristet. Falls sich kein vertrauenswürdiger Erwerber für die von Gazprom ohne Genehmigung verkauften Gesellschaftsanteile findet, könnte das Unternehmen aufgrund der geplanten Novellierung des Energiesicherheitsgesetzes (220405) ersatzweise auch verstaatlicht werden.

Die Anordnung wurde gemäß § 6 des Außenwirtschaftsgesetzes vom Bundeswirtschaftsministerium in Abstimmung mit den Ministerien für Äußeres und Finanzen sowie der Bundesbank erlassen. Sie überträgt alle Stimmrechte aus den Geschäftsanteilen an der Gazprom Germania GmbH der Bundesnetzagentur. Diese ist insbesondere berechtigt, der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen sowie deren Mitglieder abzuberufen oder neu zu bestellen. Am 8. April beschloss die Bundesnetzagentur zusätzlich die Bestellung eines Generalbevollmächtigen, der die Geschäftsführung der Gazprom Germania bei der weiteren Stabilisierung des Unternehmens und ihrer Tochtergesellschaften unterstützen soll. Diese Funktion übernimmt Egbert Laege, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der European Energy Exchange AG (EEX). Zuvor war Laege im Vorstand der E.ON Ruhrgas und in der E.ON Global Commodities tätig.

Gazprom wollte ihre deutsche Tochter nicht selber liquidieren, sondern ließ das einen "Auftragskiller" besorgen

Wie aus dem Text der Anordnung im Bundesanzeiger hervorgeht, gehörte Gazprom Germania bis vor kurzem der Gazprom Export LLC (GPE) als alleiniger Gesellschafterin. Bei dieser handelt es sich um eine hundertprozentige Tochter der russischen Konzernmutter Public Joint Stock Company Gazprom (PJSC Gazprom). Am 25. März übertrug dann die GPE alle Anteile an Gazprom Germania an eine Gesellschaft namens Gazprom export business services LLC (GPEBS). Dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz liegt hierzu die Abschrift einer notariellen Bescheinigung zur Gesellschafterliste der Gazprom Germania GmbH vom 25. März 2022 vor. Der Name des neuen Eigentümers lasse eine Zugehörigkeit dieser GPEBS zum Gazprom-Konzern vermuten, heisst es dazu erläuternd. Indessen bleibe unklar, wer wirtschaftlich und rechtlich hinter diesem Unternehmen stehe. Diese Unklarheit ergab sich anscheinend vor allem daraus, dass diese GPEBS, hinter der höchstwahrscheinlich Gazprom stand, im russischen Handelsregister plötzlich als eigenständiges Unternehmen auftauchte, das am 31. März 0,1 Prozent seiner Geschäftsanteile verkaufte, aber die restlichen 99,9 Prozent als Eigenanteile selber behielt. Der neue Mini-Gesellschafter hieß Joint Stock Company Palmary und war bis dahin völlig unbekannt. Als Geschäftsführer von "Palmary" zeichnete laut Handelsregister ein gewisser Dmitrij Z., von dem sich nur in Erfahrung bringen ließ, dass er schon in verschiedenen Bereichen des Kleingewerbes sowie als Disk Jockey tätig gewesen sein soll.

Dieser Eigentümerwechsel und die anschließende Mini-Beteiligung der Strohfirma "Palmary" an GPEBS diente offenbar nur dazu, die Gazprom Germania liquidieren zu können, ohne dass die Anweisung direkt von der Gazprom-Zentrale kam. Die Vorgehensweise erinnert dabei ein bißchen an die Auftragskiller, mit denen der Kreml sonst unbequeme Widersacher physisch liquidieren lässt, ohne selber mit rauchendem Colt oder blutbefleckten Händen in Erscheinung zu treten. Die Strohfirma "Palmary" erlangte nämlich mit ihrer Beteilligung von 0,1 Prozent das alleinige Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung der GPEBS, da die 99,9 Prozent Eigenanteile des Unternehmens nicht stimmberechtigt waren. So konnte der Strohgesellschafter nun seinen eigentlichen Geschäftsauftrag erfüllen und am 1. April eine notariell beglaubigte Anweisung an die Geschäftsführung der Gazprom Germania beschließen lassen, "to carry out the procedure of the voluntary liquidation". Die deutsche Gazprom-Tochter wurde damit vom neuen Eigentümer GPEBS verpflichtet, sich "freiwillig" selber zu liquidieren. Sie sollte also auf denselben Weg geschickt werden, den Anfang März schon die Nord Stream 2 AG beschritt, als sie von heute auf morgen und ohne Konkursanmeldung einfach ihre Geschäftstätigkeit einstellte und sämtliche Beschäftigten entließ (220305).

Bundesregierung durfte dem bösen Spiel nicht länger tatenlos zusehen

Nun ist es allerdings ein großer Unterschied, ob eine im Grunde überflüssige und sowieso umstrittene Gesellschaft wie die Nord Stream 2 AG auf Anweisung der Moskauer Gazprom-Zentrale ihre Geschäftstätigkeit einstellt, oder ob ein wichtiger Akteur der deutschen Gasversorgung einfach vom Markt verschwindet, dem unter anderem die Wingas, die größten Gasspeicher und die Hälfte am Pipeline-Betreiber Gascade gehören. Das war offenbar der Grund, weshalb die Gazprom in diesem Fall nicht die Verantwortung für die Liquidierung und deren möglichen Folgen übernehmen wollte, sondern ein ebenso aufwendiges wie bizarres Verwirrspiel inszenierte. Anscheinend wollte sie zumindest formaljuristisch den Eindruck eines Entscheidungsprozesses erwecken, an dem sie selber gar nicht mehr beteiligt war, da sie ja die Gazprom Germania angeblich verkauft hatte. Indessen blieb auch für Blinde mit dem Krückstock zu erkennen, dass hier lediglich eine Maskerade stattfand. Für die Bundesregierung wurde es deshalb höchste Zeit, dem bösen Spiel mit Handelsregistereintragungen, notariellen Beurkundungen und anderen Finten nicht länger tatenlos zuzusehen. Sie musste endlich handeln, um zusätzlichen Schaden von der ohnehin sehr problematisch gewordenen deutschen Gasversorgung abzuwenden. Dazu gehörte als erster Schritt, dass sie den Verkauf der Gazprom Germania für ungültig erklärte, weil er nicht angemeldet worden war. Zugleich zeigte sie den Russen unmißverständlich, wo tatsächlich der juristische Hammer hängt, indem sie das Unternehmen bis auf weiteres unter Zwangsverwaltung stellte.

Gazprom Germania galt als Refugium für ehemalige DDR-Funktionäre

Die Gazprom Germania GmbH fungierte bisher als Holding für die Aktivitäten des russischen Gaskonzerns in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Nach eigenen Angaben beschäftigte sie zuletzt über 1.600 Mitarbeiter, davon 200 am Sitz in Berlin. Anscheinend sind dabei die Beschäftigten der Wingas und anderer Unternehmen aus dem Beteiligungsbereich mitgezählt, unter denen die Gazprom vor vier Jahren kräftig geholzt hat (180208). Seinen heutigen Namen bekam das Unternehmen im Jahr 2006 durch die Umbenennung der 1990 gegründeten deutschen Gazprom-Tochter ZZG Zarubezhgaz-Erdgashandel-Gesellschaft mbH (061011). Unter ihrem langjährigen Geschäftsführer Hans-Joachim Gornig, der bis 1989 stellvertretender DDR-Minister für Kohle und Energie gewesen war, entwickelte sich diese ZZG und spätere Gazprom Germania zu einem Refugium für ehemalige DDR-Funktionäre. Zum Beispiel war der Personalchef ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter und der Finanzchef ein ehemaliger Stasi-Offizier (121111). Gornig soll sich der kleptokratischen Gazprom-Kultur geschmeidig eingefügt haben, indem er ebenfalls kräftig in die eigene Tasche wirtschaftete (080804). Sein Nachfolger wurde 2010 der frühere russische Botschafter in Berlin, Wladimir Kotenev, der aber schon nach ein paar Monaten aus unbekannten Gründen wieder abtreten musste (110615). Später besetzte Gazprom die Spitze des Unternehmens nur noch mit Russen, die aus der Moskauer Zentrale kamen, mitunter sehr schnell wieder abberufen wurden und allenfalls gebrochen Deutsch sprachen.

 

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