Juni 2021 |
210601 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Bundestag billigte am 10. Juni die 18. Novelle zum Atomgesetz, die Vattenfall, RWE, E.ON und EnBW eine Abfindung von 2,43 Milliarden Euro gewährt. Die vier KKW-Betreiber verzichten dafür auf alle Entschädigungsansprüche, die sie bisher aufgrund von schwerwiegenden Fehlern bei zwei Novellierungen des Atomgesetzes geltend machen konnten. Die im März dieses Jahres zwischen Bundesregierung und KKW-Betreibern zustande gekommene Vereinbarung (210301) kann damit in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrags besiegelt werden. Zur Unterzeichnung des Vertrags wird die Regierung durch den neu eingefügten § 7g ausdrücklich ermächtigt. Außer den beiden Koalitionsfraktionen stimmten FDP und AfD für den Gesetzentwurf. Die Linke lehnte ihn ab und die Grünen enthielten sich.
Die 18. Novelle zum Atomgesetz ersetzt die vor drei Jahren beschlossene 16. Novelle (180601), mit der die schwerwiegenden Fehler korrigiert werden sollten, die bei der Neufassung des Atomgesetzes im Jahre 2011unterliefen und deshalb vom Bundesverfassungsgericht beanstandet wurden (161201). Diese Korrektur war aber ihrerseits so fehlerhaft und schlampig, dass sie vom Bundesverfassungsgericht insgesamt für unwirksam erklärt wurde (201101). Diese peinliche Vorgeschichte blieb in der kurzen Debatte über die nunmehr mit den KKW-Betreibern vereinbarte Vertragslösung freilich unerwähnt, da praktisch alle Bundestagsfraktionen die Fehlentscheidungen der Vergangenheit mitgetragen haben. Zum Beispiel sprach die Parlamentarische Umwelt-Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter (SPD) als Vertreterin der Bundesregierung nur ganz allgemein von einem "Schlussstrich unter die langwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen um den beschleunigten Atomausstieg", der zehn Jahre nach Fukushima nun endlich gezogen werden könne. Und auch diese nebulöse Formulierung war bereits irreführend, da es einen "beschleunigten Atomausstieg" nach der Katastrophe von Fukushima nie gegeben hat. Die Schadenersatzansprüche der KKW-Betreiber ergaben sich vielmehr gerade aus der Verlangsamung des Tempos, mit der das 2011 neugefasste Atomgesetz eine zügige Abarbeitung des restlichen Drittels der ab dem Jahr 2000 festgelegten Reststrommenge verhindert hat (siehe Hintergrund, März 2021).
Lediglich die FDP-Abgeordnete Judith Skudelny, die bereits 2018 als einzige Abgeordnete die handwerklichen Mängel der damals beschlossenen Reparatur-Novelle kritisiert hatte, tanzte auch dieses Mal wieder aus der Reihe. Sie verwies darauf, dass "wir schon 2016 wussten, dass diese Entschädigung auf uns zukommt". Damals hatte das Bundesverfassungsgericht den Vorrang der Reststrommengen-Regelung klargestellt. Zugleich hatte es die Streichung der kontraproduktiven Abschalttermine für die einzelnen Reaktoren nahegelegt, weil diese das Tempo der Abarbeitung verzögerten und deshalb am Ende zu Entschädigungsansprüchen der KKW-Betreiber für unverstromte Reststrommengen führen mussten. Bundesregierung und Bundestag einschließlich Oppositionsparteien hatten diese Empfehlung jedoch beharrlich ignoriert und an den Abschaltterminen festgehalten. Skudelny stellte deshalb zutreffend fest: "Jeder Firmenchef würde seinen Finanzvorstand entlassen, wenn er 2,4 Milliarden Euro vergisst. Hier wird es in einer 30-Minuten-Debatte geschwind mal unter den Tisch gekehrt." Es vertrage sich außerdem nicht mit der Bedeutung der Themen und der Würde des Parlaments, eine derart wichtige Gesetzesvorlage zusammen mit zwei anderen schwierigen Rechtsfragen "in eine 30-Minuten-Debatte reinzuquetschen".
Diese zweite Kritik war ebenfalls berechtigt. Sie bezog sich darauf, dass die 18. Atomgesetz-Novelle im Rahmen einer einzigen kurzen Debatte zusammen mit zwei anderen Gesetzesänderungen aufgerufen und beschlossen wurde. Beide hatten zwar ebenfalls mit Kernenergie zu tun, betrafen aber nicht den Atomausstieg. Es handelte sich um eine separat vorgelegte 17. Novelle zum Atomgesetz, bei der es um den Schutz der insgesamt 16 Zwischenlager vor terroristischen Anschlägen geht (210608) sowie um eine Änderung des Entsorgungsfondsgesetzes, die dem "Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung" (KENFO) zu einer besseren Ertragslage verhelfen soll (210607).