Juni 2019

190602

ENERGIE-CHRONIK


 


Nicht gewalttätig, aber keineswegs gehorsam oder unpolitisch: Die Klima-Aktivisten des 2015 entstandenen Bündnisses "Ende Gelände" besetzten schon zum fünften Mal Tagebaue und Kohlebahnen des RWE-Konzerns. Das führt zwangsläufig zu Konflikten mit der Staatsgewalt. Die gleichzeitigen Protestaktionen der Bewegung "Fridays for Future" wurde dagegen von der Polizei für ihren ordnungsgemäßen Ablauf gelobt. Trotzdem sehen sich beide als Teile einer globalen Klimagerechtigkeitsbewegung, die auch "zivilen Ungehorsam" grundsätzlich für zulässig und nötig hält – vom Schulstreik für das Klima bis zur Besetzung von Kohlebaggern
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Foto: Ende Gelände / Georg Kurz

Weitere Massendemonstrationen gegen Braunkohle-Verstromung

Im Rheinischen Revier, das die Kraftwerke des RWE-Konzerns mit Braunkohle versorgt, fanden am Wochenende vom 21. bis 23. Juni erneut Massendemonstrationen gegen die Kohleverstromung statt. In Aachen kamen am Freitag deutlich mehr als die erwarteten zehntausend Teilnehmer aus dem In- und Ausland zu einer internationalen Kundgebung für den Klimaschutz. Sie folgten einem Aufruf der Bewegung "Fridays for Future", die vor knapp einem Jahr von der damals 15-jährigen Schwedin Greta Thunberg initiiert wurde, indem sie aus Protest gegen den Klimawandel regelmäßig an Freitagen dem Unterricht fernblieb. Ein Teil der Schüler, Eltern, Lehrer und Studenten beteiligte sich am Samstag auch am Aktionstag "Kohle stoppen – Klima und Dörfer retten" im benachbarten Braunkohle-Revier.

Züge durften im Bahnhof Viersen auf Weisung der Polizei nicht halten

Parallel dazu versammelten sich ab Donnerstag (Fronleichnam) in Viersen bei Mönchengladbach rund 4000 Mitglieder des Bündnisses "Ende Gelände" auf dem dortigen Festivalgelände. Sie verfolgten das erklärte Ziel, in einer Aktion des "zivilen Ungehorsams" erneut in die RWE-Tagebaue einzudringen, wie dies seit 2015 schon mehrfach geschehen war (181002, 171107, 170803, 150803). Als sich am Freitagmorgen die ersten Gruppen zum Bahnhof Viersen in Bewegung setzten, untersagte die Polizeidirektion Aachen deshalb allen Zügen den Halt in dieser Station. Am Samstagvormittag verhängte sie für zwei Stunden erneut ein solches Halteverbot.

Aktivisten besetzten zwei Kohlebahnen und den Tagebau Garzweiler II

Die Klima-Aktivisten fanden jedoch Busse und andere Möglichkeiten, um den dreißig bis fünfzig Kilometer langen Fußmarsch zu den Tagebauen zu vermeiden. Ab Freitagabend blockierten etwa 800 Personen die Gleise der "Nord-Süd-Bahn" zwischen den Kraftwerken Neurath und Niederaußem. Am frühen Samstagnachmitag beteiligten sich etliche hundert "Ende Gelände"-Mitglieder zunächst an einem von "Fridays for Future" angemeldeten Protestmarsch gegen die Abbaggerung der Ortschaft Keyenberg. Sie verließen dann aber die genehmigte Route, durchbrachen die Absperrung der Polizei und drangen in den Tagebau Garzweiler II ein. Fast gleichzeitig blockierten andere Aktivisten am benachbarten Tagebau Hambach die Gleise der "Hambach-Bahn", mit der die Braunkohle zum Kraftwerk Niederaußem transportiert wird.

Kraftwerke hatten genügend Brennstoff-Reserven

Die Besetzung der Hambach-Bahn dauerte nach Polizeiangaben bis zum späten Samstagabend. Die in den Tagebau Garzweiler II eingedrungen Personen seien bis zum frühen Sonntagmorgen entfernt worden. Schließlich habe man auch die noch ausharrenden Besetzer der Nord-Süd-Bahn "zur Sicherung des Strafverfahrens" gefilmt und gewaltsam von den Gleisen entfernt, soweit sie der Aufforderung zum Verlassen keine Folge leisteten. Zu einer Minderung der Stromerzeugung kam es durch keine der Aktionen, da RWE vorgesorgt hatte und deshalb an den Standorten Niederaußem und Neurath genügend Brennstoff-Reserven vorhanden waren.

"Fridays for Future" weist polizeiliche Warnung vor "Ende Gelände" zurück

Die Polizei hatte die Sympathisanten von "Fridays for Future" vor einer Beteiligung an den Aktionen von "Ende Gelände" gewarnt: "Tappen Sie nicht in die 'Strafbarkeitsfalle', weil sie glauben, sich mit zivilem Ungehorsam für die gute Sache einzusetzen", hieß es in einem Brief an Eltern und Schüler, den die Bezirksregierung über die Schulen verbreitete. Die Angesprochenen wiesen dies am 18. Juni als "Spaltungsversuch gegenüber der Klimagerechtigkeitsbewegung" zurück. Der Brief lasse außer Acht, dass die Schüler – so wie "Ende Gelände" – ebenfalls zivilen Ungehorsam leisten: "Das wöchentliche Bestreiken der Schule ist ein bewusst gewählter Regelübertritt. Wir erachten zivilen Ungehorsam als legitime Protestform." Sowohl "Fridays for Future" als auch "Ende Gelände" seien Teil einer globalen Klimagerechtigkeitsbewegung.

RWE will Aktivisten straf- und zivilrechtlich verfolgen lassen

Der RWE-Konzern zeigte dagegen keinerlei Verständnis für das "unverantwortliche und widerrechtliche Eindringen von 1300 'Aktivisten' in den Tagebau Garzweiler und die Gleisbesetzungen auf den Kohlezulieferstrecken". Außerdem sei es zu Brandanschlägen auf eine Pumpstation, Schaltschränke und Fahrzeuge gekommen. Ein Plan für den Kohleausstieg liege auf dem Tisch. Es gebe deshalb keinen Grund, "Menschen zu gefährden und illegale Aktionen durchzuführen". Obwohl der Betrieb der Kraftwerke zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen sei, habe RWE einen wirtschaftlichen Schaden erlitten, der derzeit ermittelt werde. Der Konzern werde alle "Straftaten", die mit der Blockierung der Kohlebahnen und dem Eindringen in die Tagebaue verbunden gewesen seien, straf- und zivilrechtlich verfolgen lassen.

"Hilflose Panikreaktion des Konzerns"

Strafbar gemacht hat sich nach Ansicht des Konzerns auch die "Ende Gelände"-Pressesprecherin Kathrin Henneberger, die auf der jüngsten RWE-Hauptversammlung am 3. Mai in der Rolle einer "kritischen Aktionärin" aufgetreten war und den Vorstand scharf kritisiert hatte. In einem vom 14. Mai datierten Schreiben wirft ihr eine von RWE beauftragte Kanzlei unter anderem vor, sie habe mit dieser Rede "auf der Hauptversammlung unserer Mandantin für die Blockade der Kohlebagger und Tagebaue geworben und weitere Blockaden angekündigt". Henneberger bekam ein zeitlich unbefristetes Hausverbot für alle Betriebsflächen und Anlagen der RWE Power AG. Außerdem soll sie eine Unterlassungserklärung unterschreiben, wonach eine von RWE festzusetzende Vertragsstrafe fällig wird, falls sie dieses Hausverbot mißachte oder in anderer Weise dazu beitrage, "den Betrieb der RWE Power zu stören". Sie lehnte dieses Ansinnen erwartungsgemäß ab. "RWE versucht mich mundtot zu machen", erklärte sie. Der Brief ziele darauf ab, ihr die weitere Tätigkeit als Pressesprecherin des Bündnisses unmöglich zu machen. Er lese sich "wie eine hilflose Panikreaktion des Konzerns".

Bündnis ist seit August 2015 aktiv

Das Bündnis "Ende Gelände" trat erstmals 2015 als loser Zusammenschluss von mehr als vierzig Organisationen und Einzelpersonen in Erscheinung (siehe die damals veröffentlichte Liste). Ein Vorläufer war das "Lausitzer Klima- und Energiecamp", das im August 2014 zum viertenmal eine internationale Aktion gegen die ostdeutsche Braunkohleverstromung organisierte (140809). Es agiert gewaltfrei auf Basis des "zivilen Ungehorsams" (siehe die dazu angegebene Referenz). Im August 2015 kam es zur ersten Besetzung des Tagebaues Garzweiler II (150803). An Pfingsten 2016 blockierten die Kohlegegner die Brennstoffversorgung des Kraftwerks Schwarze Pumpe (160504). Im August und September 2017 besetzten sie gleich zweimal den Tagebau Garzweiler II (170803, 171107). Im folgenden Jahr konzentrierten sich ihre Aktionen auf die Verteidigung des verbliebenen Waldbestandes am Tagebau Hambach (181002).

Der geplante Kohleausstieg bedeutet für "Ende Gelände" keine Entwarnung

Den von der Kohle-Kommission erarbeiteten Plan für den Kohleausstieg (190101) halten die "Ende Gelände"-Aktivisten für unzureichend, weil er viel zu spät mit der Stillegung der Kohlekraftwerke beginne. Deshalb setzen sie ihre Aktionen fort. Bestätigt fühlen dürfen sie sich in dieser Einschätzung neuerdings ausgerechnet durch den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder, der sonst gewiss nicht ihrem politischen Geschmack entspricht. "Sind wir ehrlich: Die deutschen Klimaziele sind bis 2030 nur zu erreichen, wenn wir den Kohleausstieg massiv beschleunigen", erklärte Söder gegenüber dem "Münchener Merkur" (22.6.). Eigentlich müsse dieser Ausstieg schon bis 2030 anstatt erst bis 2038 erfolgen. Söder stieß damit bei den Ministerpräsidenten der Braunkohle-Länder und anderen CDU-Politikern auf starke Kritik. Die FAZ (24.5.) sah ihn in diesem Punkt "schon ganz auf der Wellenlänge der Grünen" und entsetzte sich: "Es ist erschreckend, wie gestandene Politiker Kapital am Spieltisch der Klimapolitik verzocken: das der Volkswirtschaft, die eine sichere und bezahlbare Stromversorgung braucht, und ihr eigenes Vertrauenskapital."

 

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