September 2018

180902

ENERGIE-CHRONIK


Rechnungshof sieht Energiewende durch Mangel an Koordinierung, Steuerung und Transparenz bedroht

"Die Bundesregierung droht mit ihrem Generationenprojekt der Energiewende zu scheitern. Darauf deuten teils erhebliche Zielverfehlungen bei der Umsetzung hin." Dies erklärte am 28. September der Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller. Anlaß war ein Bericht über die Umsetzung der Energiewende durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), den seine Behörde am selben Tag dem Parlament übermittelte (siehe PDF).

Der Bericht kritisiert die bisherige Umsetzung der Energiewende in ähnlicher Weise wie ein vorangegangener Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags, der im Januar 2017 auszugsweise bekannt wurde (170102). Möglicherweise trug diese scharfe Kritik damals dazu bei, dass wenige Tage später der SPD-Politiker Sigmar Gabriel von seinem Amt als Wirtschafts- und Energieminister sowie als designierter Kanzlerkandidat der SPD zurücktrat (170101). Das Originaldokument, das vom 21. Dezember 2016 datiert ist und am 28. April 2017 abschließend im Haushaltsausschuss beraten wurde, kann inzwischen ebenfalls von den Internet-Seiten des Bundesrechnungshofs heruntergeladen werden (siehe PDF). Damals blieb es aber zunächst unveröffentlicht, was Mutmaßungen über eine gezielte Indiskretion im Zeichen des beginnenden Bundestagswahlkampfs auslöste.

"Deutschland wird fast alle Ziele der Energiewende bis zum Jahr 2020 verfehlen"

Der Bundesrechnungshof wirft dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) vor, dass es die Energiewende unzureichend koordiniere und mangelhaft steuere. Auch würden die Kosten nicht hinreichend transparent gemacht. Die bisherigen finanziellen Belastungen der Wirtschaft sowie der öffentlichen und privaten Haushalte seien enorm. Der Bundesrechnungshof gehe für das Jahr 2017 von mindestens 34 Milliarden Euro aus. Trotzdem werde Deutschland fast alle Ziele der Energiewende bis zum Jahr 2020 verfehlen:

Einen "Bundes-Energiebeauftragten" gibt es nur für Nebensächliches

Es gebe inzwischen mindestens 45 Gremien, die sich mit der Energiewende befassen. Insgesamt beschäftigten die Bundesministerien und ihnen nachgeordnete Behörden im Jahr 2017 rund 675 Vollzeit-Mitarbeiter, um die Energiewende umzusetzen. Die vier zuständigen Ressorts würden aber weitgehend separat vor sich hin werkeln, ohne dass unter Federführung des BMWi eine Art interministerielle Kommission die Koordination übernimmt. Dagegen habe man für die vergleichsweise eng begrenzte Teilaufgabe, die Energiebilanz von Regierungsgebäuden zu kontrollieren, schon vor mehr als 25 Jahren des Amt eines "Bundes-Energiebeauftragten" geschaffen.

Die Kriterien "Versorgungssicherheit" und "Bezahlbarkeit" werden vernachlässigt

Das BMWi nutze 48 verschiedene Datenquellen, um anhand von 72 Indikatoren den Stand der Energiewende zu überprüfen. Für die wichtigen Ziele "Versorgungssicherheit" und "Bezahlbarkeit" habe es dagegen bislang keine quantitativen Zielgrößen und Messwerte festgelegt. Ohne mess- und überprüfbare Ausgestaltung aller Ziele sei eine wirksame Steuerung der Energiewende aber kaum möglich.

Gesetzesflut ist von "hochkomplexen Fördermechanismen" und "kleinteiligen Regelungen" geprägt

Allein auf nationaler Ebene gebe es derzeit 26 Gesetze und 33 Verordnungen zur Erzeugung, Speicherung, Übertragung, Verteilung und Verbrauch von Energie. Diese Gesetzesflut verliere sich aber oft unnötigerweise in der Regelung von Details, was notwendige Änderungen zeitaufwendig mache. Dies erschwere eine flexible Anpassung von Steuerungsmaßnahmen an die dynamische Entwicklung der Energiewende. Der Bundesrechnungshof befürwortet deshalb einen weitgehenden Verzicht auf kleinteilige Regelungen in Gesetzen und Verordnungen. In diesem Zusammenhang plädiert er für die Einführung einer CO2-Steuer, mit der die gegenwärtig "hochkomplexen Fördermechanismen" beträchtlich vereinfacht und verschlankt werden könnten.

Ministerium will EEG-Umlage und Industrie-Vergünstigungen nicht als Kosten der Energiewende gelten lassen

Wie sich aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes weiter ergibt, hat das Bundeswirtschaftsministerium die Kritik in allen wesentlichen Punkten zurückgewiesen. Insbesondere will es den Vorwurf mangelnder Koordination nicht gelten lassen. Die hohe Komplexität des Energierechts sei darauf zurückführen, dass es sich um ein dynamisches Rechtsgebiet handele. Die von den Prüfern geforderte Kostenbetrachtung basiere auf falschen Voraussetzungen bzw. einem "kontrafaktischen Szenario". Offenbar sieht das Ministerium ein solches "kontrafaktisches Szenario" darin, dass der Rechnungshof in die Kosten der Energiewende, die er für das vergangene Jahr mit 34,36 Milliarden Euro beziffert, die EEG-Umlage mit 23,96 Milliarden Euro als größten Einzelposten einbezieht. Auch die in dieser Rechnung enthaltenen Industrie-Vergünstigungen dürfen nach Ansicht des Ministeriums nicht der Energiewende zugerechnet werden. Dabei handele es sich vielmehr um industriepolitische Maßnahmen.

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