Juli 2018 |
180706 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Stadt Tübingen hat für Neubaugebiete, die auf städtischem Grund entstehen, eine Verpflichtung zur Errichtung von Solarstromanlagen auf den Dachflächen eingeführt. Eine entsprechende Vorlage der Stadtverwaltung wurde am 28. Juni von einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Gemeinderats aus Grünen, SPD und Linke gegen die Stimmen von CDU und "Tübinger Liste" beschlossen. Auch die FDP unterstützte die wesentlichen Teile der fünf Punkte umfassenden Beschlußvorlage. Tübingen ist damit die erste Stadt in Deutschland, die eine solche Solarpflicht einführt.
Ein ähnlicher Versuch wurde vor zehn Jahren von der hessischen Universitätsstadt Marburg unternommen. Er scheiterte aber 2010 am Verwaltungsgericht Gießen, das die Beanstandung der Solarsatzung durch das Regierungspräsidium für rechtens erklärte. Außerdem sorgte die hessische CDU/FDP-Landesregierung noch im selben Jahr für eine Änderung der Landesbauordnung, die den bisherigen Spielraum der Gemeinden in dieser Frage beseitigte. Im Unterschied zu Marburg, das die Nutzung der Solarenergie für Warmwasser und Heizung in der städtischen Satzung vorschreiben wollte, legt die baden-württembergische Universitätsstadt den absoluten Schwerpunkt auf die Photovoltaik und bedient sich zudem einer anderen juristischen Vorgehensweise.
Tübingen verankert die Pflicht zur Errichtung und Nutzung einer Dach-Solarstromanlage in den Verträgen, mit denen die Stadt ihr gehörende Grundstücke den Käufern überläßt, die darauf Gebäude errichten. Das gilt auch für Verträge der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft WIT mit gewerblichen Käufern. Zugleich wird die Verpflichtung zum Bestandteil von städtebaulichen Verträgen nach § 11 des Baugesetzes. Wenn beides nicht möglich ist, wird ersatzweise versucht, sie über den Bebauuungsplan durchzusetzen. Sie entfällt, wenn die Dachfläche für eine Solarthermieanlage genutzt wird, die alle Anforderungen des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes erfüllt, das beispielsweise in § 5 eine mindestens 15-prozentige Deckung des Wärme- und Kälteenergiebedarfs vorschreibt. Ebenso entfällt sie, wenn die Anlage technisch nicht sinnvoll oder wirtschaftlich unzumutbar ist. Außerdem gilt sie nur solange, "wie es Anbieter für Pachtmodelle auf dem Tübinger Strommarkt gibt mit denen für den Bauherren Wahlfreiheit zwischen Eigentum und Pacht gegeben ist".
In der Praxis werden die Stadtwerke Tübingen dafür sorgen, dass die zuletzt genannte Voraussetzung erfüllt ist, die der ursprünglichen Beschlußvorlage nachträglich eingefügt wurde. Die Pacht wird dann mit der monatlichen Stromrechnung bezahlt. Die Gesamtrechnung der Stromkunden soll aber noch immer um etwa zwei Cent/kWh billiger sein als beim konventionellen Strombezug aus dem Netz. Die Stadt geht davon aus, dass der Strom vom eigenen Dach etwa 15 Cent/kWh kostet, was rund halb so teuer wie Netzstrom sei. In Tübingen sei bei derzeit üblichen PV-Dachanlagen mit einem Ertrag von etwa 1.000 Kilowattstunden pro Kilowatt installierter Nennleistung zu rechnen. Die Stadtwerke bieten schon jetzt mit "swt-Energiedach" ein solches Pachtmodell an. Sie übernehmen dabei Finanzierung, Service und Wartung der netzgekoppelten Anlagen. Auf Wunsch installieren sie auch einen Batteriespeicher, mit dem sich der Eigenverbrauch erhöhen und die Stromrechnung entsprechend verringern läßt.
Mit der Solarpflicht wird in den Kaufverträgen eine bestimmte Mindestleistung der Anlagen vorgeschrieben, soweit diese "mit einem wirtschaftlich angemessenen Aufwand errichtet und betrieben werden" können. Für das Neubaugebiet am ehemaligen Güterbahnhof wurde die Verpflichtung bereits in einem städtebaulichen Vertrag mit dem Projektentwickler verankert und von diesem über die Grundstückskaufverträge weitergereicht. Nach Angaben des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer (Grüne) wird damit jedes Haus auf der sechs Hektar großen Fläche eine Solaranlage haben und insgesamt eine Nennleistung von zwei Megawatt erreicht. Seit seinem Amtsantritt 2007 seien die lokalen CO2-Emissionen bereits um ein Drittel gesenkt worden. Im Bundesdurchschnitt waren es dagegen nur etwa sieben Prozent (180611).
Der Tübinger Gemeinderat hat 2015 als Ziel beschlossen, die energiebedingten CO2-Emissionen pro Einwohner bis 2022 gegenüber 2014 um ein Viertel zu senken. Die noch verfügbaren Potenziale zur Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien sind jedoch sehr begrenzt. Nach Angaben der Stadtwerke wird die Wasserkraft mit 8,5 GWh/Jahr schon ausgeschöpft. Einer Nutzung der Windkraft stehe der Naturschutz entgegen. Das Klärgas werde mit rund 2,5 GWh/Jahrbereits vollständig verstromt. Eine Erhöhung der Strommengen aus Biogasanlagen (ca. 2,3 GWh/Jahr) sei ebenfalls nicht absehbar. Lediglich die Photovoltaik biete noch große, einfach nutzbare Möglichkeiten, um Strom lokal zu produzieren. Da von PV-Anlagen keinerlei Emissionen ausgehen, könne diese Technik nahezu überall zur Anwendung kommen. Das städtische Verteilnetz müsse zur Aufnahme der zahlreichen neuen Einspeisungen auch nicht verstärkt oder anders konfiguriert werden, da es durch den Eigenverbrauch der Erzeuger in etwa demselben Umfang entlastet werde.