November 2017

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ENERGIE-CHRONIK


 


Strom aus Balkonien: Zu den Anbietern gehört auch Greenpeace mit dem Modul "Simon" (rechts)
Foto: Greenpeace Energy

Solaranlagen sollen per Steckkontakt in häusliche Stromkreise einspeisen dürfen

Die elektrotechnischen Normen in Deutschland werden es demnächst erlauben, kleine Photovoltaik-Anlagen mit Nennleistungen bis in den Bereich von drei Kilowatt per Steckkontakt an einen der häuslichen Stromkreise anzuschließen. Damit werde den Mini-PV-Anlagen "der Weg auf Deutschlands Balkone geebnet", hieß es in einer Pressemitteilung des VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. vom 27. Oktober.

Die VDE-Normungsorganisation DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik) hatte zuvor über 300 Stellungnahmen eingeholt. Beteiligt waren Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), des Elektrohandwerks, der Versicherungswirtschaft, der Komponentenhersteller, der Netzbetreiber sowie wissenschaftlicher Institute. Die entsprechende Nationale Vornorm DIN VDE V 0100-551-1 soll auch in die europäische und internationale Normung eingebracht werden. Als nächster Schritt wird eine Produktnorm verschiedet, welche die Anforderungen an die anzuschließenden steckbaren Photovoltaikmodule festlegt.

Allerdings soll es weiterhin nicht erlaubt sein, solche Solarmodule einfach mit einem Schuko-Stecker in die normale Steckdose zu stöpseln. Stattdessen wird die Anbringung eines speziellen Steckkontakts vorgeschrieben. Ferner wird es die von der DGS geforderte Bagatellgrenze nicht geben. Unabhängig von der Überarbeitung der Normen scheinen außerdem die Verteilnetzbetreiber weiterhin zu verlangen, daß ihnen der Anschluß solcher Mini-Solaranlagen an das häusliche Stromnetz gemeldet werden muß.

Private Stromerzeugung auf dem Balkon ist schon weit verbreitet

Schon jetzt sind Solaranlagen mit Leistungen von einigen hundert Watt erhältlich, die man beispielsweise auf dem Balkon aufstellen und über einen normalen Schuko-Stecker mit der Steckdose verbinden kann. Da sie den erzeugten Gleichstrom in einphasigen Wechselstrom mit einer Spannung von 230 Volt und einer Frequenz von 50 Hertz umwandeln, können sie dann über den Steckdosen-Kontakt in einen der drei Stromkreise hinter dem häuslichen Sicherungskasten einspeisen. Beim Einschalten von Geräten, die an denselben Stromkreis angeschlossen sind, verringert sich der Bezug von Netzstrom entsprechend. Beim herkömmlichen Ferraris-Zähler läßt sich dies auch daran erkennen, daß er etwas langsamer läuft. Je nach Standort der Anlage, Sonnenscheindauer und tatsächlichem Bedarf der angeschlossenen Geräte kann das die Stromrechnung pro Jahr um einen mehr oder minder großen zweistelligen Euro-Betrag entlasten.

Solche simplen Netzanbindungen entsprechen allerdings nicht den in Deutschland geltenden Normen. Ähnlich wie bei der Verlegung von häuslichen Stromleitungen, der Anbringung von Steckdosen und Schaltern oder dem Drei-Phasen-Anschluß eines Elektroherds tauchen deshalb zumindest versicherungsrechtliche Fragen auf, falls etwas schiefgeht und die Arbeiten nicht von einer anerkannten Fachkraft ausgeführt wurden. Und diese Fachleute haben nun mal die diesbezüglichen DIN-VDE-Normen einzuhalten, nach denen bisher Mini-PV-Anlagen wie eine normale Photovoltaik-Anlage über einen gesonderten Stromkreis ins Hausnetz einspeisen und ortsfest installiert sein müssen.

Allerdings wird man es keinem Heimwerker verdenken können, wenn er diese Mindestanforderungen nicht oder nur lückenhaft aus sekundären Quellen kennt. Sie werden nämlich vom VDE "im Einzelverkauf ausschließlich in gedruckter Form angeboten", sind sündhaft teuer und dürfen ausdrücklich nicht vervielfältigt werden. Zum Beispiel kosten die 80 Seiten mit den "Technischen Mindestanforderungen für Anschluß und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz" satte 109,97 Euro. Wer das komplette VDE-Vorschriftenwerk (Normen, Vornormen, Beiblätter) erwerben möchte, muß sogar sage und schreibe 89.000 Euro ausgeben. Die jährliche Aktualisierung kostet dann nochmals zusätzlich 9.000 bis 10.500 Euro. Bei derart stolzen Preisen wird verständlich, daß der VDE-Verlag finanziell gut dasteht und sich neulich auch noch den VWEW-Energieverlag einverleiben konnte (170210).

Es droht weder Brandgefahr noch ein Stromschlag vom Stecker des Solarmoduls

Außer den Preisen scheint mitunter auch der Inhalt dieser Regelwerke revisionsbedürftig zu sein. Die bisherigen Bestimmungen für den Anschluß kleiner Photovoltaik-Anlagen an das häusliche Stromnetz erinnern jedenfalls ein bißchen an jene Zeit, als am häuslichen Telefonanschluß der Staat begann und keiner es wagen durfte, an diesen Hoheitsbereich zu rühren. Heute wird dagegen von den Telekom-Kunden geradezu erwartet, daß sie ihren Router selber einrichten und die "Reset"-Taste finden, wenn sich das Gerät wieder mal aufgehängt hat. In ähnlicher Weise scheinen die Verteilnetzbetreiber die Risiken zu übertreiben, die sich aus dem Einstöpseln von kleinen PV-Anlagen in einen häuslichen Stromkreis ergeben könnten. Tatsächlich ist dieses Risiko wohl nicht größer als beim Einstöpseln von anderen elektrischen Geräten. Auch von den blanken Stiften des Schuko-Steckers droht dabei kein Stromschlag, sofern die Erzeugungsanlage technischen Mindeststandards genügt, die in anderer Weise auch für den sicheren Betrieb von Verbrauchsgeräten erfüllt sein müssen.

Bisher verteidigte der VDE die geltende Regelung vor allem mit der Brandgefahr, die daraus entstünde, daß die vorhandenen Sicherungen nur auf den Stromfluß aus dem Netz reagieren (130501). Theoretisch könnte deshalb ein maximaler Strombezug aus dem Netz durch den zusätzlich eingespeisten Solarstrom die übliche Begrenzung der zulässigen Stromstärke auf 16 Ampère übersteigen und damit die Leitungen unzulässig erwärmen. In der Praxis wäre dieses Problem relativ leicht zu lösen, indem man die Sicherung auswechselt und sie beispielsweise auf 12 Ampère reduziert, falls die Solaranlage eine Leistung bis zu tausend Watt einspeisen kann. Nach Feststellung der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) ist aber auch das nicht nötig. Eine von ihr beauftragte Untersuchung hat ergeben, daß sich sogar bis zu 2,6 Ampère zusätzlich einspeisen lassen, ohne daß der Stromkreis überlastet wird. Das entspräche einer Solarleistung von bis zu 630 Watt. In den Niederlanden wurde eine Bagatellgrenze für die Einspeisung von 500 Watt bzw. 2,25 Ampère in Endstromkreise bereits erprobt. Auch in Österreich, der Schweiz und Portugal gibt es vereinfachte Regelungen (siehe Link).

Aufgrund von Herstellerzahlen ist zu vermuten, daß ungeachtet der normativen Hürden bereits über 20.000 Stecker-Solargeräte in Deutschland im Einsatz sind. Nach Ansicht der DGS sollte offiziell eine Bagatellgrenze von 2,6 Ampère eingeführt werden. Ferner könne auf die Pflicht zur Anmeldung beim Netzbetreiber bis zu einer Leistung von 800 Watt ohne weiteres verzichtet werden. Ebenso auf die Anbringung eines besonderen Steckkontakts: Das oft beschworene Risiko eines Stromschlags am Schuko-Stecker, mit dem die Anlagen in eine normale Steckdose eingestöpselt werden, könne bei Wechselrichtern mit NA-Schutz ausgeschlossen werden.

Grundsätzlich verweist die DGS auf Artikel 7der EU-Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt, wo es in Absatz 3 heißt: "Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass für kleine dezentrale und/oder an das Verteilernetz angeschlossene Erzeugungsanlagen besondere Genehmigungsverfahren gelten, die der begrenzten Größe und der möglichen Auswirkung dieser Anlagen Rechnung tragen." Ihre Arbeitsgruppe PV-Plug hat einen eigenen Standard erarbeitet, der den sicheren Betrieb von steckbaren Wechselstrom-Solarmodulen in normalen Haushaltsstromkreisen ermöglicht (siehe Link).

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