Februar 2018

180204

ENERGIE-CHRONIK


Bis Anfang 2017 wurde bei der Bundesnetzagentur eine Kraftwerksleistung von 19.196 MW zur endgültigen oder vorläufigen Stillegung angemeldet. Davon entfielen 42 Prozent auf Steinkohle und 40 Prozent auf Gas. Von den insgesamt 88 Kraftwerksblöcken erklärte die Behörde 22 für "systemrelevant". Damit dürfen diese Anlagen nicht stillgelegt, sondern allenfalls in die 2013 neu geschaffene "Netzreserve" überführt werden. Es handelt sich dabei vor allem um Gaskraftwerke in Süddeutschland.

Die "Kapazitätsreserve" schöpft aus demselben Reservoir an Stillegungs-Kandidaten. Sie zielt aber hauptsächlich auf die bundesweiten Überkapazitäten an Kohlekraftwerken. Nach Überwindung der Netzengpässe zwischen Nord- und Süddeutschland soll sie mit der Netzreserve zusammengeführt werden (siehe Hintergrund).

Brüssel genehmigt die "Kapazitätsreserve"

Die EU-Kommission hat am 7. Februar die "Kapazitätsreserve" gemäß § 13e des Energiewirtschaftsgesetzes genehmigt. Außerdem erklärte sie fünf weitere "Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit" in Belgien, Frankreich, Griechenland und Polen für vereinbar mit den EU-Beihilfevorschriften. Damit dürfen die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber zusätzlich zur schon bestehenden "Netzreserve" eine Kraftwerksleistung von bis zu 2 Gigawatt beschaffen, die ebenfalls außerhalb des Marktgeschehens für Notfälle bereitgehalten werden solI.

Zweifel an der netztechnischen Notwendigkeit bleiben

Während die Netzreserve sich hauptsächlich aus (Gas-)Kraftwerken in Süddeutschland rekrutiert, deren Stillegung die Bundesnetzagentur wegen ihrer "Systemrelevanz" untersagt hat, soll die Kapazitätsreserve bundesweit den Abbau von Kohle-Kapazitäten vorantreiben helfen und so dem Klimaschutz dienen. Angeblich erfüllt sie aber auch eine wichtige netztechnische Aufgabe für den Fall, daß es an genügend Strom fehlen sollte, um das Netz stabilisieren zu können. Dies rechtfertige es, die Zahlungen an die Betreiber über die Netzentgelte abzurechnen und so auf die Strompreise abzuwälzen. Der einstige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bemühte dazu mehrfach den Vergleich mit einem "Hosenträger", der zusätzlich zum bereits vorhandenen "Gürtel" der Netzreserve einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leistet (150301, 150701). Außerdem ließ er wissen, daß längerfristig geplant sei, die Netzreserve mit der Kapazitätsreserve zu "verzahnen" bzw. auslaufen zu lassen (siehe Hintergrund). Trotz der nun erfolgten Genehmigung durch die EU-Kommission gibt es weiterhin starke Zweifel an der netztechnischen Begründung der zusätzlichen Kraftwerksreserve.

Ministerium kann jetzt Ausführungsbestimmungen erlassen

Das Bundeswirtschaftsministerium will nun auf Grundlage der Brüsseler Entscheidung zügig den rechtlichen Rahmen für die Ausschreibung der Reserve schaffen. Die Genehmigung gilt für drei Kontrahierungsperioden von jeweils zwei Jahren von 2019 bis 2025. Die erste Kontrahierungsphase soll am 1. Oktober 2019 beginnen. Das Ministerium unterstrich nochmals, dass die Reserve nur dann zum Einsatz komme, "falls es trotz freier Preisbildung aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse einmal nicht zur Deckung von Angebot und Nachfrage kommen sollte". In einem solchen Fall werde dann den Stromlieferanten, die ihre Lieferverpflichtungen nicht erfüllt haben, eine Strafzahlung von mindestens 20.000 Euro pro Megawattstunde auferlegt. Dadurch ergebe sich ein starker Anreiz, die Lieferverpflichtungen über Termingeschäfte oder Vereinbarungen mit den Kunden frühzeitig abzusichern und somit die Reserve erst gar nicht zum Einsatz kommen zu lassen (diese Ankündigung ist an sich nichts neues, sondern bereits in dem "Weißbuch" enthalten, das Gabriel im Juli 2015 vorgelegt hat).

"Sicherheitsbereitschaft" für acht Braunkohle-Blöcke wurde schon im Mai 2016 gebilligt

Die Kapazitätsreserve wurde als Bestandteil des sogenannten Strommarktgesetzes im Juni 2016 vom Bundestag beschlossen (160604). Sie ist zu unterscheiden von der "Sicherheitsbereitschaft" der acht Braunkohlekraftwerke, die gemäß § 13g EnWG auf Kosten der Stromverbraucher eingemottet werden, um angeblich im äußersten Notfall aktiviert werden zu können. Diese Maßnahme, die anfangs ebenfalls Bestandteil des Konzept "Kapazitätsreserve" war (150701), wurde bereits im Mai 2016 von der Kommission gebilligt (160503). Frei vom Beihilfeverdacht sind inzwischen auch die neugefaßten Bestimmungen zur Netzreserve aus "systemrelevanten" Kraftwerken gemäß § 13d EnWG und die zweite "Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten" (160610).

 

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