April 2016 |
160404 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) kann keinen Schadenersatz dafür verlangen, daß sie ihre Kernkraftwerke Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 im März 2011 aufgrund des sogenannten Moratoriums der Bundesregierung abgeschaltet hat. Am 6. April wies das Landgericht Bonn eine entsprechende Klage ab, die der südwestdeutsche Energiekonzern Ende 2014 eingereicht hat (141208).
Nach der Katastrophe, die am 11. März 2011 im japanischen Kernkraftwerk Fukushima begann, hatte die Bundesregierung die sofortige Abschaltung der sieben ältesten Kernkraftwerke für die Dauer von drei Monaten beschlossen, wofür es weder einen sachlichen Grund noch eine ausreichende Rechtsgrundlage gab (siehe Hintergrund). Die sieben Reaktoren gingen danach nie mehr in Betrieb, da mit dem neugefaßten Atomgesetz, das am 6. August 2011 in Kraft trat, ohnehin ihre Abschaltung verfügt wurde.
Nachdem die Rechtswidrigkeit des Vorgehens von Bundes- und Landesregierung aufgrund einer Klage des RWE-Konzerns durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht festgestellt worden war (140110), verlangte die EnBW insgesamt 261.191.024,49 Euro Schadenersatz. Sie wollte dabei nicht nur für die Zeit vom 16./17. März bis zum 16. Juni 2011 entschädigt werden, in der die beiden Reaktoren aufgrund des Moratoriums stillstanden, sondern auch für die anschließende Zeit bis zum 6. August 2011, an dem das neue Atomgesetz in Kraft trat.
Allerdings war RWE der einzige der vier betroffenen KKW-Betreiber, der sich unverzüglich gegen das Moratorium zu Wehr setzte. Die EnBW bekundete zwar in einer Stellungnahme vom 13. April 2011 erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen, beschloß aber doch den Verzicht auf Rechtsmittel, weil die "kurzfristigen wirtschaftlichen Nachteile" von geringerem Gewicht seien als "der langfristige Erhalt der Kundenbeziehungen und die Akzeptanz des Unternehmens in der Gesellschaft und bei politischen Entscheidungsträgern" (110403). Erst Ende 2014 überlegte sie es sich anders und reichte die Schadenersatzklage beim Landgericht Bonn ein. Der Grund dafür war offensichtlich, daß die RWE-Klage so erfolgreich verlief und auch E.ON mittlerweile nachträglich Schadenersatz für die drei Monate des Moratoriums haben wollte (141002). Am Ende summierten sich die Schadenersatzforderungen der drei KKW-Betreiber auf 882 Millionen Euro (150102) .
Das Landgericht Bonn sah bei dieser Sachlage keinen Amtshaftungsanspruch gegen das Land Baden-Württemberg, der sich aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG ergeben könnte. Es hielt der EnBW vor, daß sie es schuldhaft unterlassen habe, den Schaden durch die Einlegung eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Es sei ihr von Anfang an zumutbar gewesen sei, ebenfalls Anfechtungsklage zu erheben. Drohende Konsequenzen wie Kundenverlust und Imageschäden seien unternehmenspolitische und strategische Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung im rechtlichen Sinne nicht begründen könnten. Soweit die EnBW auch Schäden nach dem 16. Juni 2011 geltend macht, fehle es an der Kausalität der Anordnungen des Landes Baden-Württemberg, die für drei Monate befristet waren und diesen Zeitraum daher nicht betreffen.
Das Gericht verneinte auch einen Schadenersatzanspruch der EnBW gegenüber der Bundesregierung. Die Abschaltungsverfügung sei nicht von der Bundesrepublik Deutschland erlassen wurden, sondern durch das Land Baden-Württemberg. Hierbei könne es dahinstehen, ob die Anordnungen des Bundeslands auf einer Weisung des Bundes beruhen, da im Falle der Bundesauftragsverwaltung im Sinne des Art. 85 GG nach außen stets das jeweilige Bundesland verantwortlich sei und hafte. Falls das Bundesland eine rechtswidrige Weisung ausführe und insoweit auf Schadensersatz in Anspruch genommen werde, könne es diesen Schaden im Innenverhältnis dem Bund gegenüber geltend machen.
Über die ähnliche gelagerte Klage des E.ON-Konzerns, der wegen der Abschaltung seiner Kernkraftwerke Unterweser und Isar 1 knapp 380 Millionen Euro vom Bund oder den Ländern Niedersachsen und Bayern haben möchte, wird das Landgericht Hannover am 4. Juli entscheiden. Dies gab der Vorsitzende Richter Martin Schulz am 28. April bekannt. "Wir haben Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klage", erklärte er bei der anderthalbstündigen Verhandlung. Der KKW-Betreiber müsse sich fragen lassen, weshalb er gegen die erlassenen Abschaltungs-Verfügungen nicht sofort den Rechtsweg beschritten hatte.