Dezember 2013 |
131210 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach einer Phase der Annäherung an die EU haben sich die Machthaber der Ukraine wieder stärker Rußland zugewandt. Am 17. Dezember unterzeichneten die Staatskonzerne Gazprom und Naftogas in Anwesenheit des russischen Präsidenten Putin und des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch eine Vereinbarung, die den Preis für die russischen Erdgas-Lieferungen von etwa 450 Dollar pro tausend Kubikmeter auf 268,50 Dollar senkt. Ferner gewährt der Kreml der Ukraine eine Finanzhilfe von 15 Milliarden Dollar, indem er von dieser Staatsanleihen kauft.
Den Kurswechsel hatte das Regime in Kiew bereits am 21. November eingeleitet, indem es überraschend den Verzicht auf ein seit Jahren vorbereitetes Assoziierungsabkommen mit der EU erklärte. Das Abkommen sollte am 28. November auf einem Gipfel der EU mit ihren östlichen Nachbarn (Ukraine, Moldawien, Georgien, Weißrußland, Armenien und Aserbaidschan) in der litautischen Hauptstadt Vilnius unterzeichnet werden. Eine Woche vor diesem Gipfel ordnete die ukrainische Regierung in einem Dekret die "Suspendierung des Vorbereitungsprozesses" an. Dies sei erforderlich, "um die nationalen Sicherheitsinteressen zu wahren und die wirtschaftlichen Beziehungen zu Rußland zu beleben und den inneren Markt auf Beziehungen auf gleicher Augenhöhe mit der EU vorzubereiten".
Die verstärkte Hinwendung des Janukowitsch-Regimes zu Rußland bewirkte in der ukrainischen Hauptstadt Kiew die größten Massendemonstrationen seit der "orangenen Revolution", durch die 2004 der Kreml-Günstling Janukowitsch gestürzt worden war. Die Proteste hielten bis zum Jahresende an. Zuletzt versammelten sich am 29. Dezember Zehntausende auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew und forderten Neuwahlen. Zum Sprecher der Opposition machte sich der frühere Boxweltmeister Vitali Klitschko. Unter anderem verlangte er die Freilassung der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die in einem Schauprozeß zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, nachdem Janukowitsch im Februar 2010 durch einen knappen Wahlsieg wieder an die Macht gelangt war (111017).
Der Kreml hatte 2010 den Machtwechsel in Kiew honoriert, indem er den überaus hohen Gaspreis für die Ukraine, den er mit einem zweiwöchigen Stopp der Lieferungen nach Westeuropa erpreßt hatte (090101), wieder stark ermäßigte. Offiziell wurde der Rabatt als Ausgleichszahlung für die weitere Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim deklariert (100402). Nach Angaben des ukrainischen Energieministeriums verringerte sich so zuletzt der Preis für tausend Kukibmeter Erdgas von offiziell 550 auf 450 Dollar.
Die Ukraine konnte aber auch diesen ermäßigten Preis auf Dauer nicht zahlen. Sie hielt deshalb Ausschau nach anderen Energiequellen. Im Januar 2013 erlaubte sie dem Shell-Konzern die Erschließung und Ausbeutung von Schiefergas-Vorkommen (130111). Außerdem verringerte sie die Gasbezüge aus Rußland, soweit dies möglich war. Der Kreml bestand demgegenüber auf der Abnahme der vorgesehenen Mengen. Schon Anfang 2013 verlangte die Gazprom hohe Strafzahlungen. Ende Oktober warf der russsische Ministerpräsident Medwedjew der Ukraine vor, Gasrechnungen über 882 Millionen Dollar nicht bezahlt zu haben. Bei dieser Neuauflage des Gaskonflikts ging es offenbar in erster Linie darum, den Kreml-Günstling Janukowitsch derart unter Druck zu setzen, daß er auf das vorgesehene Assoziierungsabkommen mit der EU verzichtete.
Parallel zum Assoziierungsabkommen hatte die Ukraine unterdessen mit der EU ein unterschriftsreifes Abkommen ausgehandelt, das Gaslieferungen aus dem Westen ermöglichen sollte. Technisch wäre das mit dem bestehenden Pipeline-System realisierbar, indem einige der Transit-Röhren, die von der Ukraine durch die Slowakei nach Westeuropa führen, durch "Schubumkehr" zum Gastransport in der Gegenrichtung befähigt werden. Es gab sogar bereits einen Rahmenvertrag mit dem RWE-Konzern über den Bezug von bis zu 10 Milliarden Kubikmeter jährlich. Damit hätte mehr als ein Drittel des für 2013 vorgesehenen Importvolumens der Ukraine aus dem Westen eingespeist und die totale Abhängigkeit des Landes von Rußland beendet werden können. Das Abkommen über die Gaslieferungen aus der EU sollte zusammen mit dem Assoziierungsabkommen auf dem Gipfel in Vilnius unterzeichnet werden. Die Lieferungen hätten in der zweiten Jahreshälfte 2014 begonnen.
Die Kraftprobe zwischen der EU und Rußland erreichte damit ihren Höhepunkt. Zugleich bahnte sich das Ende der Schaukelpolitik an, mit der das Janukowitsch-Regime bisher beide Seiten zu optimalen Zugeständnissen bewegen wollte. Mit der überraschenden Absage des Assoziiierungsabkommens konnte der Kreml die Kraftprobe zu seinen Gunsten entscheiden. Ihm kam dabei zustatten, daß es Janukowitsch letztendlich nur ums eigene Überleben geht und daß er die dafür notwendige Unterstützung sicher eher in Moskau als in Brüssel findet.