April 2013

130403

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Auf einer Pressekonferenz in der Landesvertretung Niedersachsen stellten Vertreter der Länder und Parteien am 9. April in Berlin das Ergebnis ihrer Verhandlungen vor. Das Bild zeigt von links nach rechts den sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU), den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), die CDU-Bundestagsabgeordnete Maria Flachsbarth, Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), die FDP-Bundestagsabgeordnete Angelika Brunkhorst und den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin.

Foto: BMU/Thomas

"Standortauswahlgesetz" kann noch vor der Sommerpause beschlossen werden

Der Kompromiß zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, den Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) im März mit der rot-grünen Landesregierung Niedersachsens ausgehandelt hat (130308), kann jetzt im Bundestag wie im Bundesrat mit breiter Zustimmung rechnen. Am 9. April haben sich Bund, Länder und Parteien darauf verständigt, daß der Entwurf für ein "Standortauswahlgesetz" – so die neue Bezeichnung anstelle von "Standortsuchgesetz" oder "Endlagersuchgesetz" – so schnell wie möglich in den Bundestag eingebracht und noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet wird. Der Kompromiß wird damit von sämtlichen Bundesländern und vier der fünf Bundestagsfraktionen unterstützt (die Linke war an den Verhandlungen nicht beteiligt). Am 24. April wurde der vereinbarte Gesetzentwurf auch vom Bundeskabinett verabschiedet.

Sichere Endlagerung muß für eine Million Jahre gewährleistet sein

Der Gesetzentwurf enthält in Artikel 1 das eigentliche "Standortauswahlgesetz" (siehe Link), in Artikel 2 damit verbundene Änderungen des Atomgesetzes und in Artikel 3 das Gesetz über die Errichtung einer besonderen Regulierungsbehörde. Gemäß § 1 ist es Ziel des Gesetzes, einen Standort zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle zu finden, der die bestmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet. § 3 regelt die Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission, deren 24 Mitglieder einvernehmlich von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Die Kommission soll bis Ende 2015 Vorschläge zum Standortauswahlverfahren erarbeiten, denen mindestens zwei Drittel ihrer Mitglieder zustimmen. § 6 ernennt das Bundesamt für Strahlenschutz zum "Vorhabenträger" und § 7 überträgt einer neu zu schaffenden Behörde die Regulierung des Standortauswahlverfahrens.

Am Ende des Auswahlverfahrens folgt die "untertägige Erkundung"

Nach § 13 hat das Bundesamt für Strahlenschutz als "Vorhabenträger" zunächst solche Standorte zu ermitteln, die sich nicht für eine Endlager eignen. Es unterbreitet dann der Regulierungsbehörde bzw. der Bundesregierung einen Vorschlag, welche der verbleibenden Standorte in Betracht kommen. Diese werden in einem zweistufigen Verfahren – jeweils auf Grundlage eines entsprechenden Bundesgesetzes – zunächst übertägig und dann untertägig erkundet (§§ 14 - 18). Nach Abschluß der Untersuchungen trifft die Regulierungsbehörde bzw. das Bundesumweltministerium eine endgültige Standortentscheidung, die aber ebenfalls der Zustimmung des Parlaments bedarf (§§ 19 - 20).

Gorleben steht faktisch weiterhin an vorderster Stelle der möglichen Standorte

Gemäß § 21 wird der Salzstock Gorleben wie jeder andere in Betracht kommende Standort in das Auswahlverfahren einbezogen. Er darf aber nicht als Referenzstandort dienen, und es darf auch nicht in die vergleichende Bewertung einfließen, daß hier bereits eine milliardenteure Infrastruktur zur Errichtung eines Endlagers geschaffen wurde. Die Vorarbeiten im Salzstock Gorleben werden mit Inkrafttreten des Gesetzes beendet. Auch der Betrieb eines Forschungslabors zur standortunabhängigen Erforschung von Salz als Wirtsgestein ist nicht mehr zulässig. Das sogenannte Erkundungsbergwerk wird aber bis zur endgültigen Standortentscheidung offengehalten.

Gorleben steht damit nach wie vor an vorderster Stelle der möglichen Standorte für ein Endlager. Ändern würde sich das nur, falls im Zuge des Standortsuchverfahrens die Bund-Länder-Kommission und die Behörden, denen sie zuarbeitet, völlig neue Auswahlkriterien aufstellen würden. Zum Beispiel müßte Gorleben von der Liste der möglichen Standorte gestrichen werden, wenn die Rückholbarkeit der hochradioaktiven Abfälle postuliert würde, da bei der Endlagerung in Salzstöcken eine Rückholbarkeit nicht gegeben ist.

Freie Hand für massive Öffentlichkeitsarbeit

Damit die Endlagersuche nicht nur durch Parlamentbeschlüsse legitimiert wird, verpflichten die §§ 8 - 11 die Bundesregierung, den Vorhabenträger und die Regulierungsbehörde zur umfassenden und systematischen Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Ziele des Vorhabens, die Mittel und den Stand seiner Verwirklichung sowie seine voraussichtlichen Auswirkungen. Dies soll durch Versammlungen, Bürgerdialoge, über das Internet und durch andere geeignete Medien geschehen. – Diese Verpflichtung kann freilich auch negativ als Freibrief gesehen werden, die Verschleuderung von Steuergeldern für Regierungspropaganda, wie sie bereits gang und gäbe ist, noch ein Stück auszuweiten.

Kosten werden vorläufig auf über zwei Milliarden Euro geschätzt

In der Begründung des Gesetzentwurfs werden die Kosten des gesamten Standortauswahlverfahrens auf gut zwei Milliarden Euro geschätzt. Davon entfallen jeweils 100 Millionen auf die angenommene übertägige Erkundung von fünf Standorten und jeweils 500 Millionen auf die angenommene untertägige Erkundung von zwei Standorten. Die Kosten für die 15-jährige Offenhaltung des Erkundungsbergwerks Gorleben werden mit 450 Millionen beziffert. Bei verkürzter Offenhaltung kämen zu den jährlichen Kosten von etwa 30 Millionen Euro noch Rückbaukosten in Höhe von 150 Millionen. Für die Arbeiten der Kommission sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Durchführung des Standortauswahlverfahrens werden die über einen Zeitraum von 15 Jahren anfallenden Kosten auf jährlich 26 Millionen veranschlagt.

Endlagerung deutschen Atommülls im Ausland kommt nicht in Frage

Außerhalb des vorliegenden Gesetzentwurfs haben die Verhandlungspartner vereinbart, daß die Castor-Transporte ins Zwischenlager Gorleben eingestellt und die im Ausland lagernden radioaktiven Abfälle in andere Zwischenlager gebracht werden. Am 24. April fand dazu ein erstes Gespräch zwischen Bundesumweltminister Altmaier und den vier Zwischenlager-Betreibern statt. Allerdings verlief es anscheinend ergebnislos. Ferner besteht Einigkeit darüber, daß die Verbringung hochradioaktiver Abfälle zur Endlagerung ins Ausland – also der Export von Atommüll, wie ihn die neue EU-Richtlinie zuläßt (110707) und wie ihn schon früher Frankreich praktizierte (091006) – für Deutschland nicht in Frage kommt. "Eine Entsorgung in anderen Ländern und ein Export von radioaktiven Abfällen zur Endlagerung kommen nicht in Betracht", heißt es auch im Vorblatt des Gesetzentwurfs. Garantien für diese Zusagen gibt es aber offenbar weder im Gesetz selber noch an anderer Stelle.

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