November 2010 |
101102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Läßt man beim Vergleich der europäischen Strompreise die staatlich verursachten Belastungen beiseite, so rangiert Deutschland schon bisher über dem EU-Durchschnitt von 12,23 Cent/kWh für Haushalte und 9,18 Cent/kWh für Industrie. |
Die deutschen Stromversorger haben die Explosion der EEG-Umlage (101001) zum Anlaß und Vorwand für "Preisanpassungen" genommen, die teilweise weit über die tatsächliche Mehrbelastung hinausgehen und Kostensenkungen an anderer Stelle unberücksichtigt lassen. Nach einer vorläufigen Übersicht müssen mehr als die Hälfte aller Haushalte in Deutschland im kommenden Jahr deutlich mehr bezahlen. Im Schnitt beträgt die Preissteigerung 7,0 Prozent. Zum Teil gibt es aber auch Erhöhungen um 14 Prozent und mehr.
Schrittmacher unter den fast 350 Stromversorgern, die zu Anfang Dezember oder zum neuen Jahr die Preise erhöhen, sind die Vertriebe der Großstromerzeuger. Der RWE-Konzern, der erst im Juni um mehr als sieben Prozent erhöht hat (100610), verlangt nun ab Jahresbeginn erneut vier Prozent mehr. Dabei war schon die erste Preiserhöhung ungerechtfertigt, wie ein Gutachten feststellte (100801). Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) erhöht ab Januar um fast zehn Prozent, womit sie ihren Kunden zum achten Mal binnen neun Jahren zusätzlich in die Tasche greift (siehe Grafik). Gleichzeitig will Vattenfall fast zehn Prozent mehr verlangen. Nur der E.ON-Konzern, der bereits zum 1. April kräftig zugelangt hatte (100202), hielt sich vorläufig noch zurück.
Wie üblich werden die Preiserhöhungen mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz begründet (100507) und der Anschein erweckt, als seien es unmittelbar die wachsenden Einspeisungsvergütungen, die den starken Anstieg der EEG-Umlage verursacht hätten. Von der Umstellung des EEG-Ausgleichsverfahrens als Hauptursache der explodierende Umlage ist weiterhin keine Rede (101001). Bemerkenswert ist auch, daß die Brennelementesteuer, die ab Januar in Kraft tritt, noch nicht in der Argumentation auftaucht. Man spart sich diese Begründung anscheinend für die nächste Preiserhöhung auf, denn aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie von den Kernkraftwerksbetreibern ebenfalls auf die Strompreise überwälzt und muß so von den Verbrauchern bezahlt werden. Bisher haben sowohl die Bundesregierung als auch alle Bundestagsparteien diesen Effekt entweder ignoriert, bestritten oder zu einer angeblich unbedeutenden Überwälzung verharmlost (100704). Falls dem tatsächlich so wäre, würden aber zumindest die Kommunen spürbare Einbußen bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer erleiden, was auf Umwegen dann wieder die Verbraucher belastet (101106).
In einem internen Schreiben an den Beirat der Bundesnetzagentur bezeichnete Behördenchef Matthias Kurth die Überwälzung der gestiegenen EEG-Umlage auf die Verbraucher als "sachlich nicht gerechtfertigt". Laut FAZ (29.11.) sieht er sogar einen Spielraum für Preissenkungen in der Größenordnung von drei Cent je Kilowattstunde. Bereits am 15. Oktober hieß es in einer Pressemitteilung der Behörde, daß nach ihren Berechnungen der Beschaffungskostenanteil bei den Haushaltskunden 2011 durchschnittlich um etwa einen halben Cent pro Kilowattstunde sinken müsse.
Gegenüber dem ZDF-Wirtschaftsmagazin "Wiso" (22.11.) äußerte sich Kurth zurückhaltender. Er sprach lediglich allgemein davon, daß es Anbieter gäbe, "die jetzt die Erhöhung der Umlage für erneuerbare Energien nutzen, um überzogene Preisforderungen zu stellen". Er empfahl den Verbrauchern, die Preise der Stromanbieter zu vergleichen und gegebenenfalls den Versorger zu wechseln. Kurth übersah bei diesem wohlfeilen Ratschlag allerdings wieder mal, daß Konkurrenz und begrenzte Preisspielräume auf der Vertriebsebene nichts am fehlenden Wettbewerb bei der Erzeugung ändern und deshalb auch ein ständiger Wechsel des Stromversorgers die Verbraucher nicht davor bewahrt, ständig steigende Preise bezahlen zu müssen (101007, 101008).
Acht Erhöhungen binnen neun Jahren: Ein EnBW-Kunde, dessen Stromrechnung sich 2002 auf 46,99 Euro belief – das waren laut BDEW die Durchschnittskosten für einen Drei-Personen-Haushalt - , muß ab Januar 69,16 Euro bezahlen. Das ist ein Anstieg um 47 Prozent.
Die DB Energie will in ihrem separaten Netz die Preise für Bahnstrom ab 2011 ebenfalls um sieben Prozent erhöhen, obwohl ihr Strom von der explodierenden EEG-Umlage gar nicht betroffen ist, da er der "besonderen Ausgleichsregelung für stromintensive Unternehmen und Schienenbahnen" nach §§ 40 - 44 EEG unterliegt. Ersatzweise bemühte sie in Schreiben an die Kunden die "erheblichen Zusatzbelastungen", die ihr durch die verlängerten Laufzeiten für Kernkraftwerke, die Nachrüstung von Reaktoren und die Gelder für den Klimafonds entstünden. Eigenen Angaben zufolge bezieht die DB Energie 24,3 Prozent ihres Stroms aus Kernenergie. Den Rest decken fossil befeuerte Kraftwerke (54,4 Prozent) und erneuerbare Stromquellen (21,3 Prozent).
Allzu ungeniert darf die DB Energie allerdings nicht zugreifen, da sie sonst mit Konkurrenz durch andere Stromanbieter zu rechnen hätte, die über elektronische Stromrichter ins 16,7-Hertz-Netz der Bahn einspeisen. Soeben hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß sie ihre Netzentgelte wie andere Netzbetreiber von der Bundesnetzagentur kontrollieren lassen muß (101117).
Die Preiserhöhung der DB Energie sei "ganz klar ein Angriff auf den Wettbewerb", erklärte der Chef des privaten Bahnunternehmens Keolis, das im westfälischen Raum um Bielefeld etliche Linien betreibt und dem gleichnamigen französischen Verkehrskonzern gehört. "Damit setzt die DB die Strategie fort, bei ihren Konkurrenten abzukassieren, um die Gewinne aus dem Netz in die Konzernholding abführen zu können."