Oktober 2004

041008

ENERGIE-CHRONIK


Temelin im Vollbetrieb - Über siebzig Pannen seit Inbetriebnahme

Die tschechische Atomaufsichtsbehörde SUJB erteilte am 11. Oktober dem Kernkraftwerk Temelin die Genehmigung für den Vollbetrieb. Da es bisher seit der Inbetriebnahme der Anlage zu über siebzig Pannen kam, löste die Genehmigung im benachbarten Österreich erneut Proteste und politische Kontroversen aus. Am 16. Oktober blockierten österreichische Kernkraftgegner drei Stunden lang den Grenzübergang Wullowitz nach Tschechien.

Bisher befand sich das Kernkraftwerk Temelin im Probebetrieb. Für Block 1 begann der Probebetrieb im Oktober 2000 (001019) und für Block 2 im Juni 2002 (020611). Seit April 2003 speisen beide Blöcke - unterbrochen von zahlreichen Pannen und daraus resultierenden Abschaltungen - ins Netz des tschechischen Stromversorgers CEZ ein (030418). Die Genehmigungen für den Vollbetrieb der Blöcke sind bis 2010 bzw. 2012 befristet.

In Österreich kam es zwischen Regierung und Opposition zu einer Kontroverse darüber, ob die jetzt erteilte Genehmigung gegen die Vereinbarungen verstößt, auf die sich Wien und Prag Ende 2000 zur Beilegung des Konflikts um das grenznahe Kernkraftwerk geeinigt hatten (000913). Nach Meinung der österreichischen Regierung handelt es sich noch um keine endgültige Genehmigung für den kommerziellen Dauerbetrieb. Insoweit sei das Abkommen von Melk bzw. der sogenannte "Melker Prozess" nicht betroffen. Die Oppositionsparteien sehen dagegen in der jetzt erteilten Genehmigung einen klaren Bruch der damals getroffenen Vereinbarungen. Das Melker Abkommen sei von Anfang an nur als "Placebo" gedacht gewesen, erklärte ein SPÖ-Sprecher. Die Grünen warfen der Regierung "unerträgliche Schönfärberei" vor.

Das Melker Abkommen sieht für Temelin eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach europäischen Standards unter Aufsicht der EU vor. Weitere Bestandteile der damals getroffenen Vereinbarung sind die Einrichtung einer österreichischen Meßstation in unmittelbarer Nähe von Temelin, eine Hotline für Störfälle, der Aufbau eines Frühwarnsystems und die Einsetzung einer Expertenkommission aus Vertretern Österreichs, Tschechiens und der EU.

Über siebzig Pannen seit Inbetriebnahme

Vier Tage vor der Genehmigung für den Vollbetrieb ereignete sich in Temelin die 71. Panne seit der Inbetriebnahme der Anlage: Nur wenige Stunden nach Abschluß einer zweiwöchigen Reparatur am Kühlsystem mußte der Block 1 wegen eines Lecks im Kühlkreislauf erneut abgeschaltet werden. Die Atomaufsichtsbehörde SUJB kündigte daraufhin eine Untersuchung beider Blöcke an. Die SUBJ-Leiterin Dana Drabova räumte eine "unnormal" hohe Anzahl technischer Probleme ein. Sie bestritt aber, daß dies ein nukleares Sicherheitsrisiko bedeute. Die Pannenserie betreffe nur den konventionellen Teil des Kernkraftwerks.

Die "Frankfurter Rundschau" (8.10.) charakterisierte die Anlage in Temelin als "Patchworkmeiler, der russische Reaktoren, eine tschechische Turbine und eine US-Steuerung hat". An den daraus resultierenden Grundproblemen - "die falsch ausgelegte Turbine eiert, Druckventile sind falsch eingebaut, das Notkühlsystem ist nicht ausreichend getestet" - werde auch die von der Atomsicherheitsbehörde angekündigte Untersuchung nichts ändern.