April 2006 |
060404 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der russische Gasmonopolist Gazprom hat die EU-Staaten davor gewarnt, seine Aktivitäten auf dem westeuropäischen Markt zu beschränken. Aktueller Anlaß war ein Bericht der "Financial Times" (16.4.), wonach die britische Regierung eine Gesetzesänderung diskutiere, um die Übernahme des führenden britischen Gasverteilers Centrica durch Gazprom zu verhindern.
Nachdem der Bericht der "Financial Times" erschienen war, fand auf Verlangen von Gazprom-Chef Alexej Miller am 18. April in der österreichischen Botschaft in Moskau ein kurzfristig anberaumtes Treffen mit den EU-Botschaftern statt. Miller begnügte sich nicht mit diesem Meinungsaustausch hinter verschlossenen Türen, sondern ließ noch am selben Tag eine Pressemitteilung über das Treffen verbreiten, deren Schlüsselsatz lautete: "Der Wettbewerb um Energie-Ressourcen nimmt zu. Es ist notwendig festzuhalten, dass Versuche, die Aktivitäten von Gazprom am europäischen Markt einzuschränken und Fragen der Gasversorgung zu politisieren, die in Wahrheit ausschließlich wirtschaftlicher Natur sind, zu keinen guten Ergebnissen führen werden." (siehe Wortlaut)
Miller betonte zwar, daß geltende Lieferverträge erfüllt würden. Zugleich drohte er aber mit der Verlagerung der russischen Erdgaslieferungen auf andere Märkte. Gazprom sei dabei, "aktiv neue Absatzmärkte wie Nordamerika und China zu entwickeln". Als Musterbeispiel für das von Gazprom angestrebte Verhältnis zu Westeuropa lobte er das Projekt der Erdgas-Pipeline durch die Ostsee, bei dem der deutsche Bundeskanzler Schröder und Kremlchef Putin Pate gestanden hatten.
Die Aussagen des Gazprom-Chefs seien als Drohung zu verstehen, meinte der Sprecher von EU-Energiekommissar Andris Piebalgs, Ferran Tarradellas, gegenüber der österreichischen Wirtschaftszeitung "Der Standard" (20.4.). Wenn Gazprom in Westeuropa investieren wolle, müsse es westeuropäischen Unternehmen ebenso möglich sein, in Rußland zu investieren. Diese Gleichheit der Bedingungen sei aber derzeit nicht gegeben.
Vermutlich hat Gazprom mit seiner Drohung die Bestrebungen für eine gemeinsame "Energie-Außenpolitik" der EU-Staaten eher noch gestärkt. Vor allem die osteuropäischen EU-Mitglieder sehen die Gefahr einer übergroßen Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen und verlangen politische Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung (060307, 060101). Zugleich strebt die EU-Kommission nach mehr Einfluß auf die nationale Energiepolitik der Mitglieder, wobei eines ihrer Hauptargumente ebenfalls die Erhöhung der Versorgungssicherheit ist (060305).
Bei einem Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kremlchef Putin, das am 27. April in der sibirischen Stadt Tomsk stattfand, waren beide Seiten bemüht, die Differenzen herunterzuspielen und stattdessen die neue Partnerschaft zwischen BASF und Gazprom (060403) in den Vordergrund zu stellen. Putin versicherte, daß von einer Begrenzung russischer Gaslieferungen nach Europa keine Rede sein könne. Schließlich habe auch die ehemalige Sowjetunion stets ihre Lieferverpflichtungen erfüllt, und das zu Zeiten des Kalten Kriegs. Man dürfe es Rußland aber nicht verübeln, wenn es angesichts drohender Zugangsbeschränkungen in Westeuropa nach anderen Märkten Ausschau halte. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, der die Kanzlerin mit einem großen Teil des Kabinetts nach Tomsk begleitet hatte, sprach von "atmosphärischen Störungen", die behoben seien. (SZ, 28.4.)