Oktober 2000

001003

ENERGIE-CHRONIK


E.ON und RWE verkünden Stillegung von 10 000 Megawatt Kraftwerksleistung

Die größten deutschen Stromproduzenten E.ON und RWE wollen in erheblichem Umfang Kraftwerkskapazitäten abbauen. Es handelt sich dabei um Kraftwerke, die nicht mehr rentabel eingesetzt bzw. als Reserve vorgehalten werden können. Neben konventionellen Wärmekraftwerken stehen auch die Kernkraftwerke Stade und Mülheim-Kärlich auf der Streichliste. Insgesamt handelt es sich um eine Leistung von ca. 10 000 Megawatt (MW). Beide Unternehmen begründen ihre Entscheidung mit "Überkapazitäten" im liberalisierten deutschen und europäischen Strommarkt. Die am Markt erzielbaren Erlöse würden dadurch oft unter die Stromerzeugungskosten gedrückt. Zugleich wollen beide Unternehmen die Rationalisierungsmöglichkeiten nutzen, die sich aus der Zusammenlegung der früheren Kraftwerkparks von PreussenElektra und Bayernwerk bzw. RWE Energie und VEW Energie ergeben. Hinzu kommt, dass unter dem Druck des Wettbewerbs die notwendigen Reserven und Redundanzen für einen störungsfreien Netzbetrieb heute knapper veranschlagt werden als früher. Traditionell habe Deutschland eine weltweit überdurchschnittliche Versorgungssicherheit, hieß es dazu in einer Stellungnahme der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW). Diese werde jetzt "auf ein geringeres, aber immer noch sehr zuverlässiges Niveau zurückgefahren".

KKW Stade soll 2003 vom Netz gehen

Am 9.10. kündigte die E.ON Energie an, ihre Kraftwerksleistung von derzeit insgesamt 30 000 MW um rund 4 800 MW zu verringern. Darunter befindet sich das 28 Jahre alte Kernkraftwerk Stade (625 MW). Es soll im Jahr 2003 abgeschaltet werden. Ansonsten sollen Stillegungen und Konservierungen überwiegend schon im nächsten Jahr erfolgen. Endgültig stillgelegt werden demnach die Blöcke 5 und 7 in Arzberg (Braunkohle/222 MW), die Blöcke 21 und 31 in Aschaffenburg (Steinkohle/293 MW), die Blöcke 1 und 2 des Kraftwerks Franken II (Steinkohle/412 MW), noch nicht näher bezeichnete Blöcke der Kraftwerksgruppe West im Ruhrgebiet (Steinkohle/400 MW), Block C in Offleben (Braunkohle/280 MW) und Block D in Schwandorf (Braunkohle/292 MW).

Außerdem will E.ON folgende Anlagen vom Betrieb in den Konservierungszustand überführen: Block 6 in Arzberg, Block 4 in Emden, Block 2 in Pleinting und Block 2 in Großkrotzenburg. Der Betrieb von Block 1 in Großkrotzenburg (Kraftwerk Staudinger) wird auf den Winter beschränkt. Die bereits bestehende Langzeitkonservierung von Blöcken in Irsching und Pleinting bleibt erhalten.

Die Stillegung des Kernkraftwerks Stade erfolgt im Einvernehmen mit den HEW, die zu einem Drittel an dem Druckwasserreaktor aus dem Jahr 1972 beteiligt sind. Begründet wird sie ebenfalls mit dem Verfall der Strompreise: Dadurch sei die bisherige Wirtschaftlichkeit des KKW Stade nicht mehr gegeben. Hinzu komme die Sonderbelastung von rund 16 Millionen DM jährlich durch den niedersächsischen "Wasserpfennig".

RWE streicht Kraftwerks-Kapazitäten für Steinkohle und Gas

Einen Tag nach E.ON verkündete am 10.10. auch der RWE-Konzern, dass er bis 2004 rund 5000 MW Kraftwerksleistung stillegen werde. Größte Anlage ist dabei mit 1220 MW das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich, das allerdings nur von 1987 bis 1990 Strom erzeugen konnte und dessen endgültige Stillegung im Kernenenergie-Kompromiß mit der Bundesregierung (000601) vereinbart worden ist. Die anderen Stillegungen im Umfang von knapp 3000 MW betreffen drei Blöcke im Gersteinwerk (Gas/1230 MW), die vorgeschaltete Gasturbine in einem Block des Gersteinwerks (112 MW), die Blöcke A und B im Kraftwerk Westfalen (Steinkohle/304 MW), das Kraftwerk Meppen (Gas/610 MW), das Kraftwerk Dettingen (Steinkohle/93 MW) sowie die Blöcke G und H im Gemeinschaftskraftwerk Scholven (Öl/672 MW). Außerdem kündigt RWE Strombezüge im Umfang von 900 MW.

Auch EnBW ist "nicht überall zufrieden"

Die EnBW Energie Baden-Württemberg ließ am 10.10. auf Presseanfragen zunächst verlauten, dass sie durchweg über wirtschaftlich arbeitende Kraftwerke verfüge. Der EnBW-Vorsitzende Gerhard Goll relativierte dies einen Tag später mit der Äußerung: "Wir sind bei Kraftwerksbeteiligungen nicht überall zufrieden und müssen noch die eine oder andere Konsequenz ziehen." Im übrigen überprüfe auch die EnBW ständig ihre Kraftwerkskapazitäten. Entlassungen oder eine Stillegung des Kernkraftwerks Obrigheim werde es jedoch nicht geben, versicherte Goll. Die EnBW werde in Kürze detailliert ihre Kraftwerkssituation darlegen.

Der jetzige Überhang an Kraftwerkskapazitäten zeichnete sich vereinzelt schon vor der Liberalisierung ab. So erklärten die Veba-Kraftwerke Ruhr (VKR) im Mai 1995, dass sie Probleme mit der Auslastung ihrer Kapazitäten hätten (950506). Die Berliner Bewag kündigte 1997 die Stillegung von Kraftwerkskapazitäten an (970603). Die Stadtwerke Bremen teilten vor zwei Jahren mit, dass sie insgesamt fünf ihrer acht Kraftwerke vom Netz nehmen wollten, weil sie unter den neuen Bedingungen des Energiemarktes nicht mehr rentabel seien (981016). Zur selben Zeit unterzeichneten RWE Energie und VEW Energie einen Kooperationsvertrag zur optimalen Nutzung ihrer vorhandenen Kraftwerkskapazitäten (981014). Ebenfalls im Oktober 1998 beschloss der damals noch selbständige Bayernwerk-Konzern die Stillegung von drei Kohle-Kraftwerksblöcken in Schwandorf und Aschaffenburg (981015). Die E.ON Energie hatte bereits im August dieses Jahres angekündigt, alle konventionellen Kraftwerke auf den Prüfstand stellen zu wollen (000805).

Stiftung Warentest befürchtet höhere Strompreise

Aktionärsvertreter begrüßten die geplanten Kraftwerksstillegungen. Von der so verbesserten Kostenstruktur würden auch die Stromkunden profitieren. Die Stiftung Warentest sah dies jedoch anders: Mit dem Herunterfahren der Kraftwerksleistung würden die Stromversorger die Preise "nach oben jagen", warnte deren Stromexpertin Britta Barlage. Die Ära des Preisverfalls im Gefolge der Liberalisierung des Marktes sei nun eindeutig zu Ende (SZ, 11.10.).

"Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung würde weitere Kraftwerke aus dem Markt werfen"

Die Süddeutsche Zeitung (9.10.) gab zu bedenken, dass noch weitere Stillegungen drohen: "Die Bundesregierung will nämlich mit massiven Subventionen den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung von derzeit zwölf auf 24 Prozent verdoppeln. Dies würde den Zubau von rund 15 000 Megawatt bedeuten und hätte zur Folge, dass heute unter Wettbewerbsbedingungen wirtschaftlich zu betreibende Kraftwerke in etwa dieser Größenordnung aus dem Markt geworfen würden."