PresseBLICK-Rezensionen Energie und Umwelt



W. Brune, D. Schwirten, D. Ufer, H. Völcker

Energie, Umwelt und Wirtschaft: Visionen statt Illusionen

208 S., DM 59,80, B. G. Teubner 1999 (Schriftenreihe d. Instituts für Energetik u.Umwelt)


Auch dieses Buch aus der Schriftenreihe des Leipziger Instituts für Energetik und Umwelt fordert und verspricht schon im Titel "Visionen". Das Leipziger Institut ist allerdings nicht nur geographisch ziemlich weit vom Wuppertal-Institut entfernt. Von der Denkweise her handelt es sich geradezu um Antipoden.

Das "Institut für Energetik" wurde 1953 in Halle gegründet, um die wissenschaftlich-technischen Probleme der Energiewirtschaft im anderen Teil Deutschlands zu bearbeiten und zu lösen. Von diesen Problemen gab es in der DDR, deren Stromversorgung fast ausschließlich von der Braunkohle abhing, jede Menge. Zum Beispiel drohte in der kalten Jahreszeit regelmäßig die Braunkohle auf den offenen Güterwaggons einzufrieren und deshalb die Stromversorgung zusammenzubrechen.

Das heutige "Institut für Energetik und Umwelt" hat freilich außer den historischen Wurzeln mit dem DDR-Vorgänger nicht mehr viel zu tun. Seit der 1993 erfolgten Privatisierung firmiert es als gemeinnützige GmbH, deren Gesellschafter der "Förderverein Leipziger Institut für Energetik" ist. Dieser Förderverein hat auch die Herausgabe des vorliegenden Buches finanziell unterstützt.

Wolfgang Brune, der als Herausgeber und Mitverfasser des Buches zeichnet, ist der Geschäftsführer des Instituts. In seinem Vorwort sieht er das einigende Band der vier Autoren darin, dass "Energie, Wirtschaft und Umwelt in ihrer engen Verflechtung und Wechselwirkung betrachtet werden müssen". Sie seien davon überzeugt, "dass Energie- und Umweltziele nicht losgelöst von der Wirtschaft formuliert und durchgesetzt" werden könnten.

Also eine klare Gegenposition zum Wuppertal-Institut, das noch immer der Auffassung zu sein scheint, dass Politik und Wirtschaft angesichts seiner Szenarien und sonstigen theoretischen Modelle in dieselbe Verzückung verfallen müßten, wie dies bei einem Teil der Medien bisher der Fall war. Aber auch eine Gegenposition läßt sich so oder so ausfüllen. Man darf also gespannt sein.

Das Buch beginnt mit allgemeinen Betrachtungen Brunes über die "grüne Revolution", die mittlerweile in die Jahre gekommen sei und ihre Unbekümmertheit verloren habe. Er beklagt dann das "Geschäft mit der Angst", das in energiepolitischen Fragen die mediale Szene beherrsche. Besonders schlimm werde es, wenn diese Anti-Haltung in "blanken Öko-Terror" einmünde, wenn Schienenwege aufgerissen oder stählerne Krampen in die Oberleitung der Eisenbahn geworfen würden. Es dürfe nicht dazu kommen, dass am Ende nur "Kapitalvernichtung" betrieben und zu allem nein gesagt werde, was zukunftsträchtig ist.

Kritiklose Übernahme von Außenseiter-Thesen zum Treibhaus-Effekt

Es folgt der umfangreichste Beitrag des Buches, in dem Dietmar Ufer auf fast 90 Seiten über "Energiewirtschaft und Klimakatastrophe" schreibt. Er vermittelt einen recht guten Überblick über die Entstehung und den Verlauf der Klima-Debatte. Lesenswert sind auch seine Darlegungen zu den Schwachpunkten jener Prognosen, die von einer Verstärkung des natürlichen Treibhauseffekts mit katastrophalen Folgen ausgehen. Es ist tatsächlich so, dass sich die Folgen einer vermehrten CO2-Emission in der Atmosphäre nicht mit Sicherheit voraussagen lassen. Erstaunlich kritiklos referiert Ufer aber auch Thesen, die in der wissenschaftlichen Diskussion als nicht satisfaktionsfähig gelten, weil sie nach Form und Inhalt den diesbezüglichen Anforderungen nicht genügen. Hier wäre neben dem Chemiker Heinz Hug, der seine teilweise begründete Kritik durch eine überschießende Polemik entwertet (PB 6/97), vor allem der ehemalige ZDF-Wettervorhersager Wolfgang Thüne zu nennen, der sogar die Existenz des natürlichen Treibhauseffekts bestreitet, weil er frei nach Morgenstern zu der messerscharfen Schlussfolgerung gekommen ist, dass es diesen nach dem Stefan-Boltzmannschen Gesetz eigentlich gar nicht nicht geben dürfe (PB 8/98). Nun beißt freilich keine Maus einen Faden daran ab, dass wir auf der Erde nur dank der Atmosphäre und der in ihr enthaltenen "Treibhausgase" in einem vergleichsweise erträglichen Klima leben können. Andernfalls hätten wir Temperaturschwankungen wie auf dem Mond. Man braucht weder Physik noch Meteorologie studiert zu haben, um die Thesen des Herrn Thüne in der vorgetragenen Form für indiskutabel zu halten. Es befremdet, wenn Ufer solche krassen Außenseiter wie selbstverständlich in die wissenschaftliche Diskussion einführt.

Dann untersucht Helmut Völcker auf zehn Seiten die "Strahlenbelastung bei Brennelementtransporten deutscher Kernkraftwerke". Speziell geht es ihm dabei um die Reaktionen auf die Grenzwertüberschreitungen an ausländischen Transportbehältern, die im Mai 1998 den noch immer andauernden Stopp für Castor-Transporte bewirkt haben. Diese Grenzwertüberschreitungen hätten weit unter sonstigen natur- oder zivilisationsbedingten Strahlenbelastungen gelegen, wie sie z.B. durch Radon und Röntgendiagnostik entstehen. Die Behandlung des Themas in der Öffentlichkeit liege "auf der Linie der ökologischen Dauerkrisenberichterstattungen unserer Medien, die durch ihre Maßlosigkeit Aufmerksamkeitsblockaden gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten hervorrufen und insoweit für die Massenhysterie verantwortlich zeichnen".

"Die Neue Braunkohle Ostdeutschlands - ein Garant für die Energieversorgung der Zukunft" ist ein Beitrag von Dieter Schwirten überschrieben. Auf fast fünfzig Seiten vermittelt er zunächst einen Rückblick auf die Braunkohlen-Wirtschaft der DDR, um sie mit den ungleich umweltfreundlicheren Methoden des Abbaues und der Verstromung von heute zu kontrastieren. Im Unterschied zu Gas oder Öl sei Braunkohle eine langfristig gesicherte Ressource. Als einheimischer Energieträger sei sie auch nicht den unkalkulierbaren Risiken politisch bedingter Verknappung bzw. Verteuerung ausgesetzt. Insgesamt gelte deshalb: "Noch nie war die Braunkohle, speziell in den neuen Bundesländern, so wertvoll wie heute, und morgen erst recht!"

Auf den letzten dreißig Seiten macht sich Wolfgang Brune Gedanken "Über die Langzeitinvarianz der Energieintensität der Wirtschaft". Er meint damit die langfristige Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch. Brune widerspricht vehement dem allgemeinen Sprachgebrauch von einer "Entkoppelung" zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum, wie er ihn u.a. in Verlautbarungen der VDEW oder des Atomforums findet. Er unterstellt anscheinend, daß damit eine völlig Loslösung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch gemeint sei. Das ist freilich nicht der Fall. Insofern bekämpft er glorios einen Pappkameraden, wenn er mit viel Aufwand argumentiert, daß Wirtschaftswachstum immer an Energieverbrauch gebunden sei und statt von "Entkoppelung" korrekterweise von einer "elastischen" Koppelung beider Größen gesprochen werden müsse.

Das Buch wolle sich "wohltuend von Schriften abheben, die sich nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern an festgefügten Heilslehren orientieren," heißt es im Vorwort. Aber leider erwecken die Autoren mitunter doch arg den Eindruck von einseitiger Interessenbindung und übereifriger "Gesinnungstüchtigkeit". Zum Beispiel, wenn Dietmar Ufer unterschiedslos alle Theorien akzeptiert, die die Möglichkeit einer anthropogen bedingten Klimaveränderung bestreiten. Oder wenn Dieter Schwirten die ostdeutsche Braunkohle im Stil einer Klosterfrau-Melissengeist-Reklame ("Noch nie war er so wertvoll wie heute") anpreist.

Trotz der gänzlich anderen Machart und Tendenz dürfte deshalb mancher Leser mit diesem Buch ähnliche Schwierigkeiten haben wie mit den wolkig-unverbindlichen Szenarien des Wuppertal-Instituts.

(PB November 1999/*leu)