PresseBLICK-Rezensionen | Energie und Umwelt |
Drei Jahre vor der Liberalisierung des Energiemarktes erschien 1995 das Buch "Faktor vier", das anschließend auch auf englisch, spanisch, französisch und italienisch herauskam. Als Autoren zeichneten der Chef des "Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie", Ernst Ulrich von Weizsäcker, und der Amerikaner Amory B. Lovins mit seiner Frau L. Hunter Lovins. Dieses Buch fand große Beachtung, obwohl es im Grunde nur Thesen wiederholte, die das Wuppertal-Institut bereits in früheren Publikationen ausgebreitet hatte. Etwa in den Studien "Zukunftsenergien" (PB 7/95) oder "Umweltstandort Deutschland" (PB 11/94).
Dennoch enthielt "Faktor vier" sicher ein neuartiges Moment, das in der Mitwirkung des Energiewende-Gurus Lovins und einer auch sonst recht amerikanisch anmutenden Konzeption bestand: Das Buch brachte zwar Altbekanntes, aber dies in einer leicht konsumierbaren, populären Form. Die bisher eher asketisch daherkommende "Energiewende" mauserte sich hier zur frohen Botschaft einer "Effizienzrevolution", welche die Naturgüter gleich viermal besser nutzen lassen würde. Wahlweise konnte "Faktor vier" auch für doppelten Wohlstand bei halbierter Naturnutzung stehen. Es bedurfte nur der Beherrschung des kleinen Einmaleins, um sich beliebig andere Varianten auszudenken. . .
Vor allem - und hier mutete "Faktor vier" besonders amerikanisch an - sollten neben sonstigen Segnungen für die Menschheit auch Business und Profit nicht zu kurz kommen: Die Botschaft von Faktor vier ist neu, einfach und aufregend, hieß es im Klappentext des Buches. Neu, weil sie nichts Geringeres ankündigt als eine neue Richtung des technischen Fortschritts, einfach, weil sie dafür eine einfache Formel anbietet, und aufregend, weil sie Profite verspricht.
Neu, einfach und aufregend war sicher die frisch-fröhliche Art, mit der hier bekannte Möglichkeiten des Energiesparens oder der alternativen Energieerzeugung mit noch in den Kinderschuhen steckenden Entwicklungen, rein gedanklichen Projekten und schlichten Wunschträumen zu einer imaginären Effizienzrevolution verrührt wurden. - Als ob die diesbezüglichen Techniken jemals stillgestanden hätten und als ob es erst des vereinten Scharfblicks von Lovins und Weizsäcker bedurft hätte, um bislang völlig verkannte Möglichkeiten zu entdecken.
Dieselbe Machart weist das vorliegende Buch auf, das weniger eine Neuerscheinung als eine überarbeitete Neuauflage von "Faktor vier" darstellt. Zumindest gilt dies für den 160 Seiten umfassenden Hauptteil, für den Amory B. Lovins (dieses Mal ohne Ehefrau) und Peter Hennicke als Leiter der Energieabteilung des Wuppertal-Instituts verantwortlich zeichnen. Die anschließenden sechs kurzen Beiträge verschiedener Autoren stellen eher eine Art Zutat dar.
Das Buch erschien im Campus-Verlag, der die Themen der Expo 2000 in einer auf zwölf Bände konzipierten Reihe verlegerisch betreut. Bei der Suche nach einem passenden Manuskript zum Thema Energie und Umwelt fügte es sich offenbar gut, dass man beim Wuppertal-Institut den erfolgreichen "Faktor vier" in petto hatte und nur ein bisschen neu aufzupolieren brauchte.
Hennicke zufolge arbeitete die Energieabteilung seines Instituts drei Jahre lang an dem Buch. Das überrascht, denn es wirkt eher wie mit heißer Nadel genäht.
Die Autoren machen kein Geheimnis daraus, dass sie beim Vorgänger-Buch abkupfern. Das kommt schon im Untertitel "Vision: Die globale Faktor Vier-Strategie für Klimaschutz und Atomausstieg" zum Vorschein. Sie erheben allerdings den Anspruch, die "Faktor vier"-Themen nicht bloß wiederzukäuen, sondern sie mit einem Szenario des Weltenergierates (WEC) zu konfrontieren. Sie übernehmen dabei die Grundannahmen des WEC-Szenarios bezüglich des zu erwartenden Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums, kommen aber hinsichtlich der Prognosen für Energiebedarf und Umwelt zu gänzlich anderen Schlüssen. Denn hier tritt der wundersame "Faktor vier" in Kraft, der alles in neuem Licht erscheinen lässt. Zum Beispiel wird es nun sogar möglich, "Klimaschutz und Atomausstieg" in dieselbe Kiste zu packen, während bisher sogar Atomkraftgegner zugestanden, dass die Kernenergie unter allen derzeit verfügbaren Optionen für den Klimaschutz die leistungsfähigste Energiequelle darstellt.
Am 23. November veranstaltete der Campus-Verlag gemeinsam mit der IZE eine Podiumsdiskussion zu diesem Buch. Auf dem Podium im Frankfurter Hotel Intercontinental saßen Peter Hennicke vom Wuppertal-Institut sowie der frühere VDEW-Hauptgeschäftsführer Joachim Grawe und Bayernwerk-Vorstandsmitglied Rainer Frank Elsässer. Der Mitverfasser Lovins beteiligte sich aus den USA über eine Video-Direktschaltung an der Diskussion.
Grawe hatte seinerzeit schon "Faktor vier" analysiert und für zu leicht befunden (siehe "Elektrizitätswirtschaft" 12/96). Am Nachfolge-Buch störte ihn ebenfalls die mangelnde Realitätsnähe der Verfasser, die offenbar auf eine "Einspar-Ideologie" fixiert seien oder gar unter einer Art "Elektrophobie" litten. Unter anderem kritisierte Grawe die Beschränkung auf ein einziges Szenario, die Verabsolutierung der Kraft-Wärme-Kopplung, die "Scheinalternative" zwischen Kernenergie und erneuerbaren Energien, die Risiken einer noch größeren Abhängigkeit vom Erdgas oder den reinen Planungscharakter vieler Beispiele. Das Buch weckte bei ihm insgesamt den Verdacht, dass man Annahmen und Eingabedaten so lange variiert habe, bis sie mit den Wunschträumen übereinstimmten. Einen besonders dicken Schnitzer fand Grawe etwa auf Seite 104, wo Lovins behauptet, dass drei Fünftel des Weltverbrauchs an Strom auf Pumpen entfallen würden. "Und dabei glaubte ich bisher, ich würde etwas vom Fach verstehen", meinte der Honorarprofessor für Energiewirtschaft ironisch. Notfalls nähmen die Verfasser ihre Zuflucht zu regulativen Konzepten, indem sie entsprechende staatliche Eingriffe verlangen. Bayernwerk-Vorstand Elsässer vertiefte diesen Punkt der Kritik, indem er den Verfassern vorhielt, dass sie offenbar eine Art "Weltenergiekommissariat" voraussetzen, das als Hüter einer Energie-Planwirtschaft alle wichtigen Weichenstellungen vornimmt und beispielsweise so lange an der Preisschraube für Energie dreht, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt. Der von den Verfassern vertretene regulative Ansatz passe auch wie die Faust aufs Auge zum Energiekonsens innerhalb der Europäischen Union, der ganz klar "Markt statt Regulierung" laute.
Hennicke antwortete darauf - und ein Teil des Publikums applaudierte kräftig - , dass es nicht ausreiche, "wenn der Markt nur zum Wohl des Bayernwerks gesteuert wird". Die Beschränkung auf ein einziges Szenario begründete er damit, dass es hier eben um die Auseinandersetzung mit einem bestimmten Szenario des Weltenergierats gehe. Da Elsässer sich eher skeptisch zu Prognosen über eine Verstärkung des Treibhauseffekts durch CO2-Emissionen geäußert hatte, sah er ferner einen Widerspruch zu den Äußerungen Grawes, der die Unentbehrlichkeit der Kernenergie nicht zuletzt mit drohenden Gefahren für das Weltklima durch die CO2-Emissionen fosssiler Energieträger begründet hatte. Weder Hennicke noch Lovins konnten jedoch die grundsätzliche Kritik entkräften, dass bei ihnen der Wunsch der Vater des Gedankens sei und ihrem Szenario der notwendige Realitätsbezug fehle. Besonders enttäuschend waren die Äußerungen von Lovins, der auf konkrete Kritik (wie an der absurden Aufschlüsselung des weltweiten Stromverbrauchs) überhaupt nicht einging, sondern stattdessen zum "Hypercar" und ähnlichen Energiesparwundern überleitete.
Die Podiumsdiskussion hinterließ wie die Lektüre des Buches den Eindruck, dass führende Mitarbeiter des "Wuppertal-Instituts für Umwelt, Klima, Energie" weiterhin die düsteren Wolken ignorieren, die sich über ihren sonnigen Szenarien für eine umweltfreundlichere Energiewirtschaft zusammenballen. Wasserdicht waren diese Konzepte schon vor der Liberalisierung nicht. Das zeigte etwa die Studie zur Errichtung eines "Einsparkraftwerks" für die Stadtwerke Hannover (PB 11/96), die für fünf Millionen Mark die Einsicht erbrachte, dass ein solches Einsparkraftwerk die Stadtwerke bis zum Jahr 2010 mit 240 Millionen Mark belasten würde. - Und dabei hatten Peter Hennicke und Dieter Seifried, die damals diese Studie erarbeiteten, den enormen Preisverfall durch die bevorstehende Liberalisierung noch nicht einmal einkalkuliert. Stattdessen plädierten sie unverdrossen für eine verschärfte Regulierung des Energiemarktes, damit sich derartige "Einsparkraftwerke" besser rechnen. Zu einem Zeitpunkt, als die EU-Richtlinien zur Liberalisierung der Strommärkte bereits erlassen waren, ermutigten die Vordenker des Wuppertal-Instituts die Stadtwerke, sich von der bevorstehenden Deregulierung nicht beeindrucken zu lassen. Dies seien "Irrlichter ohne Langzeitwirkung". Ökologisch wie technologisch gehe der Trend eher zur dezentralisierten Stromversorgung.
Unter diesen Umständen konnte man es Grawe nicht verdenken, wenn er bei der Podiumsdiskussion die Frage nach der Verantwortung für energiepolitische (Fehl-)Entscheidungen aufwarf. Zunächst passiert natürlich nicht viel, wenn beim Bau von Luftschlössern die Statik vernachlässigt wird. Wer aber steht dafür gerade, wenn solche Energiewende-Visionen tatsächlich ernst genommen werden und wenn sie jämmerlich an der Realität scheitern, statt ins verheißene Eldorado zu führen?
(PB November 1999/*leu)