PresseBLICK-Rezensionen Erneuerbare Energien



Harry Lehmann / Torsten Reetz

Zukunftsenergien - Strategien einer neuen Energiepolitik

Berlin 1995: Birkhäuser Verlag, 282 S., DM 29.80


Die beiden Autoren gehören zu den Mitarbeitern des Wuppertal-Instituts, die sich als Vordenker auf den Gebieten Klima, Umwelt und Energie verstehen und gedanklichen Höhenflug mit wissenschaftlicher Bodenhaftung zu verbinden suchen (siehe auch PB 11/94). Der Titel ihres Buches klingt den "Zukunftsenergien" zum Verwechseln ähnlich, die der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke, Joachim Grawe, schon 1992 veröffentlicht hat. Inhaltlich ist die Gefahr einer Verwechslung allerdings weniger gegeben: Während Grawe die "neuen Techniken der Energiegewinnung" umfassend beschreibt und dabei auch die Kernenergie einbezieht, bleibt hier das schmucke Wort "Zukunftsenergien" ausschließlich den erneuerbaren Energien vorbehalten.

"Dieses Buch ist nicht von Romantikern für Romantiker geschrieben", heißt es im Geleitwort des Institutsleiters Ernst Ulrich von Weizsäcker. Man wende sich vielmehr "an die Pragmatiker mit Blick für die Zukunft". Im darauffolgenden Vorwort des Eurosolar-Vorsitzenden Hermann Scheer ist von Pragmatismus allerdings erst einmal wenig zu spüren. Scheer verspricht euphorisch ein "perpetuum solare", das sich mittels der Sonnenenergie realisieren lasse und wie ein "deus ex sole" alle Energieprobleme lösen werde. Er wundert sich, "warum die Politik die sich mit den erneuerbaren Energien ergebenden handgreiflichen Zukunftschancen nicht schon lange mit vollen Händen ergriffen hat". Die Ursache sieht er wieder mal im Einfluß der "strukturkonservativen Energiewirtschaft".

Anschließend geht es aber nüchterner und mit mehr Verständnis für die technischen Probleme zu. Die beiden Autoren des Wuppertal-Instituts wissen Fakten von Visionen zu trennen. Dies kommt auch äußerlich dadurch zum Ausdruck, daß sie zwischen die Kapitel des Buches sechs fiktive Reportagen aus den Jahren 2003 bis 2028 eingefügt haben, die den für bis dahin erreichbar gehaltenen Stand der Energietechnik veranschaulichen sollen.

Das Buch stellt zunächst die Kriterien für "sustainable development" und die verschiedenen Arten der Energieumwandlung vor. Wie bei einer Publikation des Wuppertal-Instituts kaum anders zu erwarten ist, fallen dabei sowohl die fossilen Energieträger als auch die Kernenergie durchs Sieb - die einen hauptsächlich wegen des Klimarisikos, die andere wegen der radioaktiven Gefahren. Nach dieser Ausscheidungsrunde verbleiben die erneuerbaren Energien, die detailliert beschrieben und mit heiteren Epitheta versehen werden: Die Wasserkraft als "Großmutter", die Windkraft als "Launische", die Biomasse als "Arbeitspferd", die Solararchitektur als "Schöne", die dezentrale Wärmenutzung als "Sammlerin", die Solarthermie als "Starke" und die Photovoltaik als "Primadonna". Alle zusammen ergeben die "glorreichen Sieben".

Auf dem "SES-Pfad" in die Zukunft

Die Autoren sehen die Zukunft der Energieversorgung in einer schrittweisen Ersetzung der fossilen Energieträger und der Kernenergie durch die erneuerbaren Energien bei gleichzeitiger Dezentralisierung der Stromversorgung. Sie verschließen sich aber nicht der Einsicht, daß auch die "glorreichen Sieben" keine Wunder vollbringen können. Eine zukunftsfähige Energieversorgung werde sich deshalb auf drei Säulen stützen müssen: Erstens auf die Sonne bzw. die erneuerbaren Energien, zweitens auf eine effizientere Nutzung der verfügbaren Ressourcen, und drittens auf Suffizienz als "bewußte Entscheidung über Grenzen des Konsums". Alle drei Säulen zusammen - Sonne, Effizienz, Suffizienz - ergeben die Grundlage für eine Energieversorgung auf der Basis der erneuerbaren Energien bzw. den sogenannten "SES-Pfad" in die Zukunft.

Eine gehörige Portion Skepsis scheint allerdings angebracht, ob dieser SES-Pfad, wie ihn die Pfadfinder vom Wuppertal-Institut aufzeigen, tatsächlich begehbar wäre. - Zum Beispiel deshalb, weil "nationale und regionale Alleingänge", wie sie die Autoren voraussetzen, heute schwerer denn je zu realisieren sind. Ebenso schwierig dürfte es sein, eine ganz auf Konsum ausgerichtete Gesellschaft zur Suffizienz in punkto Energie zu bewegen.

Einen bemerkenswerten Mangel an Phantasie zeigen die Autoren, wenn es um ein taugliches Konzept zur Förderung der erneuerbaren Energien geht: Sie plädieren für die gesetzliche Verankerung einer "kostengerechten Einspeisevergütung", bis der Anteil des Solarstroms an der gesamten Stromerzeugung ein bzw. fünf Prozent erreicht habe. Die bisherige Zwangssubventionierung zu Lasten von Energieversorgern und Stromverbrauchern würde also nicht nur beibehalten, sondern sogar noch ausgebaut.

Das ändert freilich nichts daran, daß solche Überlegungen recht populär sind und man sich schon deshalb mit ihnen auseinandersetzen sollte. Zum Beispiel ist die Sichtweise des eingangs rezensierten "Spiegel special"-Hefts weitgehend kongruent mit derjenigen des Wuppertal-Instituts. Der Unterschied besteht hauptsächlich in der Form: Im einen Fall handelt es sich um ein Sachbuch für besonders interessierte Laien, im anderen um ein locker gestaltetes Magazin für das breite Publikum.

(PB 7/95/*leu)