PresseBLICK-Rezensionen | Energie und Umwelt |
Zuerst die gute Nachricht: "Das modernste Kraftwerk der Welt hat keine Schornsteine, keine Kühltürme und keinen gefährlichen Reaktor für die Kernspaltung. Es benötigt auch keine Infrastruktur für den Antransport der Brennstoffe. Der Strom, den dieses Kraftwerk produziert, muß nicht über Hunderte von Kilometern zu den Kunden transportiert werden. Umspannstationen braucht das Kraftwerk nicht, und Netzverluste werden durch das Kraftwerk ebenso vermieden wie der Ausstoß von Schadstoffen."
Einen kleinen Nachteil hat das "Einsparkraftwerk", wie es hier beschrieben wird, allerdings auch: Es existiert gar nicht, sondern ist eine Fiktion. Es ist eine Imagination des Amerikaners Amory Lovins, der sich das Ganze etwa so vorstellt: Man ersetzt eine 75-Watt-Glühbirne durch eine 15-Watt-Energiesparlampe derselben Helligkeit - und schon hat man ein veritables Einsparkraftwerk mit einer installierten Leistung von 60 "Negawatt" gebaut.
Das Einsparkraftwerk könnte gewissermaßen "Sofies Welt" entsprungen sein, um einem philosophisch unbewanderten Publikum den Begriff des Nicht-Seienden als notwendiges Komplement zum Seienden zu erklären. Denn Einsparkraftwerke kann es nur dort geben, wo es real existierende Kraftwerke gibt. Sie verhalten sich zum realen Kraftwerkspark ungefähr wie die Bewohner des Hades, die nach antiker Vorstellung als körperlose Schatten früherer Wesen aus Fleisch und Blut fortexistieren. Entsprechend wird ihre installierte Leistung nicht in Watt angegeben, sondern in Negawatt - eine zusätzliche Herausforderung für philosophisch ambitionierte Gemüter, die sich mit dem seltsamen Gedanken vertraut machen müssen, daß auch das pure Nichts quantifiziert werden kann.
Aber genug der Grübelei: Im Grunde steckt hinter der genauso bildhaften wie unwirklichen Imagination des Einsparkraftwerks nichts weiter als die unbestreitbare Tatsache, daß es noch viele Möglichkeiten gibt, um Energie rationeller zu erzeugen und anzuwenden. Der Titel des vorliegenden Buches ist deshalb auch nichts anderes als eine Umschreibung der Diskussion um "Least-Cost-Planning" (LCP) bzw. "Integrierte Ressourcen-Planung" (IRP).
Der Begriff "Least-Cost Planning" (LCP) kam Anfang der siebziger Jahre in den USA auf. Er steht für ein Unternehmenskonzept, das die möglichst rationelle Erzeugung und Verwendung von Energie anstrebt. Beide Bestrebungen sind im Grunde nichts Neues: Schon immer waren die Stromversorger an der möglichst rationellen Erzeugung von Strom interessiert, und schon immer lag es im Interesse des Kunden, den Strom möglichst rationell zu verwenden. Allerdings waren die Interessen von Stromerzeuger und Kunden nicht unbedingt identisch, weil die rationellere Verwendung von Strom zugleich Absatz, Umsatz und Gewinn der Energieunternehmen schmälerte.
LCP verspricht, den gordischen Knoten dieses Interessenkonflikts zu lösen. Es läßt sich von der Einsicht leiten, daß der Energiekunde eigentlich keinen Wert auf Kilowattstunden legt, sondern einfach nur seine Wohnung erhellen oder sein Bier kühlen möchte. Wenn dieser Zweck mit weniger Energie zum selben Preis errreicht wird, kann dies dem Kunden finanziell gleichgültig oder als umweltbewußtem Menschen sogar recht sein. In der Sichtweise von LCP verkauft der Stromversorger keine Kilowattstunden mehr, sondern eine bestimmte Energiedienstleistung. Entsprechend bemessen sich Umsatz und Gewinn nur noch bedingt nach der Quantität des Stromabsatzes. Eventuelle Einbußen beim Verkauf von Kilowattstunden können ausgeglichen werden durch eine gewachsene Qualität der Energiedienstleistung.
Aus dem alten Kilowattstunden-Saulus wird so ein moderner Energiespar-Paulus. Zumindest als Denkmodell besitzt LCP deshalb beträchtlichen Charme, dem sich auch nüchtern kalkulierende Energieversorger nicht verschließen können: Zum Beispiel läßt sich mit LCP plausibel begründen, weshalb ein Energieversorger nicht unbedingt am eigenen Ast sägt, wenn er Maßnahmen zur Energieeinsparung propagiert und unterstützt. Zugleich bietet LCP eine Art philosophischen Überbau für die notwendige Diversifizierung vom reinen Energieversorger zum Energiedienstleister mit breitgefächertem Angebot.
Weil heute so ziemlich alles im Fortschrittskleid von Anglizismen daherkommt, spricht man bei LCP-Maßnahmen auf der Erzeugerseite von "Supply-Side Management" (SSM) und bei Maßnahmen auf der Anwenderseite von "Demand-Side Management" (DSM). Zu SSM zählt vor allem das altbekannte Lastmanagement, das auf einen möglichst gleichmäßigen Stromverbrauch bzw. die Glättung der Lastkurve ausgerichtet ist. Eine typische DSM-Maßnahme ist dagegen das Verschenken von Energiesparlampen oder die Gewährung von Zuschüssen für energiesparende Haushaltsgeräte.
LCP beschränkt sich aber nicht auf die Vereinigung beider Arten von Maßnahmen in der Hand des Energiedienstleisters, sondern verbindet die rationelle Erzeugung und Anwendung von Energie zu einem einheitlichen Planungskonzept: Der
Energiedienstleister analysiert auf beiden Seiten die Maßnahmen, die möglich sind, und wählt dann die kostengünstigste Maßnahme aus. - So zumindest stellen es sich die Theoretiker vor. In der Praxis werden SSM und DSM nicht unbedingt miteinander verknüpft. Das Schwergewicht liegt außerdem eindeutig bei DSM-Maßnahmen. Als beliebtestes Mittel, um öffentlichkeitswirksam auf dem tugendhaften Pfad von LCP zu wandeln, hat sich das Verschenken von Energiesparlampen etabliert.
Nun gibt es allerdings in der energiepolitischen Diskussion wie auch bei den EVU unterschiedliche Auffassungen, ob LCP als "marktwirtschaftliche Chance" begriffen oder als regulatives Instrument gehandhabt werden soll. Im ersten Fall bleibt es den Energieunternehmen anheimgestellt, wieweit sie Chancen für LCP-Maßnahmen innerhalb eines liberalisierten Energiemarktes sehen und diese wahrnehmen. Im zweiten Fall werden LCP-Maßnahmen mittels staatlicher Auflagen verordnet und durchgesetzt.
Der Streit um das richtige LCP-Konzept wirft also energie- und ordnungspolitische Grundsatzfragen auf: Die regulative Variante widerspricht den derzeitigen Bestrebungen zur Liberalisierung des Energiemarkts auf europäischer wie nationaler Ebene. Sie würde bedeuten, daß die Regulierung der Energiewirtschaft in weiten Bereichen beibehalten oder sogar noch verstärkt werden müßte. Regulatives LCP wäre mit einem deregulierten Energiemarkt noch unvereinbarer als das gegenwärtige Stromeinspeisungsgesetz.
Der Dissens kommt auch in der Handhabung des Begriffs "Integrierte Ressourcen-Planung" (IRP) zum Ausdruck: In der Regel wird er synonym für LCP gebraucht. Die Verfechter des regulativen LCP-Konzepts verwenden ihn aber auch gern exklusiv für ihre Vorstellungen, um sich so von den Anhängern der marktwirtschaftlichen Lösung abzugrenzen und die gesellschaftspolitische Dimension von LCP zu betonen.
Das vorliegende Buch favorisiert - wie schon das "Negawatt"-Buch von Leonhardt/Klopfleisch (siehe PB 10/93) - die regulative Variante. Die beiden Autoren bringen damit zugleich die Haltung ihrer Institute zum Ausdruck: Peter Hennicke ist Direktor der Abteilung Energie des Wuppertal-Instituts. Dieter Seifried ist Mitarbeiter des Öko-Instituts Freiburg.
Die Vorgeschichte des Buches reicht bis ins Jahr 1990 zurück: Damals veranstaltete die Schweisfurth-Stiftung in München ein Seminar, bei dem Amory Lovins und andere ökologisch orientierten Wissenschaftler ihre Überlegungen vor Managern der deutschen Stromwirtschaft vortrugen. Die Reaktion der Manager habe "von ungläubigem Staunen bis zu offener Ablehnung" gereicht, schreiben die beiden Autoren, die als Vertreter ihrer Institute zugegen waren. Beim anschließenden Essen und Bier hätten sie dann zufällig mit Erich Deppe vom Vorstand der Stadtwerke Hannover an einem Tisch gesessen. Dabei sei der Plan gereift, die tatsächlichen Möglichkeiten von "Negawatt" und "Einsparkraftwerken" am Beispiel der Stadtwerke Hannover zu erkunden.
Im Oktober 1992 war es so weit: Im Auftrag der Stadtwerke Hannover begannen das Öko-Institut Freiburg und das Wuppertal-Institut gemeinsam mit einer LCP-Fallstudie, um herauszufinden, welche Einsparmöglichkeiten es im Versorgungsbereich der Stadtwerke Hannover geben könnte. An den Gesamtkosten von rund fünf Millionen Mark beteiligten sich auch EU, Bund und Land. Diese Studie, die 1995 abgeschlossen wurde, bildet das Herzstück des vorliegenden Buches.
Einsparmöglichkeiten fanden sich bei allen Kundengruppen: Bei den Industriekunden vor allem bei den elektrischen Antriebssystemen sowie bei Lüftung, Beleuchtung, Kühlung und Druckluft; bei kleineren Verbrauchern vor allem bei der Beleuchtung, aber auch bei Lüftung und Kühlung sowie Umwälzpumpen; in den privaten Haushalten bei Kühl- und Gefriergeräten, bei der gesamten Beleuchtung und nicht zuletzt beim Ersatz von Elektroheizungen. Insgesamt ließe sich dieser Studie zufolge eine Leistung von etwa 40 Megawatt einsparen. Oder anders gesagt: In Hannover könnte man ein Einsparkraftwerk bauen, das eine Leistung von 40 Mega-Negawatt besitzt.
Freilich hätte dieses Einsparkraftwerk einen Haken: Es würde den Stadtwerken bis zum Jahr 2010 einen Ertragsausfall von rund 240 Millionen Mark bescheren. - Es sei denn, der Ausfall würde durch eine Preiserhöhung für Strom ausgeglichen. Die Gutachter glauben, daß sich diese Preiserhöhung auf maximal zwei Pfennig für die Kilowattstunde beschränken könnte und daß dennoch die Gesamtheit der Stadtwerke-Kunden um Millionenbeträge entlastet würde.
Ohne Preiserhöhungen werde sich dagegen nur ein kleiner Teil der Einsparmöglichkeiten verwirklichen lassen - vor allem durch "Contracting"-Geschäfte, das heißt frei vereinbarte Energiesparmaßnahmen, die ein Energiedienstleister auf eigene Rechnung für einen Dritten durchführt, der ihm dann durch Zahlung einer Art Miete die Refinanzierung der Investitionen plus Gewinn ermöglicht.
Die Hannoveraner Studie war ein Dämpfer für euphorische Hoffnungen, man könne einen großen Teil des künftigen Energiebedarfs nolens volens mit "Negawatt" aus Einsparkraftwerken decken. Sogar die beiden Autoren scheinen in dieser Hinsicht überzogene Erwartungen gehabt zu haben: Wie sie im Vorwort schreiben, wollten sie sich anfangs damit begnügen, am Beispiel Hannover den Prototyp eines Einsparkraftwerks und die Chancen von LCP/IRP in Deutschland möglichst praxisnah zu beschreiben. Dann aber hätten sie sich veranlaßt gesehen, viel ausführlicher als zunächst vorgesehen auch energie- und ordnungspolitische Grundsatzfragen zu behandeln, "um vor den scheinbar einfachen Lösungen des reinen Preiswettbewerbs zu warnen".
Das Ergebnis ist also auch für sie ernüchternd, aber kein Grund zum Verzagen. Sie leiten daraus vielmehr ein verstärktes Plädoyer für regulatives LPC ab. Sie entwickeln aus der Hannoveraner LCP-Studie die "konkrete Utopie" eines "Einsparkraftwerks für Deutschland": Aufgrund einer Hochrechnung gelangen sie zu dem Ergebnis, daß die Kraftwerksleistung in ganz Deutschland innerhalb von zehn Jahren um 18 000 Megawatt reduziert werden könnte. Dies entspräche fast einem Fünftel der installierten Kraftwerks-Kapazitäten. Den erforderlichen Anstieg der Strompreise beziffern sie mit maximal zwei Pfennig je Kilowattstunde. Dennoch könnte nach ihren Berechnungen die Stromrechnung aller Kunden jährlich um etwa zehn Milliarden Mark sinken, während die Gewinne der EVU nicht geschmälert oder sogar leicht steigen würden. Last not least blieben der Umwelt jährlich etwa 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid erspart.
Wieweit die hier präsentierte Rechnung tatsächlich aufgehen könnte, läßt sich für den Leser nicht beurteilen. Zweifel sind erlaubt. Sicher ist aber, daß sie ein regulatives LCP-Konzept voraussetzt, das dem gegenwärtigen Trend in der Energiepolitik konträr zuwiderläuft. Vor allem verträgt sie sich nicht mit der beabsichtigten Aufhebung des Gebietsschutzes für die Stadtwerke, da im kommunalen Bereich der Dreh- und Angelpunkt dieses Konzepts liegen würde.
Die Autoren ermutigen die Stadtwerke, sich vom Bonner Deregulierungskonzept und seinen "sich marktradikal gebärdenden Protagonisten" nicht beeindrucken zu lassen. Es handele sich hierbei um "Irrlichter ohne Langzeitwirkung". Die weltweite Entwicklung spräche eher dagegen, "daß sich eine deregulierte, billige Energieverschwendungswirtschaft auf noch konzentrierterer Stufenleiter als bisher auf Dauer durchsetzen wird". Da seien zum einen die ökologischen Probleme wie Klimaschutz und Ressourcen. Aber auch technologisch gehe der Trend eher zur Dezentralisierung durch Kraft-Wärme-Kopplung und Solarenenergie.
Auch sonst werden die Autoren nicht müde, immer wieder zu betonen, daß der Markt allein nicht in der Lage sei, die vorhandenen und wünschenswerten Einsparmöglichkeiten zu realisieren. Wie wenig der "Substitutionswettbewerb zwischen
Energie und Kapital" funktioniere, zeige gerade die Ausbreitung von Contracting: Eigentlich wäre es für den Anwender profitabler, die Energiesparmaßnahme in eigener Regie durchzuführen. In der Praxis benötigt er aber den Energiedienstleister, der ihm sein Kapital und Know how zur Verfügung stellt und sich diesen Beistand gewinnbringend bezahlen läßt. Contracting diene damit als Hilfsmittel, um "Investitionshemmnisse und Risikoaversion abzubauen". Ein ungleich größeres Energiesparpotental könne aber erschlossen werden, wenn regulatives LCP als Geburtshelfer für Einsparmaßnahmen diene und es so den EVU ermögliche, die aus LCP-Maßnahmen entstehenden Einbußen durch entsprechende Strompreiserhöhungen auszugleichen.
Das gegenwärtige Deregulierungskonzept sei "markttheoretisch nicht durchdacht und in umweltpolitischer Sicht gefährlich naiv". Es begünstige den Verbund-Goliath und gefährde den Stadtwerke-David: "Während der David das markierte Gebiet zum Schutz des Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung vor der Vernichtungskonkurrenz des Goliath heute mehr denn je braucht, werden für den Goliath die markierten Gebiete anderer heute zur Fessel seiner Expansionstätigkeit, wohingegen der Nutzen eigener Demarkation an Bedeutung verliert."
Weil das gegenwärtige Deregulierungskonzept nur zu Lasten der Kleinen gehe, hätten die Großen der Branche ihren anfänglichen Widerstand aufgegeben. Sie seien nur noch darauf bedacht, ihre vertikale Konzernstruktur zu erhalten, um sich so ihre ökonomische Monopolsituation zu sichern. Im übrigen würden sie aber die Deregulierung unterstützen, weil durch den Wegfall der Investitionskontrolle "der letzte noch verbleibende Hebel zur Durchsetzung öffentlicher Ziele entfällt" und weil durch die Aufhebung der geschlossenen Versorgungsgebiete das "Wildern in fremden Revieren" zu Lasten der Stadtwerke erleichtert werde.
Einen Seitenhieb setzt es auch für Oesterwind/Pfaffenberger/Hasse, die in ihrem Buch über die "Energieversorgung für eine offene Gesellschaft" (siehe PB 5/96) das Deregulierungskonzept mit dem philosophischen Credo von Karl Raimund Popper (siehe PB 8/96) unterfüttern: Die drei Autoren blieben eine überzeugende Antwort schuldig, woher sie ihre Zuversicht nehmen, daß sich die Stadtwerke im ungeschützten Preiswettbewerb zu Energiedienstleistern wandeln könnten. Die Hoffnung, daß ein Wettbewerb ohne zielführende Rahmenbedingungen vorhandene Monopole abbaue, sei durch nichts begründet. Ohne eine vorausgehende Dekonzentration und Entflechtung sei vielmehr eine neue Welle der Konzentrationsverstärkung und Entkommunalisierung zu erwarten.
Hennicke und Seifried halten grundsätzlich nichts von neoliberalen Rezepten. Sie plädieren stattdessen für einen "geplanten Wettbewerb", bei dem die Dynamik des Marktes durch staatliche Rahmensetzung in die gewünschte umweltpolitische Richtung gelenkt wird. Sie halten es für einen verhängnisvollen Irrtum, wenn angesichts der globalen Herausforderungen für mehr Markt und weniger Politik plädiert werde. Umgekehrt werde ein Schuh daraus: Ob Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgleich oder Klimaschutz - in allen Fällen sei nicht weniger, sondern mehr Politik erforderlich.
Löbliche Ansätze zum Umdenken sehen die Autoren vor allem bei den Stadtwerken. Als "deutsche EVU-Pioniere auf dem Einsparmarkt" nennen sie neben Hannover die Stadtwerke Saarbrücken, Rottweil und Freiburg. Beispielhaft auf dem Gebiet der innovativen Energiedienstleistungen seien ferner die Stadtwerke Karlsruhe, München, Ratingen, Herten und Lemgo. Anerkennung findet aber auch das Kess-Programm von RWE Energie und das Projekt "Sonne in der Schule" des Bayernwerks. Als "Prototypen von Einsparkraftwerken" werden die "Meister Lampe"-Aktion der Freiburger Stadtwerke, die "Power-Klauer"-Aktion von RWE Energie und das Gewerbeprogramm Langenhagen der Stadtwerke Hannover ausführlicher dargestellt. Ferner findet man einen Ausblick auf die Aktion "Helles NRW", die in Nordrhein-Westfalen von 50 Energieversorgern mit Unterstützung der Landesregierung vorbereitet wurde und inzwischen angelaufen ist.
Im letzten Drittel des Buches werden die Lehren aus dem Einsparkraftwerk verallgemeinert zu einer "Ökonomie des Vermeidens". Damit ist gemeint, daß sich z.B. Wärmeverluste bei Gebäuden vermeiden lassen, am Trinkwasserverbrauch gespart werden kann, Mobilität auch ohne Auto möglich ist und die Abfallmengen reduziert werden können. Eine solche "Effizienzrevolution" reiche freilich allein nicht aus, um zu einer nachhaltigen Entwicklung zu gelangen, die Klima und Ressourcen schont. Es bedürfe der zusätzlichen Bemühung um "Suffizienz", wie sie das Wuppertal-Institut z.B. in seiner Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" gemeinsam mit dem bischöflichen Hilfswerk Misereor propagiert (siehe PB 1/96). - Gemeint ist damit die Suche nach neuen Lebensstilen, die sich leiten läßt von der Frage, wieviel und welche Art Wohlstand der Mensch braucht, um für sich und seine Nachkommen ein Optimum an Lebensqualität zu erhalten. Dieses Plädoyer für eine neue Genügsamkeit dürfe aber keinesfalls Fragen der Einkommens-, Vermögens- und Machtverteilung ausklammern. Andernfalls bestehe die Gefahr, daß der Suffizienz-Gedanke als Apologie für den gegenwärtigen Sozialabbau mißbraucht und von den ohnehin schon arg gebeutelten Verlierern der Zwei-Drittel-Gesellschaft als Provokation verstanden würde.
Den Schluß des Buches bildet ein Interview: Die beiden Autoren setzen sich nochmals mit Erich Deppe vom Vorstand der Stadtwerke Hannover an einen Tisch, um die Ergebnisse der nunmehr vorliegenden Hannoveraner Fallstudie zu diskutieren. Ihr Gedankenaustausch verläuft größtenteils sehr einvernehmlich. Deppe verhehlt jedoch nicht seine "große Skepsis" hinsichtlich der Vorstellungen von einem regulierten LCP, wie sie seine Gesprächspartner vertreten. Die Kosten der gegenwärtig laufenden LCP-Programme in Hannover beziffert er mit jährlich zehn Millionen Mark. Diese Belastung werde kaum durchzuhalten sein, falls es zur Liberalisierung des Marktes mit der Konkurrenz um jeden Pfennig pro Kilowattstunde komme.
Es sieht also ganz danach aus, als ob das von den Autoren projektierte Einsparkraftwerk selber eingespart würde. Um in der etwas umständlichen Terminologie der Öko-Wissenschaftler zu bleiben, hätte man dann anstelle eines Einsparkraftwerks ein Einspar-Einsparkraftwerk. - Nach den Gesetzen der Logik eine doppelte Negation, die sich selber aufhebt; oder grammatikalisch eine "Litotes", eine Bejahung durch doppelte Verneinung, die in etwas verschämter Weise zum Ausdruck bringt, was eigentlich Sache ist.
Es verwundert jedenfalls nicht, daß sich im Verlauf des Interviews mit dem Verantwortlichen der Stadtwerke Hannover plötzlich die Konturen eines ganz realen Kraftwerks herausschälen. Erich Deppe nennt nämlich einen ganz pragmatischen Grund, weshalb das viele Geld für die Einsparstudie doch nicht umsonst ausgegeben worden sei: "Wir haben eine neue Gas- und Dampf-(GuD)-Anlage im Bau. Dazu brauchen wir immer noch die Genehmigung nach Paragraph 4, also die Investitionsgenehmigung des Wirtschaftsministeriums. Mit der LCP-Studie im Hintergrund, die nachgewiesen hat, daß der Bedarf selbst bei intensiver Einsparpolitik da war, haben wir in dem ganzen Genehmigungsverfahren überhaupt keine Probleme gehabt."
(PB November 1996/*leu)