PresseBLICK-Rezensionen | Energie und Umwelt |
"Es bilden sich neue Allianzen über alte Gräben hinweg" heißt es in der Einführung. In der Tat bildet die Allianz der beiden Herausgeber mit dem "Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie" zunächst mal den bemerkenswertesten Aspekt dieses Buches. Daß sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die engagierten Wissenschaftler von der Wupper zusammentun, wäre nicht weiter erstaunlich. Da verbündet man sich sozusagen "en famille". Wenn aber gemeinsam mit der größten Umweltschutz-Organisation Deutschlands das bischöfliche Hilfswerk Misereor als Herausgeber auftritt, verdient dies schon einige Beachtung. Im Unterschied zur evangelischen Kirche hat sich die katholische Kirche bisher in Umwelt- und Energiefragen eher zurückgehalten, und wo dies nicht der Fall war, entsprachen ihre Ansichten auch umweltpolitisch nicht unbedingt dem Zeitgeist.
Eine solche Allianz setzt voraus, daß die Meinungen der Beteiligten zum behandelten Thema im großen und ganzen übereinstimmen. Wo dies nicht der Fall ist, müssen Kompromisse geschlossen werden. Zum Beispiel könnte das bischöfliche Hilfswerk die Forderung nach Propagierung der Empfängnisverhütung zur Entschärfung der Bevölkerungsexplosion in den ärmsten Ländern der Erde nicht mittragen. Damit würde nämlich Papst Johannes Paul II. desavouiert, der sich in punkto Bevölkerungswachstum eher als Bremser jener "global nachhaltigen Entwicklung" betätigt, von der im Untertitel des Buches die Rede ist.
So schlägt man mit gelinder Neugier zunächst mal jene Seite auf, die vom "Bevölkerungswachstum" in den ärmsten Ländern der Erde handelt: Man erfährt, "daß es auch in Zukunft weit weniger die vielen Armen auf der Erde sind, die die Zukunft dieser Welt bedrohen, als die wachsende Zahl der sich nach dem Vorbild des Nordens industrialisierenden Staaten mitsamt dem aufwendigen Lebensstil, der sich in ihren Mittel- und Oberschichten entwickelt". Gewiß stelle das Bevölkerungswachstum die betroffenen Länder "vor große Probleme". Aber eine direkte Hilfe der industrialisierten Länder könne im wesentlichen nur in der Unterstützung "ganzheitlicher Familienberatung" bestehen, "die sich nicht auf Verhütungsplanung beschränken darf".
Diese Formulierungen sind gewissermaßen sprachliche Vexierbilder, aus denen jeder das herauslesen kann, was er will: Der gute Katholik wird die "ganzheitliche Familienberatung" ebenso unterschreiben können wie eine "Verhütungsplanung", die auf kalendermäßig geübter Enthaltsamkeit beruht. Der Normalleser wird dagegen die Familienberatung mit "Familienplanung" gleichsetzen und unter Verhütungsplanung soviel wie aktive Empfängnisverhütung verstehen.
Nicht ganz unproblematisch ist für die katholische Kirche auch die Ablehnung der Kernenergie, wie man sie in Publikationen des Wuppertal-Instituts üblicherweise findet (vgl. PB 7/95). Im Unterschied zur protestantischen Gesinnungsethik, der die Kernenergie schnell zum Teufelszeug gerät, kennt die katholische Moraltheologie keine Dichotomie zwischen Schöpfungs- und Heilsordnung. Für die Adepten des Thomas von Aquin ist deshalb die Kernenergie lediglich ein kasuistisches Problem, dessen Vor- und Nachteile sorgsam abgewogen werden müssen, wobei die Abwägung bisher eher zugunsten der Kernenergie ausfiel (vgl. PB 2/93).
So ist es vielleicht kein Zufall, daß über die Kernenergie in dieser Studie kaum ein Wort verloren wird: Sie taucht beiläufig in einem Kapitel auf, das den notwendigen Wandel im Energiesektor beschreibt: "Das Leitziel der zukünftigen Energiepolitik bestimmt sich wesentlich aus den Erfordernissen des Klimaschutzes", heißt es da einleitend. Die gesteckten Ziele zur Verminderung der CO2-Emissionen würden aber aller Voraussicht nach nicht erreicht, denn "die Kernenergiekapazität bleibt konstant und der Anteil der erneuerbaren Energien gering". Im übrigen fällt weder ein böses noch ein gutes Wort über die Kernenergie. Später ist zwar noch von der notwendigen "Substitution kohlenstoffreicher durch kohlenstoffarme Energieträger" die Rede, woraus man sogar ein Plädoyer für die Kernenergie herauslesen könnte. Die Forderung wird aber im Kontext einer "Energiespar- und Solarenergiewirtschaft" erhoben, so daß der Normalleser in diesem Zusammenhang sicher nur an die erneuerbaren Energien denken wird.
Eher beiläufig, unter der Überschrift "Haftpflicht für Großrisiken", bekommt die Kernenergie dann aber doch noch einen Tritt: "Würden die Risikoprämien realistisch angesetzt und in die betriebswirtschaftliche Kostenkalkulation eingehen, wäre deren vermeintliche Kostengünstigkeit dahin." - Ein Argument, dem die Verfechter "inhärenter" Sicherheitskonzepte (siehe übernächste Rezension) wohl widersprechen werden, dem aber zumindest der Geist der Kasuistik nicht widerspricht.
Obwohl man so mitunter schon den Einfluß des Herausgeberkreises zu bemerken vermeint, macht die Studie insgesamt nicht den Eindruck, als ob allzuviele Köche mitgerührt und dadurch den Brei verdorben hätten. Das liegt zum einen an der sprachlichen Bearbeitung, die das Wuppertal-Institut generell seinen Publikationen angedeihen läßt. Zum anderen ist der Vorrat an Gemeinsamkeiten unter allen Beteiligten groß genug, um für den unbefangenen Leser den Eindruck eines geschlossenen Konzepts entstehen zu lassen.
Als Hauptautoren zeichnen Reinhard Loske und Raimund Bleischwitz vom Wuppertal-Institut. Sie erstellten die Studie zusammen mit zwölf "weiteren Autoren" und "unter Mitarbeit" von 14 weiteren Personen. Sie erfinden das Rad natürlich nicht neu, sondern greifen auf die bereits bekannten und mehrfach publizierten Konzepte ihres Instituts zurück. Dazu gehört vor allem der sogenannte SES-Pfad, der zu "Sonne, Effizienz, Suffizienz" als tragenden Säulen einer künftigen Energiewirtschaft führen soll. Konkret bedeutet dies beispielsweise eine ökologische Steuerreform, die Dezentralisierung der Energiewirtschaft, die Forcierung der erneuerbaren Energien und einen genügsamereren Umgang des Normalverbrauchers mit Strom. Der Verwendung von Strom für Wärmezwecke wird eine entschiedene Absage erteilt: "Nur Beleuchtung und Elektrogeräte sind stromspezifische Anwendungen, für Raumheizung, Warmwasser und Kochen sollte auf andere Energieträger zurückgegriffen werden, etwa Gas, Fernwärme oder Sonneneinstrahlung."
Bei den ersten Kapiteln, die mit Grenzwerten, Statistiken und Tabellen ein quantitatives Bild der Umweltkrise zu zeichnen versuchen, läßt sich die Lektüre ein bißchen mühsam an. Recht flüssig lesen sich dafür die anschließenden Seiten, die mit "Leitbilder" überschrieben sind. Hier wird zum Beispiel eine "grüne Marktagenda" formuliert und dem weltweit ungehinderten Austausch von Kapital und Gütern entgegengesetzt: "Wer politische und gesellschaftliche Handlungsspielräume wiedergewinnen möchte, wird unweigerlich mit der Ideologie des totalen Freihandels kollidieren." Gegen den Neoliberalismus richtet sich auch die Feststellung, daß eine Gesellschaft, die alles in Mark und Pfennig bemißt, den meisten Zeitgenossen noch immer wie eine "Horrorvision" vorkomme. Gleichwohl erscheine "die Substitution von menschlichem Miteinander durch Geld als säkularer Trend, der noch kaum gebrochen ist". So würden "immer mehr Bereiche des menschlichen Miteinanders in die Sphäre des Ökonomischen gezogen". Das Ergebnis sei ein "zweideutiger Wertewandel", bei dem sich postmaterielle mit materiellen Wertorientierungen vermischen: "Kaufsüchtige existieren neben sozial Engagierten, Karrieristen neben Aussteigern, kleine Krauter neben Bildungsbürgern und Familienmenschen neben Yuppies. Es hat sich collagenartig ein Nebeneinander von Wertstrukturen herausgebildet, die sich teils überblenden und teils widersprechen."
Das ist gut beobachtet und verweist auf die gemeinsame Grundlage, auf der hier eine Einrichtung der katholischen Kirche und die Umweltschutzbewegung zusammengefunden haben: Die Absage an einen platten Materialismus, der unablässig nach Gütern und Geld jagt, während er die eigentlichen Werte, die das Leben lebenswert machen, mißachtet und zugrunde richten hilft. "Visionen brauchen Fahrpläne", zitieren Angelika Zahrnt vom BUND und Prälat Norbert Herkenrath von Misereor in ihrem gemeinsamen Vorwort den marxistischen Philosophen Ernst Bloch. Sie wünschen sich, daß in diesem Sinne "diese Studie zum Kursbuch wird für ein zukunftsfähiges Deutschland".
(PB Januar 1996/*leu)