PresseBLICK-Rezensionen | Energie und Umwelt |
Rationelle Energieanwendung nützt nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den Energieversorgern und - vor allem - der Umwelt. So könnte man den Grundgedanken von "Least-Cost Planning" (LCP) umreißen, das Anfang der siebziger Jahre in den USA aufkam und soviel wie "Minimalkostenplanung" bedeutet. LCP hat im Prinzip zwei Gesichter, nämlich ein betriebswirtschaftliches und ein volkswirtschaftliches. Als betriebswirtschaftliches Instrument läßt es sich jederzeit - entsprechende Einsparmöglichkeiten vorausgesetzt - zum Nutzen von Stromkunden und -erzeugern verwenden. In diesem Fall profitiert der Kunde von den eingesparten "Negawatt" durch eine geringere Stromrechnung, und das EVU kann anstehende Investitionen zur Erweiterung von Kraftwerkspark und Verteilungsnetz erst mal aufschieben. Als volkswirtschaftliches Instrument will LCP jedoch mehr: In diesem Fall geht es darum, gesellschaftspolitische Anliegen in die betriebswirtschaftliche Rechnung der EVU miteinfließen zu lassen. Etwa das Ziel einer "nachhaltigen Entwicklung" (sustainable development), zu dem sich auf dem Umweltgipfel in Rio 170 Staaten bekannt haben, oder die sogenannte Internalisierung externer Kosten. Der Grundsatz der rationellen Energieerzeugung und -anwendung zu möglichst geringen Kosten wird hier mit politischen Vorgaben verbunden, die zwar im allgemeinen Interesse liegen, aber in aller Regel den Preis der Energiedienstleistung beträchtlich erhöhen. Diese LCP-Variante wird auch als "Integrierte Ressourcenplanung" (IRP) bezeichnet. Sie kann nur funktionieren, wenn das freie Spiel der Marktkräfte durch staatlichen Eingriff an feste Rahmenbedingungen gebunden wird. Zum Beispiel durch gezielte Steuern und Abgaben, oder durch staatliche Kontrolle von Preisbildung und Investitionen. Im zweiten Fáll führt die volkswirtschaftliche Variante von LPC zur Beibehaltung, womöglich gar Verstärkung, der staatlichen "Regulierung" in der Energiewirtschaft.
Das vorliegende Buch plädiert für die volkswirtschaftliche Variante von LCP mit stark regulativem Einschlag. Im ersten der insgesamt zehn Beiträge - er behandelt die amerikanischen Erfahrungen mit LCP - will Uwe Leprich vom Freiburger Öko-Institut sogar ein Kriterium von LCP-Maßnahmen generell darin sehen, "daß sie nicht dem engen Blickwinkel betriebswirtschaftlicher Rationalität des EVU verhaftet sind". Der nachfolgende Beitrag über LCP als Instrument staatlicher Regulierung am Beispiel Nordrhein-Westfalens sieht LCP neutraler. Dieter Schulte Janson vom Düsseldorfer Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie interpretiert hier den Begriff so, "daß er sowohl betriebswirtschaftliche als auch volkswirtschaftliche Kosten umschließt" und erst als "Weiterentwicklung" auch die Integrierte Ressourcenplanung (IRP) umfaßt.
Stefan Thomas (Wuppertal-Institut) und Uwe Ilgemann (Öko-Institut Freiburg) heben in ihrem Beitrag hervor, daß LCP das bisherige Handlungsfeld der EVU von der Energieversorgung zur Energiedienstleistung erweitere. Allerdings bestehe für die EVU "im allgemeinen kaum ein betriebswirtschaftlicher Anreiz, um kosteneffektive Stromeinsparprogramme umzusetzen, wenn nicht die Rahmenbedingungen geändert werden, das heißt beispielsweise die Stromaufsicht zu einer Anreizregulierung ausgebaut wird oder eine Förderpolitik betrieben wird". Für Klaus-Peter Masuhr (Prognos AG) hat LCP den Vorzug, fast zwangsläufig den Blick auf alle wirkliche relevanten Kostenbestandteile der Energieerzeugung zu lenken und so die Einbeziehung der externen Kosten - "ein fulminant gesellschaftspolitischer Vorgang" - geradezu herauszufordern.
Frithjof Spreer vom saarländischen Wirtschaftsministerium sieht im gegenwärtigen Energiewirtschaftsgesetz eines der größten Hemmnise für die Einbindung von LCP in gesellschaftspolitische Ziele. "Was wir im Saarland in dieser Hinsicht machen, ist freiwillig und eher an der Grenze der Legalität." Das aus dem Jahre 1935 stammende Gesetz ziele vor allem auf billige und sichere Energieversorgung, ohne die sozialen Kosten von Energiesystemen zu berücksichtigen. Rainer Friedrich vom Institut für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart behandelt die Einbeziehung solcher Umweltbeeinträchtigungen in die kommunale Energieplanung. Den theoretisch bestgeeigneten Ansatz sieht er in einer "Kombination aus der Monetarisierung kompensierbarer Schäden und Umweltstandards".
Willy Leonhardt stellt am Beispiel der von ihm geleiteten Stadtwerke Saarbrücken dar, wie das in den USA entwickelte LCP "sinnvoll auf deutsche Verhältnisse übertragen werden kann". Solange von der Fixierung der Energiewirtschaft auf die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung die "falschen Signale" ausgingen, bleibe "als Regulativ nur die Organisation der Energiedienstleistungen in öffentlicher Verantwortung". Ergänzend dazu zeigt Michael Brand am Beispiel der 1987 gegründeten Saarländischen Energieagentur auf, "daß Energieeinsparungen auf unternehmerischer Basis auch ohne Subventionen rentabel durchgeführt werden können".
Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher sieht im Denkansatz von LCP eine Umwälzung wie "in der Physik die Entdeckung der Antimaterie". Dreh- und Angelpunkt sei dabei die staatliche Aufsicht über die Stromwirtschaft. Und die sei in Deutschland entschieden zu lasch. Die EVU müßten "mit Zuckerbrot und Peitsche" zur Durchführung von LCP-Maßnahmen gebracht werden. Wenn es nur beim Zuckerbrot bleibe, bestehe die Gefahr, daß sie "mit teuren Programmen ihr angeschlagenes Image aufpolieren und die Kosten dafür auf die Strompreise überwälzen". Generell seien aus Sicht der Verbraucher die EVU viel zu sehr auf die Produktion von Energie ausgerichtet und deshalb "die denkbar ungeeignetsten Negawatt-Produzenten".
Den Abschluß bildet ein Beitrag von Ralf Zimmermann, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft ÖTV, die auch mit Reinhard Klopfleisch (nicht "Rainer", wie es auf dem Titelblatt heißt) einen der beiden Herausgeber beisteuert. Er sieht in LCP ebenfalls ein Instrument, das unverzüglich aufgegriffen und "in geeigneter Form zum verbindlichen Entscheidungskriterium für Planungsmaßnahmen im Energiebereich gemacht" werden sollte. Obwohl Teile der Mitgliedschaft "dieser Vorwärtsstrategie nicht selten mit Skepsis" begegneten, da sie als Folge von Energieeinsparungen auch Einsparungen am Personalbestand befürchteten, unterstütze die ÖTV diese Umorientierung. Schließlich müßten die EVU auch neue Arbeitsplätze schaffen, um sich erfolgreich auf dem Einspar-Markt behaupten zu können. Und überhaupt: "Wenn sich die EVU dieser neuen, nicht monopolisierten und auch nicht monopolisierbaren Märkte nicht annehmen, werden Private sie besetzen". Zimmermann sieht auch offenkundige Widersprüche in der gegenwärtigen Energiepolitik: "Mit der Zwangsdurchleitung für Strom und Gas für Großkunden sind Ziele wie Umweltschutz und CO2-Sparen nicht zu vereinbaren."
Übereinstimmend neigt das ganze Dutzend der Autoren zur Beibehaltung und Verstärkung der Regulierung, um LCP in den Dienst einer Integrierten Ressourcenplanung stellen zu können. "Least-Cost Planning muß weiterentwickelt werden zur gesellschaftspolitischen Integrierten Ressourcenplanung (IRP)", fordern die Herausgeber Leonhardt und Klopfleisch im Vorwort. Energiedienstleistung sei eine öffentliche Aufgabe, ob sie von öffentlichen, gemischt- oder rein privatwirtschaftlichen Unternehmen wahrgenommen werde. Die EVU dürften deshalb nicht dem rein betriebswirtschaftlichen Kalkül überlassen werden. Sie seien vielmehr aufgefordert, sich zu Energiedienstleistungsunternehmen zu entwickeln, die im Rahmen der vom Staat gesetzten gesellschaftspolitischen Ziele den Marktpartner für LCP-Maßnahmen abgeben.
Wer sich von dem Titel eine leicht verständliche und umfassende Einführung in den Themenbereich "Negawatt" erhofft, dürfte enttäuscht werden. Das ist aber wohl auch nicht der Sinn dieser Publikation, die sich eher als Sammlung von Aufsätzen zur volkswirtschaftlichen Variante von LCP mit teilweise unterschiedlichen Akzentsetzungen charakterisieren läßt. Auch nach Schreibstil und Darstellungsweise wird hier eher ein Fachpublikum angesprochen. Wer sich theoretisch oder praktisch bereits mit LCP-Maßnahmen befaßt hat, findet in diesem Buch aber sicher manche Anregung. Hier wären etwa die Ausführungen über die Regulierung der privaten EVU in den USA zu nennen oder die Darlegung der saarländischen Erfahrungen. Interessant sind auch die Argumentationslinien einzelner Fachleute, Verbrauchergruppen und Gewerkschaften, die LCP als gesellschaftspolitisches Instrument handhaben möchten.
(PB Oktober 1993/*leu)