Udo Leuschner / Medien-Theorie
Inhaltsübersicht




Joachim Herrmann amtierte von 1978 bis 1989 als oberster Aufseher der DDR-Medien



"Nichts über Bratwurststände (die Leute essen schon genug Fleisch)."

"Nichts über selbstgebaute Fluggeräte (sonst hauen uns die Leute ab)."

"Kein Protokollobst auf den Tischen fotografieren (sonst wird die Bevölkerung neidisch)."

(Aus den Notizen eines DDR-Chefredakteurs über die von Herrmann bzw. seinem Abteilungsleiter Geggel ausgegebenen Sprachregelungen) 


In die eigene Tasche gelogen

Zur Rolle der aktuellen Medien in der DDR

In der ehemaligen DDR gab es - wie in anderen "realsozialistischen" Ländern - keinen funktionierenden Markt, weder für den Bereich der materiellen Produktion noch für geistige Erzeugnisse. Es gab deshalb auch für keinen Bereich der Wirtschaft eine umfassende Effizienz-Kontrolle, wie sie das kapitalistische Profitsystem darstellt. In den Medien, welche die ideologische Produktion gewährleisten sollten, herrschten nicht minder bürokratische, sklerotische und mitunter kafkaeske Zustände wie in der materiellen Produktion.

Einzige Effizienz-Kontrolle war der unbedingte Wille zur Machterhaltung der Partei, der freilich viel zu kurzsichtig war, um dieses Ziel langfristig sichern zu können. Die konsequente Ausrichtung aller gesellschaftlichen Parameter am Ziel der Machterhaltung mußte zu einer gigantischen gesellschaftlichen Fehlentwicklung führen, ohne den Machterhalt tatsächlich sichern zu können. Sie garantierte lediglich, daß es nicht zum Bankrott von Teilbereichen kam, bevor das ganze System heruntergewirtschaftet war. Sie potenzierte zugleich die geistige Beschränktheit und Spießigkeit der herrschenden Clique, indem sie Prämien für bedingungslose Anpassung mit unerbittlicher Verfolgung alles Nichtkonformen verband.

Partei und Staat traten den Werktätigen, die sie angeblich repräsentierten, als eine von ihrem privaten Fühlen, Denken und Handeln grundverschiedene Instanz gegenüber. Gerade der Anspruch, die große Masse der Werktätigen so unmittelbar zu repräsentieren wie keine andere Führung zuvor, begründete eine radikale Trennung von öffentlicher und privater Sphäre. Es gab gleichsam zwei Sprachen, je nachdem ob sich der Bürger im privatimen Kreis oder in der ritualisierten Öffentlichkeit des Partei- und Staatsjargons bewegte.

Dieser Konflikt belastete naturgemäß besonders Lehrer, Akademiker und Kader aller Ränge, denen ein aktives Bekenntnis zur bestehenden Ordnung abverlangt wurde. Die Bekundung eines individuellen Dissenses war ihnen nur in äußerst engen Grenzen gestattet, wenn sie nicht ihre Karriere und mehr aufs Spiel setzen wollten. Dagegen hatte der einfache Werktätige relativ wenig zu befürchten, wenn er seine Unzufriedenheit durch "Meckern" zum Ausdruck brachte.

Es gehörte zu den verhängnisvollen Antinomien des real existierenden Sozialismus, daß er gerade die intelligente und kompetente Kritik verpönte. Gemäß dem Dogma, daß es im Sozialismus nur "nichtantagonistische Widersprüche" gebe, wurde allenfalls affirmative Kritik geduldet. Die tatsächlich vorhandenen Antagonismen wurden so geleugnet und unter den Teppich gekehrt, bis auch der Teppich zu klein geworden war.

In der Medienpolitik der DDR führte diese institutionalisierte Heuchelei zu der absurden Situation, daß die Information des Bürgers aus anderen, nämlich westlichen Quellen bereits vorausgesetzt wurde. Den eigenen Medien oblag im wesentlichen nur noch die Aufgabe, dem Parteigenossen und Bürger zu signalisieren, was offizieller Gesprächsstoff war und was besser im Hinterkopf zu bleiben hatte. - Eine Bewußtseinsspaltung, die Zynismus und Servilismus bewirken mußte.

Die Zeitungen verbreiteten sprachlich wie inhaltlich eine unsägliche Tristesse. Unvergessen bleibt jene Ausgabe des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland", in der das Konterfei des Partei- und Staatschefs Honecker schätzungsweise vierzigmal abgedruckt wurde. Funk und Fernsehen waren ein bißchen besser gemacht, hatten aber in der direkten Auseinandersetzung mit den westlichen Sendern keine Chance, höhere Einschaltquoten oder gar Glaubwürdigkeit zu erlangen.

"Parteilichkeit" als parteiliche Umschreibung für Manipulation


Viermal "herzlich willkommen", einmal "herzlich begrüßt" – das war so ziemlich alles, was in der unifomierten Presse der DDR an Abweichung zulässig war. Zum Beispiel wäre es jeder dieser Zeitungen übel bekommen, wenn sie auch nur das Attribut "herzlich" in der Schlagzeile vergessen hätte! Die von der Agitationsabteilung ausgegebenen Sprachregelungen waren strikt zu befolgen.

Diese absurde Praxis hing mit einer absurden Theorie zusammen, wonach Information ausschließlich oder doch in erster Linie als "Manipulation" verstanden wurde. Der Ausdruck "Manipulation" blieb natürlich der Informationspolitik im Kapitalismus vorbehalten. Hinsichtlich der eigenen Praktiken sprach man von "Parteilichkeit" der Berichterstattung - ein Begriff, der selbst nichts anderes als eine "parteiliche" Umschreibung für Manipulation war.

Das "Wörterbuch der sozialistischen Journalistik", das 1981 von der Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig herausgegeben wurde, definiert "Information" schlechthin als "von Klasseninteressen bestimmte Übermittlung von Erkenntnissen an Menschen und Menschengruppen mit dem Ziel, auf ihr Denken, Fühlen und Handeln einzuwirken". Auch die journalistische Information sei "also unmittelbarer Ausdruck von Klasseninteressen". Entsprechend wird Informationspolitik als "Mittel des politisch-ideologischen Klassenkampfes zur Bekämpfung der Informationspolitik anderer Klassen bzw. politischer Kräfte" definiert. Das Grundprinzip der sozialistischen Informationspolitik sei "die Parteilichkeit auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus" und diese Parteilichkeit sei wiederum "der imperialistischen Politik der Manipulation diametral entgegensetzt". Die Parteilichkeit des sozialistischen Journalismus sei überdies auch noch von "Wissenschaftlichkeit" bestimmt, wogegen der bürgerliche Journalismus einen "unwissenschaftlichen Charakter" trage. (1)

Angesichts der notorischen Langweiligkeit, Unglaubwürdigkeit und Ineffizienz der DDR-Medien, die 1989 zum Offenbarungseid führte, braucht die "Wissenschaftlichkeit" dieses Konzeptes nicht weiter ad absurdum geführt zu werden. Interessanter dürfte sein, daß es auch mit der marxistischen Denkweise, auf die es sich berief, nicht viel zu tun hatte. Es ging zwar vordergründig von der Marxschen Feststellung aus, daß das herrschende Bewußtsein stets das Bewußtsein der herrschenden Klasse ist. Es verfälschte diesen objektiven Sachverhalt jedoch in eine Art Verschwörungstheorie, wonach die Angehörigen der herrschenden Klassen bzw. ihre Handlanger mit großer Bewußtheit und Raffinesse die Medien zur geistigen Unterdrückung der Massen mißbrauchen. Es wurden also in der bekannten stalinistischen Manier objektive gesellschaftliche Faktoren subjektiv zurechenbar gemacht.

Den Zusammenhang von "Überbau" und "Unterbau" verkannt

Deshalb fehlte den Machthabern der DDR auch ein zureichendes Verständnis dessen, was sie den kapitalistischen Medien als "Manipulierung des Bewußtseins" ankreideten. Ausgehend von ihren eigenen grobschlächtigen Praktiken, unterstellten sie den gegnerischen Medien im Grunde dieselbe Art von "Parteilichkeit". Sie konzedierten lediglich, daß diese kapitalistische Meinungslenkung viel raffinierter und von der betroffenen Öffentlichkeit unbemerkt vonstatten ginge. Im Sinne jener Verschwörungstheorie, die auch sonst die "marxistisch-leninistische" Sicht auf den "Imperialismus" bestimmte, unterstellten sie eine genauso planmäßige wie diskrete, dem Durchschnittsmenschen verborgen bleibende Instrumentalisierung der kapitalistischen Medien durch Dunkelmänner und Strippenzieher des "Monopolkapitals". (2)

Sicher gab und gibt es in allen kapitalistischen Ländern eine Manipulierung im Sinne einer vorsätzlichen, bewußt betriebenen Instrumentalisierung von Presse, Fernsehen, Film und Funk für bestimmte wirtschaftliche oder politische Zwecke (von der unverhüllten Werbung ganz zu schweigen). Sie reicht von einem Alfred Hugenberg, der einer der Steigbügelhalter Adolf Hitlers war, bis zum kleinsten Lokalverleger, der sich aus geschäftlichen oder sonstigen Gründen in die Redaktion einmischt. Ein neueres Beispiel ist der Medienzar Berlusconi, der sich dank seiner Verfügungsgewalt über einen beträchtlichen Teil der italienischen Massenmedien sogar selbst zum Regierungschef aufschwingen konnte. Auch Tony Blair und "new labour" verdankten ihren Regierungsantritt großteils der gnädigen Schützenhilfe durch einen Medienmogul. Es wäre insofern naiv, die Medien zur unbestechlichen "vierten Gewalt" zu verklären oder die Journalisten, die diese Apparate bedienen, für etwas anderes als Erfüllungsgehilfen ihrer jeweiligen Brotgeber zu halten. Auch in der Geschichte des öffentlich-rechtlich verfaßten Funks finden sich zahlreiche Beispiele für gezielte Einflußnahme auf Nachrichtengebung und Programmgestaltung.

Diese kapitalistische Manipulation bleibt jedoch im Regelfall dem Geschäftszweck ein- und untergeordnet. Sie befindet sich damit im fließenden Übergang zur ganz gewöhnlichen und praktisch unvermeidbaren Manipulation, die ein Journalist schon den Fakten angedeihen läßt, wenn er sie auswählt, gewichtet oder in das Prokrustesbett einer verkaufsträchtigen "Story" zwängt. Die bewußt betriebene Manipulation ist letztlich sogar ziemlich unbedeutend gegenüber jener naturwüchsigen Manipulation, welche die kapitalistische Bewußtseinsindustrie quasi "unbewußt" besorgt.

Auch der Manipulator bleibt diesen Zwängen unterworfen. Sobald er nachhaltig gegen den Geschäftszweck verstößt, erschüttert er mit den materiellen Grundlagen des Mediums seine eigenen Voraussetzungen. Zum Beispiel hat Axel Cäsar Springer seinen Redaktionen einen stramm-konservativen Kurs mit bestimmten Sprachregelungen auferlegt. Zumindest sein Flaggschiff "Die Welt" bezahlte aber die politischen Ambitionen ihres Verlegers mit solchen Einbußen an Renommee und Auflage, daß sie nur mit Zuschüssen aus anderen Konzernbereichen am Leben erhalten werden konnte.

Entkleidet man die "Pressefreiheit" ihres hehren ideologischen Gewandes, bleibt nicht viel mehr als ein Spezialfall der allgemeinen Gewerbefreiheit. Aber gerade als Spezialfall der allgemeinen Gewerbefreiheit ist sie ein unverzichtbares Regulativ für funktionierenden, hochentwickelten Kapitalismus. Erst die freie Zirkulation von Informationen und Meinungen ermöglicht auch die freie Zirkulation der ökonomischen Sphäre - und umgekehrt. Die Hohenpriester des "Marxismus-Leninismus", die sich so gern auf Marx beriefen, haben diesen Zusammenhang zwischen ökonomischem "Unterbau" und ideologischem "Überbau" nie richtig begriffen. Sonst wäre ihnen klar gewesen, daß die Malaise ihrer Medien und die Starrheit des politischen Systems nur die Malaise der ökonomischen Sphäre widerspiegelten - und daß eine liberalere Medienpolitik Voraussetzung gewesen wäre, um die Verkrustungen des ökonomischen und politischen Systems zu lösen.

Befehlsempfang bei "Geggels"

Die DDR-Medienlenkung bediente sich ähnlicher Instrumente, wie sie zuvor der Nationalsozialismus zur "Gleichschaltung" und zentralen Steuerung der Medien verwendet hatte. Beispielsweise mußten sich die Chefredakteure der SED-Presse einmal wöchentlich im "Großen Haus" des SED-Zentralkomitees einfinden, um dort - analog den täglichen Befehlsausgaben durch Goebbels - die neusten  Sprachregelungen der Partei in Empfang zu nehmen. Der dafür zuständige Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda hieß zuletzt Heinz Geggel - von den Journalisten hinter vorgehaltener Hand auch "Geggels" genannt... (3)

Es gab in der DDR jedoch nie eine förmliche Zensur (auch im "Dritten Reich" wurde die Militärzensur erst 1939 mit Kriegsbeginn eingeführt). Das System funktionierte nach dem Prinzip des vorauseilenden Gehorsams. Wer die "Empfehlungen" der Agitationsabteilung mißachtete, riskierte seine Absetzung oder Schlimmeres. Die Vorzensur war in den Köpfen der Journalisten installiert. Die Redaktionen waren hochpolitisierte Gebilde, die unpassendes Gedankengut zuverlässiger orteten und herausfilterten, als dies einem Zensor möglich gewesen wäre. Das alte Theater-Motto "Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen", hing sozusagen unsichtbar über allen Schreibtischen. Deshalb unterlagen die Redaktionen auch keiner besonderen Überwachung durch die "Staatssicherheit", die sonst jeden Winkel des DDR-Alltags observierte.

Für die "Anleitung" der sogenannten Blockparteien und ihrer Medien war das Presseamt der DDR zuständig. Sein langjähriger Leiter  Kurt Blecha war früher NSDAP-Mitglied. Blecha war sicher nicht der einzige, der das braune Parteiabzeichen durch den SED-"Bonbon" im Knopfloch ersetzt hatte.  Im wesentlichen konnten und wollten die DDR-Medien aber nicht auf Personal aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgreifen (im Unterschied zur Bundesrepublik, wo die Hürden für Journalisten mit NS-Vergangenheit schon Ende der vierziger Jahre wieder beseitigt wurden). Schließlich verfügte man dafür über eigene Genossen, wie Lex Ende, den ersten Chefredakteur des "Neuen Deutschland",  oder einen Karl-Eduard von Schnitzler, der zum Chefkommentator für DDR-Funk und -Fernsehen avancierte. Solche altgedienten KPD-Propagandisten, die ihre Sozialisation noch in der Weimarer Republik erfahren hatten, waren für den späteren DDR-Journalismus allerdings nicht typisch - weder ein Lex Ende, der selbst zum tragischen Opfer des Stalinismus wurde und 1951 Selbstmord verübte, noch ein Karl-Eduard von Schnitzler, der bis zum Zusammenbruch der DDR und darüber hinaus mit bemerkenswertem Starrsinn den "Sudel-Ede" spielte. Der journalistische Nachwuchs, wie er später im "Roten Kloster" (4) der Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig herangezogen wurde, war vor allem karrierebewußt und angepaßt. Seine formal-handwerkliche Ausbildung war im allgemeinen besser als die des westdeutschen Journalisten. Dies half ihm allerdings wenig, wenn er mit den Zwängen des DDR-Medienapparats konfrontiert wurde. Wer vorwärts kommen wollte, mußte sich bedingungslos die Phraseologie der Partei zueigen machen. Was inhaltlich oder auch nur sprachlich von den vorgegebenen Schemata abwich, konnte schnell zum Stolperstein werden. Der bessere Teil der Journalisten flüchtete sich in eine Mischung aus Zynismus und Hoffnung auf bessere Zeiten. Verstärkt empfunden wurden diese Zwänge im letzten Jahrzehnt der DDR, als mit Joachim Herrmann ein besonders bornierter Apparatschik im Politbüro die Oberaufsicht über die Medien führte. (5)

Versuch der systemimmanenten Kritik im Gewand der Kybernetik

Daß sich die Machthaber der DDR mit ihrer Medienpolitik nur in die eigene Tasche logen, war auch in Kreisen der Partei bekannt. Es hätte gleichwohl Ketzerei bedeutet, dies öffentlich auszusprechen - ungefähr so, als würden katholische Würdenträger die Oberhoheit des Papstes in Zweifel ziehen. Denn soweit die SED überhaupt eine Art Medien-Theorie hatte, basierte diese auf denselben Paradigmen, dies auch sonst ihrem beschränkten Verständnis von Staat, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft zugrunde lagen.

Eines dieser von Lenin bezogenen Paradigmen war der industrielle Großbetrieb des 19. Jahrhunderts, in dem eine zentrale Dampfmaschine über Transmissions-Riemen zahlreiche größere und kleinere Maschinen antrieb. Die SED glaubte, in derselben Weise auch gesellschaftliche Prozesse steuern zu können. Sie sah sich sozusagen in der Rolle der Dampfmaschine oder des Maschinisten. Entsprechend sollten die von ihr gesteuerten Medien als Transmissions-Riemen wirken. Die Presse müsse "kollektiver Propagandist, kollektiver Agitator und kollektiver Organisator" sein - so lautete eine gebetsmühlenhaft wiederholte Formel, die jeder Journalist im Schlaf aufsagen konnte. Und analog zur "Partei neuen Typs" war von der "Presse neuen Typs" die Rede.

Die Welt der Regelkreise  und Vernetzungen blieb diesem Denken fremd, das sein Paradigma vom Transmissions-Riemen des mechanischen Zeitalters bezog. Die anfängliche Ächtung der Kybernetik als "bürgerliche Afterwissenschaft" kam auch nicht von ungefähr: Die Selbststeuerung von Prozessen, das Prinzip der Rückkopplung oder das gleichberechtigte Zusammenwirken aller Elemente eines Regelkreises mußten als verdeckter ideologischer Angriff auf das eigene autoritäre Prinzip, den "demokratischen Zentralismus", empfunden werden. Zumindest solange, bis die Kybernetik unverzichtbare Ergebnisse vorweisen konnte.

Kritik am Infantilismus der DDR-Medienpolitik war allenfalls in verschlüsselter Form möglich. Den wohl bemerkenswertesten Versuch in dieser Richtung unternahm 1971 der Kybernetiker und Medientheoretiker Georg Klaus mit seinem Buch "Die Sprache der Politik". (6) Mit großem Aufwand an kybernetischer Theorie und Semiotik versuchte Klaus darin, den Herrschenden ein liberaleres Verständnis von Medienpolitik nahezubringen. Oder besser gesagt: Er versuchte ihnen klarzumachen, daß der agitatorische Holzhammer ein untaugliches Instrument zur Erlangung von Glaubwürdigkeit und langfristigen Stabilisierung von Herrschaft ist.

Das Buch von Klaus erschien zu einem günstigen Zeitpunkt, denn damals schickte sich Werner Lamberz als ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda an, die verkrustete DDR-Medienpolitik etwas aufzulockern. Im Rahmen der nach wie vor bestehenden poststalinistischen Strukturen mußten freilich Klaus wie Lamberz scheitern. Klaus selber zollte diesen Strukturen seinen Tribut, indem er in seinem Buch das Informationsmonopol der SED grundsätzlich rechtfertigte: Es gebe "allgemeine wissenschaftliche Gründe", den unbegrenzten Zugang zu Informationen zu verbieten - so postulierte er - , denn der einzelne Mensch sei nun mal nicht in der Lage, darüber zu entscheiden, welche Informationen richtig, wesentlich oder unwesentlich seien.

(Bei diesem Text handelt es sich um Auszüge aus meinem Buch "Entfremdung - Neurose - Ideologie", Bund-Verlag, Köln 1990, die nach der "Wende" um ein paar Passagen ergänzt wurden)