März 1993 |
930302 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 11.3. den Prozeß um das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich an das Oberverwaltungsgericht in Koblenz zurückverwiesen. Es teilt nicht die Auffassung der Koblenzer Richter, daß die neue 1. Teilgenehmigung für den Reaktor grundsätzlich unzureichend sei. Allerdings müsse die Frage der Standortsicherheit, besonders mit Blick auf die Erdbebengefahr im Neuwieder Becken, nochmals geprüft werden.
Das KKW Mülheim-Kärlich lieferte nach seiner Inbetriebnahme 1987 nur knapp ein Jahr lang Strom. Es mußte 1988 abgeschaltet werden, nachdem das Bundesverwaltungsgericht die 1. Teilgenehmigung aus dem Jahr 1975 für ungültig erklärt hatte, weil die Behörden wesentliche Sicherheitsfragen wie die Erdbebengefahr nicht geprüft hätten. Die damalige Mainzer Landesregierung wollte die entstandene Genehmigungslücke durch eine nochmalige 1. Teilgenehmigung schließen. Dagegen klagten jedoch die Städte Neuwied und Mayen 1991 erfolgreich vor dem Oberverwaltungsgericht in Koblenz. Gegen dieses Urteil rief wiederum die RWE Energie als Betreiberfirma das Bundesverwaltungsgericht an und erwirkte die jetzige Entscheidung.
Die RWE Energie hat nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die sofortige Inbetriebnahme des stillgelegten Kernkraftwerks beantragt, der jetzt noch die aufschiebende Wirkung der anhängigen Klagen entgegensteht. Das rheinland-pfälzische Umweltministerium erklärte, den Antrag "so gründlich und zügig wie möglich" zu prüfen (Handelsblatt, 12.3.; FAZ, 12.3.; DPA ,11. u. 17.3).
Im Juni 1992 hatte das Landgericht Mainz in erster Instanz entschieden, daß das Land Rheinland-Pfalz für die fehlerhafte 1. Teilerrichtungsgenehmigung hafte und der RWE Energie die Hälfte der durch die Stillegung entstandenen Kosten erstatten müsse. Vor dem Mainzer Landtag bezifferte Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) die Schadenersatzansprüche der RWE Energie auf 459,6 Millionen DM. Die Landesregierung halte sich jedoch nach wie vor nicht für verpflichtet, dieser Forderung nachzukommen (Handelsblatt, 26.3.; siehe auch 920607 u. 920707).
Nach Ansicht der Frankfurter Rundschau (12.3.) können sich aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts beide Parteien als Sieger fühlen: "Die Betreiberin RWE kann zufrieden auf ein Wiederanfahren des 1300-Megawatt-Blocks durch Sofortvollzug drängen. RWE hat es nun gerichtsfest, daß die neue erste Teilgenehmigung aus dem Jahr 1990 zu Unrecht aufgehoben worden ist. Auch die Kläger aus Neuwied und die Bürgerinitiativen gegen die Atomanlage sehen sich nicht als Verlierer. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat ihre Bedenken wegen mangelnder Erdbebensicherheit und befürchteter Einflüsse des Eifelvulkanismus immerhin so ernst genommen, daß nun Bewertungsdefizite gerichtlich überprüft werden müssen."
Für die Tageszeitung (12.3.) würde eine Genehmigung des RWE-Antrags auf Sofortvollzug die "persönliche atompolitische Glaubwürdigkeit" des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping wie auch die der SPD bedrohen: "Sollte in einem sozialdemokratisch geführten Land während der Konsensverhandlungen ein Atomkraftwerk in Betrieb gehen, wird es einen gesellschaftlichen Konsens nicht geben. Und umgekehrt: Sollten die Konsensbemühungen zu einem wie immer gearteten Ergebnis führen, läuten für den RWE-Reaktor endgültig die Totenglocken."
Das Handelsblatt (16.3.) gab zu bedenken:
"In Mainz muß nicht zuletzt auch deshalb sorgfältig
geprüft und abgewogen werden, weil erhebliche Schadenersatzforderungen
drohen."