Mai 2025

250507

ENERGIE-CHRONIK


Belgische Rechtsregierung lässt sich zum Ausstieg aus dem Atomausstieg ermächtigen

In Belgien hat sich die seit Februar amtierende Rechtsregierung unter dem konservativen Premierminister Bart de Wever zum Ausstieg aus dem Atomausstieg ermächtigen lassen, der vor 22 Jahren beschlossen wurde und ursprünglich in diesem Jahr beendet sein sollte (030110). Die von fünf Parteien getragene Regierungsmehrheit im Parlament billigte am 15. Mai eine entsprechende Gesetzesvorlage, die vor allem auf Betreiben des Energieministers Mathieu Bihet zustande kam. Dieser gehört der wirtschaftsliberalen Partei "Mouvement Réformateur" (MR) an, die bereits in der vorangegangenen Sieben-Parteien-Koalition des christdemokratischen Ministerpräsienten Alexander de Croo für eine Neubelebung der Kernenergie getrommelt hatte, während der KKW-Betreiber Engie-Electrabel dieser populistischen Stimmungsmache widersprach und die Beibehaltung des Atomausstiegs verlangte (211205).

Der Energieminister redet nun davon, neue Reaktoren zu errichten und stillgelegte zu reaktivieren...

Die beiden belgischen Kernkraftwerke Doel und Tihange mit ihren sieben Druckwasserreaktoren

(in Grau bis Ende 2025 stillgelegte Reaktoren)

Reaktorblock
MW (netto)
Inbetriebnahme
Doel 1
392
15. 2. 1975
Doel 2
433
1. 12. 1975
Doel 3
1006
1. 10. 1982
Doel 4
1008
2. 7. 1985
Tihange 1
962
1. 10. 1975
Tihange 2
1008
1. 6. 1983
Tihange 3
1015
1. 9. 1985

Belgien verfügt an den beiden Standorten Doel und Thihange über insgesamt sieben Reaktoren. Davon wurden Doel 1 und Tihange 2 vor zwei Jahren stillgelegt. Im Februar dieses Jahres folgte Doel 3. Bis zum Jahresende sollen auch noch Doel 2 und Tihange 1 endgültig vom Netz gehen. An diesen bereits erfolgten oder geplanten Stilllegungen wird der jetzige Beschluss voraussichtlich nichts ändern, obwohl der Energieminister in einem Zeitungsinterview ankündigte, auch die aus Alters- und Sicherheitsgründen stillgelegten Reaktoren auf Möglichkeiten der Wiederinbetriebnahme untersuchen zu lassen. Insgesamt will der Energieminister von den ursprünglich vorhandenen 5,8 Gigawatt KKW-Kapazitäten vier Gigawatt erhalten bzw. reaktivieren und zusätzlich weitere vier Gigawatt neu errichten.

...was aber ohne Einverständnis des KKW-Betreibers Engie gar nicht möglich wäre

Indessen dürften sowohl der Neubau von Kernkraftwerken als auch der Verzicht auf die beiden in diesem Jahr noch anstehenden Abschaltungen oder gar die Reaktivierung von bereits stillgelegten Reaktoren schon am Widerstand des französischen Energiekonzerns Engie scheitern, der die belgischen Kernkraftwerke betreibt. Engie entstand 2008 aus der Fusion der Gaz de France (GDF) mit dem Mischkonzern Suez (080618) und hieß bis 2015 GDF-Suez. Kurz vor der Fusion hatte Suez einst den Kraftwerkskonzern Electrabel übernommen, weshalb der belgische KKW-Betreiber heute eine Engie-Tochter ist.

Für die Laufzeitenverlängerung von Reaktoren wollte GDF-Suez einst riesige Summen an den Staat zahlen

Wie für andere KKW-Betreiber war auch für Engie die staatlich subventionierte Atomstromerzeugung zunächst ein lukratives Geschäft. Noch 2009 wollte deshalb die damalige GDF-Suez der belgischen Regierung jährlich bis zu 245 Millonen Euro für die Öffnung eines Schlupflochs in dem 2003 beschlossenen Atomausstiegsgesetz zahlen: Damit wäre es ihr ermöglicht worden, die drei ältesten Reaktoren zehn Jahre länger laufen zu lassen, die sonst 2015 die gesetzlich maximal erlaubte Betriebsdauer von vierzig Jahren erreicht hätten (091004). Es handelte sich um eine Art Kuhhandel zwischen GDF-Suez und der damaligen Regierung von Herman van Rompuy: Mit dieser Vereinbarung wollte man anscheinend auf gütlichem Wege eine juristische Auseinandersetzung um die Atomsteuer beenden, mit der die Regierung seit 2008 die KKW-Gewinne abschöpfte. Bei dem unterzeichneten Abkommen handelte sich aber eher um eine Absichtserklärung. Es kam jedenfalls zu keinem entsprechenden Gesetz. Das modifizierte Atomausstiegsgesetz vom 18. Dezember 2013 verlängerte dann lediglich die Laufzeit für Tihange 1 auf fünfzig Jahre bis 2025. Für alle anderen Reaktoren blieb es vorerst bei vierzig Jahren. (160104)

Heute ist es die Regierung, die Engie den Widerstand gegen ihre Kernenergiepolitik für viel Geld abkaufen muss

Inzwischen investiert der Namensnachfolger Engie lieber in Erneuerbare Energien oder andere Arten der Stromerzeugung. Laufzeitenverlängerungen für KKW stören diese Neuorientierung nur: Als die Regierung von Alexander De Croon im März 2022 für die beiden Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 eine Laufzeitenverlängerung um zehn Jahre beschloss (220312), gab Engie seinen Widerstand gegen diesen Beschluss erst nach viermonatigen Verhandlungen auf. Die Regierung musste akzeptieren, dass nicht Engie den Weiterbetrieb übernimmt, sondern eine neu gegründete Betreibergesellschaft, an der Engie und der belgische Staat jeweils zur Hälfte beteiligt sind. Der Staat muss außerdem die Entsorgung des Atommülls finanzieren sowie den erzeugten Atomstrom zehn Jahre lang subventionieren (220712).

Generell sind Kernkraftwerke unrentabel und reine Kapitalvernichtung geworden, sofern ihre finanziellen und sonstigen Risiken nicht größtenteils der jeweilige Staat übernimmt (zum Beispiel wie in Frankreich, wo zivile und militärische Nutzung der Kernenergie schon immer verbunden waren). Die parlamentarisch abgesegnete Selbstermächtigung der Brüsseler Rechtsregierung zum Ausstieg aus dem Atomausstieg dürfte deshalb an der energiepolitischen Situation in Belgien vorerst gar nichts ändern. Es wird schon schwierig genug sein und schätzungsweise zwei Milliarden Euro kosten, die beiden vierzig Jahre alten Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 ab 2026 so nachzurüsten, dass aus der 2022 beschlossenen Laufzeitenverlngerung keine nukleare Katatrophe wird. Belgien würde dann bis 2035 noch über eine KKW-Kapazität von rund zwei Gigawatt verfügen. Die acht Gigawatt, von denen der Energieminister spricht, sind insoweit zu drei Vierteln nicht mehr als heiße Luft, die sich wahrscheinlich schon bis zu den nächsten Wahlen verflüchtigt haben wird. Das verbleibende Viertel hat aber mit dem jetzt verkündeten Ausstieg aus dem Atomausstieg nichts zu tun, weil es seit drei Jahren ohnehin schon geplant war.

Links (intern)