November 2024

241103

ENERGIE-CHRONIK


OMV kürzt Gasrechnung der Gazprom um 230 Millionen Euro Schadensersatz

Wie der österreichische Energiekonzern OMV am 13. November mitteilte, hat ihm ein Schiedsgericht nach den Regeln der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC) einen Schadenersatz von 230 Millionen Euro zuzüglich Zinsen und Kosten gegenüber der russischen Gazprom zugesprochen. Diesen Schadensersatzanspruch werde er mit sofortiger Wirkung gegenüber Zahlungsverpflichtungen der OMV für russische Gaslieferungen aufrechnen. Es sei zu erwarten, dass dieser Schritt "mögliche negative Auswirkungen" auf die vertraglichen Beziehungen mit Gazprom haben werde, "inklusive einer potenziellen Einstellung der Gaslieferungen". Die Positiveffekte des zugesprochenen Schadenersatzes würden aber deutlich überwiegen.

Als Putin den Gashahn für Deutschland zudrehte, traf er unabsichtlich auch den österreichischen Energiekonzern


Früher gab es drei von Russland nach Westeuropa bzw. Deutschland führende Gaspipeline-Verbindungen: Nord Stream, Jamal und Transgas. Davon ist seit Sommer 2022 nur noch die Transgas in Betrieb. Sie verläuft durch die Slowakei (SK) mit Abzweigungen nach Tschechien (CZ) und zum Erdgasverteilerzentrum Baumgarten in Österreich, von wo aus die Trans Austria Gasleitung (TAG) weiter bis nach Norditalien und Slowenien (Sl) führt. Nicht eingezeichnet ist auf dieser Karte u.a. die Gasleitung, die bereits in der Ukraine nach Ungarn abzweigt.

Den Schadensersatz hatte OMV zugesprochen bekommen, weil auch OMV-Kunden betroffen waren, als der Kreml-Herrscher Putin im Sommer 2022 die über die drei Pipelines Jamal, Transgas und Nord Stream in Deutschland ankommenden Gasflüsse aus Russland immer stärker gesenkt und schließlich ganz gestoppt hatte (220802). Wegen dieser Vertragsverletzung musste der österreichische Energiekonzern im September 2022 das Gas für seine Kunden in Deutschland teuer hinzukaufen.

Uniper könnte ebenfalls offene Gazprom-Gasrechnungen pfänden lassen

Gazprom weigert sich allerdings grundsätzlich, Urteile von Schiedsgerichten anzuerkennen, wenn sie in Ländern zustande kommen, die sich an den Sanktionen gegen das Putin-Regime beteiligen. Deshalb war Eile geboten, um den Schadensersatzanspruch noch realisieren zu können. Der Vertrag über den Gastransit durch die Ukraine läuft nämlich 2025 aus und wird von der Kiewer Regierung höchstwahrscheinlich nicht verlängert, falls Putin nicht zu Gegenleistungen bereit ist. Außerdem gibt es neben der OMV noch andere Gläubiger, die offene Rechnungen oder Gaslieferungen der Gazprom pfänden lassen könnten. Dazu gehört vor allem der deutsche Uniper-Konzern, dem ein Schiedsgericht einen Schadensersatz von 13 Milliarden Euro zuerkannt hat (240605).

OMV will vor allem den bis 2040 laufenden Liefervertrag mit Gazprom loswerden

Die OMV dürfte mit ihrer jetzigen Vorgehensweise jedoch vor allem bezweckt haben, aus dem langfristigen und teuren Liefervertrag mit der Gazprom wieder herauszukommen, den ihr der Putin-Freund Rainer Seele eingebrockt hat, der von Juli 2015 (150319) bis Juni 2022 (210415) ihr Vorstandsvorsitzender war und einen milliardenschweren Scherbenhaufen hinterließ (220607). Sie konnte nämlich davon ausgehen, dass die Gazprom auf die Verrechnung des zugebilligten Schadensersatzes mit noch unbezahlten Gaslieferungen mit einem Lieferstopp reagieren würde. Und das ist juristisch als Vertragsbruch zu werten, der zur Kündigung berechtigt.

Trotz des Lieferstopps floss nicht viel weniger Gas über die Grenzen

Tatsächlich reagierte die Gazprom daraufhin am 16. November um sechs Uhr morgens mit einem Gaslieferstopp für die OMV, der aber andere Abnehmer der nach bzw. durch Österreich transportierten Gasmengen nicht betraf. Nach Angaben des Dienstleisters ICIS gelangten vor dem Lieferstopp täglich durchschnittlich 26 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag über die Ukraine und die Slowakei nach Österreich. Davon waren 17 Millionen für die OMV bestimmt. Der Durchfluss an der Grenze sei indessen nur auf 22 Millionen Kubikmeter zurückgegangen. Ein Teil der Differenz von 9 Millionen lasse sich mit Gasmengen erklären, die in der Slowakei verblieben sind, um dort eingespeichert oder verbraucht zu werden. Der Rest wird nach Ansicht von Experten aber wohl von österreichischen Händlern abgenommen worden sein, die ihn dann weiterverkauften – nicht zuletzt auch an die OMV.

In der Ukraine blieb der Transit-Durchfluss sogar stabil

Nach Angaben des slowakischen Netzbetreibers Eustream blieb in der Ukraine der Durchfluss nach Westen mit etwa 41 Millionen Kubikmeter täglich sogar stabil. Nach Daten des Europäischen Verbands der Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSOG) sind die Weiterlieferungen aus der Slowakei nach Österreich nur um etwa zehn Prozent zurückgegangen. Demnach wären in der Slowakei täglich nur etwas mehr als zwei Millionen Kubikmeter Gas zusätzlich eingespeichert oder verbraucht worden.

Die vergleichsweise zurückhaltende Reaktion der Gazprom lässt vermuten, dass sie am Weiterbetrieb der noch verbliebenen Gaspipelines ein sehr großes Interesse hat, da sie und der Kreml mehr denn je auf die damit erzielten Exporterlöse angewiesen sind. Deshalb hat Putin bisher auch die durch die Ukraine führenden Transittrassen nicht von russischen Raketen, Flugzeugen oder Drohnen bombardieren lassen, zumal die ungarische Gasversorgung davon am härtesten getroffen würde und er es sich nicht leisten kann, in Budapest seinen EU-Freund Orban vor den Kopf zu stoßen oder gar von seinem populistischen Thron zu stürzen.

Die Details des Liefervertrags mit Gazprom werden in Wien weiterhin als Geheimsache behandelt

Die Einzelheiten des bis 2040 laufenden Liefervertrags mit der Gazprom, den die OMV loswerden möchte, sind nach wie vor geheim. Man wusste bisher nur, dass er eine "Take-or-pay"-Klausel enthält, wonach die OMV die vereinbarten Gasmengen auch dann bezahlen muss, wenn sie diese gar nicht mehr benötigt. Umgekehrt könnte sie jedoch aus dem Vertrag aussteigen, wenn Gazprom nicht mehr liefert. Und das ist nun geschehen.

Wie am 25. November die österreichische Wirtschaftszeitung "Der Standard" berichtete, durfte inzwischen der Zivilrechtsprofessor Andreas Kletecka als Mitglied der Gas-Unabhängigkeitskommission des Klimaschutzministeriums Einsicht in den geheimen Gasliefervertrag nehmen. Demnach bietet ein Stopp der Belieferung tatsächlich einen hinreichenden Grund, um aus dem Vertrag auszusteigen. Das ergebe sich schon daraus, dass in dem Vertrag die Anwendung schwedischen Rechts vereinbart wurde, das – so wie die allermeisten Rechtsordnungen – eine entsprechende Kündigungsmöglichkeit vorsehe. Der Jurist konnte den Vertrag nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen (ohne Handy, mit Überwachung) in einem Raum im Klimaschutzministerium einsehen. Er darf auch keine weiteren Details über die Vereinbarung öffentlich machen.

 

Links (intern)