August 2020

200806

ENERGIE-CHRONIK




Die bisher von der EDF angegebenen 12,4 Milliarden Euro widerspiegeln nicht das ganze Ausmaß der Kostenexplosion auf der Baustelle des ersten EPR in Frankreich. Der Rechnungshof schätzt sie jetzt auf mindestens 19,1 Milliarden Euro.

Muss Frankreich seine Pläne für Reaktor-Neubauten revidieren?

Der französische Rechnungshof "Cours des Comptes" bezweifelt die Fähigkeit der französischen Nuklearindustrie, neue Reaktoren rechtzeitig und zu akzeptablen Preisen zu bauen. In einer seit 9. Juli vorliegenden Studie empfiehlt er eine umfassende Bestandsaufnahme der bisherigen Erfahrungen mit dem Druckwasserreaktor EPR und eine bis 2050 reichende Planung des französischen Strom-Mixes, bevor es zur Eröffnung neuer EPR-Baustellen im In- oder Ausland kommt. Die Regierung hat bereits zugesagt, diese und andere Empfehlungen des Rechnungshofs zu unterstützen. Wegen der offenkundig mangelnden Rentabilität des EPR-Reaktors könnte so der Anteil der Kernenergie an der französischen Stromerzeugung schneller als bisher vorgesehen schrumpfen und der Ausbau der Erneuerbaren wieder größeren Stellenwert erlangen. In diesem Zusammenhang sind auch die Windkraft-Projekte mit einer Nennleistung von insgesamt 1,9 Gigawatt zu sehen, die RWE in Frankreich zu verwirklichen gedenkt (200802).

Neubauprogramm für sechs EPR-Blöcke steht auf schwachen Beinen

Bisher ging die Regierung davon aus, dass die Electricité de France (EDF) ab 2021 an drei Standorten im Abstand von vier Jahren mit dem Bau von jeweils zwei neuen EPR beginnen würde, die binnen zwanzig Jahren fertig werden und mit einer Leistung von insgesamt 9.600 Megawatt ältere Reaktoren ersetzen könnten. Die Kosten dafür wurden von der EDF mit insgesamt 46 Milliarden Euro veranschlagt, was ungefähr 7,7 Milliarden pro Block entspräche. Demgegenüber bezweifelt der Rechnungshof, dass Zeitplan und Kosten realistisch sind.

"Grand carénage" würde ebenfalls beträchtliche Kosten verursachen

Im vergangenen Jahr betrug der Anteil des Atomstroms in Frankreich noch 70,6 Prozent. Aufgrund des 2015 beschlossenen Energiewende-Gesetzes sollte er bis 2025 auf fünfzig Prozent sinken (150704). Inzwischen wurde dieses Ziel aber um zehn Jahre gestreckt und auf 2035 verschoben (190704). Die Stilllegung von 14 der insgesamt 58 Druckwasserreaktoren – infolge der Abschaltung des KKW Fessenheim sind es inzwischen nur noch 56 (200616) – wäre dabei durch neue Reaktoren vom Typ EPR kompensiert worden. Wenn diese nun nicht zur Verfügung stehen, weil sie schlicht unrentabel sind, werden die Erneuerbaren als Stromquelle entsprechend attraktiver. Alternativ ließe es die in Frankreich geltende Rechtslage zu, die Laufzeit der alten Reaktoren nach Erreichen einer Betriebsdauer von vierzig Jahren noch zweimal um jeweils zehn Jahre zu verlängern. Diese "grand carénage" setzt allerdings eine aufwendige Generalüberholung voraus, die ebenfalls beträchtliche Kosten verursacht, mit Sicherheitsrisiken behaftet bleibt und nicht für alle Reaktoren in Frage kommt.

Deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt geriet zum Milliardengrab

Der EPR war ursprünglich ein Gemeinschaftsunternehmen des deutschen Siemens-Konzerns und des französischen Reaktorbauers Framatome, mit dem nach der Katastrophe von Tschernobyl die Folgen einer Kernschmelze möglichst auf das Reaktorgebäude begrenzen werden sollten. Das Projekt wurde 1989 hauptsächlich mit Blick auf Deutschland gestartet, wo der Neubau von Kernkraftwerken zum Erliegen gekommen war. Die Hoffnung, damit unter günstigen politischen Umständen eine Renaissance der Kernenergie einleiten zu können, erfüllt sich allerdings nicht. Nachdem Siemens sich 2001 erst teilweise und 2009 schließlich ganz aus dem Projekt zurückzog, führte die französische Nuklearindustrie es in alleiniger Regie weiter, hatte damit aber ebenfalls kein Glück. Stattdessen geriet der EPR zu einer ununterbrochenen Serie von Pannen, Kostenexplosionen und exzessiven Bauzeit-Überschreitungen (siehe Hintergrund).

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