Dezember 2021

211212

ENERGIE-CHRONIK


 


"Mit unserem Whitepaper wollen wir allen Netzbetreibern zeigen, wie sie klimaneutral werden können", erklärte der Geschäftsführer der Netze BW, Steffen Ringwald, bei der Vorstellung des EnBW-Projekts. Links von ihm ist auf dem Bildschirm der zugeschaltete VKU-Geschäftsführer Ingbert Liebing zu sehen.
Foto EnBW:

EnBW will Netzverluste "klimaneutral" kompensieren, obwohl sie keine Treibhausgase verursachen

Die Netze BW und sieben weitere Netztöchter der Energie Baden-Württemberg (EnBW) wollen ihren "ökologischen Fußabdruck verkleinern". Am 10. Dezember veröffentlichten sie dazu unter dem Titel "Klimaneutralität in Verteilnetzen" ein sogenanntes Whitepaper (siehe PDF), mit dem üblicherweise PR-Strategen und Marketing-Experten eine Kampagne starten. Echte Beiträge zur Erreichung des Ziels "Klimaneutralität" sind sicher sehr löblich, und auch im Netzbereich bieten sich dafür Möglichkeiten. Ein genauso wichtiger wie naheliegender Beitrag wäre beispielsweise, wenn man alle SF6-Schalter in den Umspannwerken durch eine andere Technik zur Löschung von elektrischen Lichtbögen ersetzen könnte, denn Schwefelhexafluorid ist mit großem Abstand das stärkste aller Treibhausgase. Dieses Problem wurde bei der Vorstellung des "Whitepaper" freilich erst gar nicht erwähnt, und auch in dem Papier selber wird man es vergebens suchen. Stattdessen war vom üblichen Klein-Klein zur Erhöhung der Energieffizienz die Rede. Dazu gehören beispielsweise Brennwertkessel zur Beheizung von Betriebsgebäuden, energiesparendere Beleuchtungen, bessere Routenplanung zur Vermeidung unnötiger Dienstfahrten oder die Einsparung von Druckerpapier.

Allerdings wollen es die EnBW-Netzbetreiber dabei nicht bewenden lassen. Sie glauben vielmehr, einen besonders gewichtigen Faktor entdeckt zu haben, der das Klima belastet und den es nur in ihrem Bereich gibt: Die sogenannte Verlustenergie, die beim Transport des Stroms in Wärme umgewandelt wird und deshalb für andere Nutzungen nicht mehr zur Verfügung steht. Diese Verlustenergie wollen sie mit einer entsprechenden Menge an Strom aus erneuerbaren Energien "klimaneutral" kompensieren. Da den Netzbetreibern eine eigene Stromerzeugung nicht gestattet ist, sollen ihnen die Regulierungsbehörden zumindest erlauben, in entsprechendem Umfang sogenannte Herkunftsnachweise für Strom aus erneuerbaren Energien kaufen zu dürfen. Für Laien mag sich das zunächst irgendwie stimmig anhören. Bei näherer Betrachtung sträuben sich einem allerdings die Haare, wie willkürlich hier mit klimapolitischen und energiewirtschaftlichen Sachverhalten umgegangen wird, damit sich eine Branche in ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit viel Gedöns als "klimaneutral" präsentieren kann.

 

Der deutsche Bruttostromverbrauch war in dem hier dargestellten Zeitraum regelmäßig geringer als die Bruttostromerzeugung, weil mehr Strom ins Ausland floss als von dort eingeführt wurde. Für die Berechnung und Zuordnung der Treibhausgas-Emissionen spielt es aber keine Rolle, wo der erzeugte Strom anschließend verbraucht wird. Dafür ist nur die Bruttostromerzeugung maßgeblich. Mit den so ermittelten Werten ist dann die Treibhausgasbilanzierung abgeschlossen, da beim Stromverbrauch keinerlei Emissionen entstehen. Das gilt für den Kraftwerkseigenbedarf und die Netzverluste ebenso wie für die "Endenergie", die nach Abzug dieser beiden Stromschlucker für Nutzanwendungen durch die Verbraucher verbleibt und üblicherweise als Nettostromverbrauch bezeichnet wird.
Quellen: AGEB / BDEW

Netzbetreiber ziehen sich einen Schuh an, der lediglich Kraftwerksbetreibern passen würde

Einen ähnlichen Vorstoß unternahmen bereits im Juli die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW, wobei sie von den vier großen regionalen Netzbetreibern E.ON Netz, EWE Netz, Netze BW und Stromnetz Berlin unterstützt wurden (210710). Auch hier ging es darum, die beim Netzbetrieb entstehenden elektrischen Verluste, die ungefähr fünf Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs ausmachen, mit sogenannten Herkunftsnachweisen für Strom aus erneuerbaren Energien abdecken zu dürfen, damit sie nicht klimaschädlich sind. Das ist freilich weder nötig noch möglich, weil die CO2-Emissionen nur bei der Erzeugung des Stroms freigesetzt werden. Sie werden deshalb auch bereits bei der Bruttostromerzeugung bilanziert und sind umso höher, je mehr fossil befeuerte Kraftwerke am Erzeugungs-Mix beteiligt sind. Durch den anschließenden Stromverbrauch entstehen dagegen überhaupt keine Treibhausgase. Das gilt auch für die sogenannte Verlustenergie, bei der ein Teil des transportierten Stroms in Wärme umgewandelt wird und damit für Nutzanwendungen verloren geht. Auch das ist nur ein Stromverbrauch, der zwar unerwünscht zustande kommt, aber aus technisch-physikalischen Gründen für den Netzbetrieb notwendig ist und sich nur begrenzt verringern lässt. Die Netzbetreiber ziehen sich also einen Schuh an, der lediglich Kraftwerksbetreibern passen würde. Durch die Netzverluste beim Transport des Stroms entstehen jedenfalls keine zusätzlichen CO2-Emissionen. Hinzu handelt es sich bei den famosen Herkunftsnachweisen um pure Augenwischerei und Kosmetik, weshalb sie gar nicht geeignet wären, real entstehende CO2-Emissionen "klimaneutral" zu kompensieren. Der Vorstoß der Netzbetreiber zielt deshalb sozusagen auf die Beseitigung eines rein imaginären Problems durch eine rein imaginäre Lösung. Er basiert auf einer doppelten Fiktion. Durchaus real wären dagegen die Kosten für den Ankauf dieser Kosmetik-Papiere, die in die Netzentgelte eingehen und damit den Stromverbrauchern aufgebürdet würden (siehe Hintergrund, Juli 2021).


Neben den Netzverlusten bildet der Eigenverbrauch der Kraftwerke den anderen Teil der Differenz zwischen Brutto- und Nettostromverbrauch. Bei Kohlekraftwerken können das bis zu zehn Prozent sein, und bei Kernkraftwerken noch mehr. Der Grund dafür sind stromschluckende Hilfsaggregate wie Kohlemühlen, Gebläse, Pumpen oder Transportbänder. Deutlich genügsamer sind Wasser- oder Gaskraftwerke, die nur etwa ein Prozent des erzeugten Stroms für Hilfsdienste benötigen. Bei Windkraft- oder Photovoltaikanlagen ist der Eigenbedarf noch niedriger. Der Eigenverbrauch der Stromerzeugung wird deshalb mit dem Fortschreiten der Energiewende weiter sinken. Im vergangenen Jahr war er mit 28,5 Terawattstunden noch ein bißchen größer als die Summe aller Netzverluste, die mit 27,2 TWh beziffert wurde. – Trotzdem ist noch kein Kraftwerksbetreiber auf die Idee gekommen, den Eigenverbrauch der Stromerzeugung als klimabelastende "indirekte Emission" erscheinen zu lassen, wie das die Netzbetreiber jetzt mit den Netzverlusten versuchen.
Quelle: BDEW

Anscheinend soll dem Unsinn jetzt erst einmal auf Landesebene zur Anerkennung verholfen werden

"Mit unserem Whitepaper wollen wir allen Netzbetreibern zeigen, wie sie klimaneutral werden können", erklärte der Geschäftsführer der Netze BW, Steffen Ringwald, bei der Vorstellung des Vorhabens, bei dem sein Unternehmen die Federführung übernommen hat. Die anderen sieben Mitwirkenden sind kleinere Netztöchter der EnBW in Baden-Württemberg (Netze ODR, Stuttgart Netze, ED Netze, Netze-Gesellschaft Südwest, NHF Netzgesellschaft Heilbronn-Franken) sowie die Netzgesellschaft Düsseldorf und der Prager Stromverteiler PREdistribuce. Die beiden letzteren gehören ebenfalls zum Konzern, denn die EnBW verfügt schon seit vielen Jahren auch über die Mehrheit an den Stadtwerken Düsseldorf (051206) und am Stromversorger der tschechischen Hauptstadt (100913).

In der Runde der acht Netzbetreiber, die im Juli den ersten Vorstoß unternahmen, war die EnBW mit ihrem Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW und ihrem Regionalnetzbetreiber Netze BW gleich zweimal vertreten. Dass nun die Netze BW allein vorprescht und dabei von sieben kleineren EnBW-Verteilnetzbetreibern unterstützt wird, muss nicht unbedingt darauf schließen lassen, dass die sieben anderen Mitglieder der ersten Runde die Unsinnigkeit ihres Vorhabens eingesehen hätten. Es könnte sich auch um ein taktisches Vorgehen handeln, um die Erlaubnis zum Kauf von Herkunftsnachweisen zur Kompensierung der imaginären Klimabelastung durch die Verlustenergie erst einmal auf Landesebene durchzusetzen. Für die sieben Verteilnetzbetreiber, die von der Netze BW ins Schlepptau genommen wurden, ist sowieso nicht die Bundesnetzagentur, sondern die Landesregulierungsbehörde beim Stuttgarter Wirtschaftsministerium zuständig. Im übrigen bietet gerade Baden-Württemberg ideale Voraussetzungen für ein solches Vorhaben, denn die EnBW gehört praktisch zu hundert Prozent der öffentlichen Hand bzw. dem Land und Kommunalverbänden, während die Grünen schon seit zehn Jahren Regierungspartei sind und im Aufsichtsrat der EnBW entscheidenden politischen Einfluß haben. Vor allem sind sie in großen Teilen eher realo-konservativ als linksliberal-kritisch geprägt, was sie für eine "klimaneutral" gefärbte Öffentlichkeitsarbeit ohne sachliche Fundierung empfänglich macht.

Landesumweltministerin und VKU-Geschäftsführer unterstützen das Projekt vorbehaltlos

So übernahm nun auch die Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne) sogleich die Schirmherrschaft. In einem per Video-Übertragung übermittelten Grußwort lobte sie das EnBW-Projekt als wichtigen Schritt in eine klimaneutrale Zukunft und wünschte den beteiligten Unternehmen "viel Erfolg bei der Umsetzung der Empfehlungen zur CO2-Neutralität". Man wird der Umweltministerin dabei wohl zugute halten müssen, dass sie - den biographischen Angaben auf Wikipedia zufolge – bisher mehr mit Waldorfpädagogik und Marketing als mit Netztechnik zu tun hatte. Aber auch der Hauptgeschäftsführer des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), Ingbert Liebing (CDU), der ebenfalls per Video-Übertragung zugeschaltet wurde und von dem man eine größere Vertrautheit mit Begriffen wie "Verlustenergie" erwarten darf, begrüßte den von der EnBW geplanten "klimaneutralen Netzbetrieb" vorbehaltlos.

Jetzt muss die KPMG nur noch eine Begründung finden, weshalb es sich bei der Verlustenergie um "indirekte Emissionen" handelt

Wichtige Unterstützung erhofft sich die EnBW vor allem von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Diese soll den Netzbetreibern die "Treibhausgasbilanzierung" ihrer Netzverluste ermöglichen, obwohl es da eigentlich gar nichts zu bilanzieren gibt. Zweifellos eine sehr schwierige Aufgabe. Das Emblem der KPMG prangt deshalb auch auf der Titelseite des "Whitepaper", und sie hat sogar ein eigenes Vorwort beigesteuert. Beim Durchlesen des Papiers ergeben sich erste Hinweise, wie das Kunststück gelingen soll. Die KPMG hat nämlich an der Ausarbeitung eines sogenannten "Greenhouse Gas Protocol" mitgewirkt, mit dem sich private Unternehmensinteressen scheinbar zwanglos in die Klimadiskussion einbringen lassen. Dazu gehört vor allem ein Modell zur Treibhausgasbilanzierung mit drei sogenannten Scopes, die neben "direkten" Emissionen auch "indirekte" sowie "vor- und nachgelagerte" Emissionen umfassen. Die Verlustenergie soll in diesem Modell unter "indirekte Emissionen" verbucht werden können. Die Umweltministerin äußerte in ihrem Grußwort sogar den Wunsch, dass die Netzbetreiber doch bitteschön alle drei Scopes in Anspruch nehmen mögen. Wie das im einzelnen vor sich gehen und begründet werden soll, bleibt vorläufig offen. Die Experten der KPMG sind aber im Auffinden von Schlupflöchern für ihre Mandanten bekanntlich sehr findig, und deshalb wird ihnen dazu sicher noch etwas Passendes einfallen...

 

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