September 2021 |
210907 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Vattenfall Europe Sales GmbH hat von August 2018 bis Dezember 2019 routinemäßig die Daten von rund einer halben Million neuer Strom- und Gaskunden daraufhin überprüft, ob sie bereits einmal Kunde des Unternehmens waren und dabei die Wechselprämien in Anspruch nahmen. Gegebenenfalls hat sie dann die neuen Anträge von "Bonus-Hoppern" abgelehnt, um ihr Geschäft profitabler zu gestalten. Da dies ohne Wissen und ausdrückliche Zustimmung der Kunden geschah, wurde ihr deshalb von der Hamburger Behörde für Datenschutz ein Bußgeld von 900.000 Euro auferlegt. Bekannt wurde die Affäre jedoch erst durch Recherchen des NDR und der Süddeutschen Zeitung, die am 24. bzw. 25. September darüber berichteten.
Vattenfall reagierte auf die bevorstehende Veröffentlichung bereits am frühen Morgen des 23. September mit einer Darstellung, die der Affäre einen möglichst harmlos-positiven Anstrich zu geben versuchte. Die Pressemitteilung bestätigte nebenbei die Verhängung eines "sechsstelligen Bußgelds". Zugleich ließ sie aber keinen Zweifel daran, dass Vattenfall an der beanstandeten Praxis festhalten will. Die Überprüfung werde nur modifiziert und in dieser Form auch von der Hamburger Datenschutzbehörde toleriert, indem den Kunden künftig die ausdrückliche Zustimmung zum Abgleich aller verfügbaren Daten abverlangt wird:
"In den vergangenen Monaten stand die Vattenfall Europe Sales GmbH in einem offenen und konstruktiven Austausch mit der Hamburger Datenschutzbehörde. Fokus war die Rechtmäßigkeit des Datenabgleichs von Kundendaten zur Verhinderung einer missbräuchlichen Ausnutzung bonus-relevanter Verträge. Die Hamburger Datenschutzaufsichtsbehörde hat nunmehr final bestätigt, dass die von der Vattenfall Europe Sales GmbH verantwortete Datenverarbeitung in der Vergangenheit rechtmäßig war. Gleiches gilt für die Zukunft. Mit dieser verbindlichen Klärung ist für Vattenfall ein wichtiges Ziel erreicht. Die Datenschutzbehörde wies aber auf ein Versäumnis ausreichender Informationspflichten gegenüber den Neukunden hin. Dabei bemängelte die Behörde die notwendige Aufklärung der betroffenen Kunden über den konkreten Abgleich ihrer Daten. Die Kundendaten der Vattenfall Europe Sales GmbH waren zu keinem Zeitpunkt gefährdet oder Missbrauch ausgesetzt, lediglich die Transparenz war aus Sicht der Behörde zu verbessern. Die Datenschutzbehörde betont, dass es sich um keinen schwerwiegenden und darüber hinaus erstmaligen Verstoß handele. Zudem lobt die Datenschutzbehörde die konstruktive und transparente Zusammenarbeit von Vattenfall zur Klärung des Sachverhaltes. Die Datenschutzbehörde verhängte aufgrund dieses Sachverhalts ein sechsstelliges Bußgeld."
Den Hintergrund bildet, dass die Bonus-Lockangebote sich für die Stromvertriebe erst dann rentieren, wenn nach Ablauf der Mindestvertragsdauer der wesentlich teurere Anschlusstarif greift. Umgekehrt profitiert der Kunde von einer solchen Prämie nur, wenn er den Vertrag unter exakter Einhaltung der Bestimmungen vor Ablauf kündigt. Es kommt also darauf an, wer den anderen zuerst über den Tisch zieht. Rein juristisch sind dabei beide Seiten im Recht. In der Regel sind aber die Verbraucher die Gelackmeierten, denn sonst gäbe es die Bonus-Angebote nicht.
Wenn Vattenfall von einer "missbräuchlichen Ausnutzung bonus-relevanter Verträge" spricht, ist das deshalb eine Irreführung, die davon ablenken soll, dass derartige Bonus-Verträge im Regelfall von den Stromvertrieben mißbräuchlich ausgenutzt werden – wobei das Pejorativ "mißbräuchlich" in beiden Fällen nicht juristisch, sondern umgangssprachlich zu verstehen ist. Auf Seiten der Energievertriebe gibt es allerdings einen gleitenden Übergang zu solchen Bonus-Vertragsgestaltungen, die auch einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten. Das hat beispielsweise der Skandal um "Flexstrom" gezeigt (130401).
Die Hamburger Datenschutzbehörde scheint sich nun damit zufrieden zu geben, dass die Bonus-Neukunden ihrer Überprüfung auf frühere Bonus-Verträge ausdrücklich zustimmen. Eine solche Lösung befriedigt aber höchstens formaljuristisch. Dem Daten- und Verbraucherschutz ist damit nicht gedient. Die Datenschutzbehörde erleichtert damit den Stromvertrieben die Aussiebung solchen Kunden, die das mißbräuchliche Spiel mit Bonus-Angeboten durchkreuzen und bei ausreichender Anzahl sogar endgültig stoppen könnten, indem sie die Lieferverträge stets passgenau kündigen bzw. diese diffizile Aufgabe einem Spezialanbieter übertragen. Die "Bonus-Hopper" sind nämlich für das halbseiden durchwirkte Vertriebsgeschäft zu einer besonderen Gefahr geworden, seitdem sich etliche Unternehmen anheischig machen, dem einzelnen Verbraucher die Mühe der Tarifauswahl und der rechtzeitigen Kündigung abzunehmen, wofür sie dann einen Bruchteil der erzielten Einsparung oder vom neuen Lieferanten eine Provision erhalten (200916).
Ebenfalls durch Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung wurde vor
einem Jahr bekannt, dass die beiden Auskunfteien Schufa und Crif Bürgel an
Datenpools arbeiten, in denen die Vertragsdaten der Kunden von
Energieversorgern branchenweit zusammengetragen werden. Nebenbei würde
damit den Energievertrieben eine Art Schwarze Liste zur Identifizierung
und Aussonderung von "Bonus-Hoppern" ermöglicht (200916).
Auch hier sollte der Datenschutz durch "freiwillige" Zustimmung der
Betroffenen unterlaufen werden. Die beiden Auskunfteien beschönigten ihr
Vorhaben als Service für benachteiligte Verbraucher, die mit der
Zustimmung zur Überprüfung ihrer Konten gegebenenfalls ihre bisher
schlechte Bonitätsbewertung verbessern könnten (210113).
Zuletzt war von diesen Plänen nichts mehr zu hören. Mit der Tolerierung
der Vattenfall-Praxis auf der mit der Hamburger Datenschutzbehörde
ausgehandelten Basis würden sie neuen Auftrieb erhalten.