Dezember 2019 |
191205 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich am 12. Dezember auf das gemeinsame Ziel, "bis 2050 im Einklang mit den Zielen des Übereinkommens von Paris eine klimaneutrale Union zu erreichen". In den einstimmig verabschiedeten "Schlußfolgerungen" der Ratstagung heisst es allerdings einschränkend: "Ein Mitgliedsstaat kann sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichten, dieses Ziel für sich umzusetzen, und der Europäische Rat wird im Juni 2020 darauf zurückkommen." Mit diesem Mitgliedsstaat ist Polen gemeint, das seinen Strom zu mehr als 80 Prozent aus Braun- und Steinkohle erzeugt.
Die eigenartige Formulierung erklärt sich daraus, dass die "Schlussfolgerungen", mit denen die Staats- und Regierungschefs jeweils das politische Fazit ihrer Ratstagungen ziehen, einvernehmlich angenommen werden müssen. Die polnische Regierung war aber nicht bereit, eine Abschlusserklärung zu ermöglichen, mit der sie sich ebenfalls zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekannt hätte. Sie will die nun vereinbarte Kompromißformel so verstanden wissen, dass Polen von diesem Ziel ausgenommen worden sei. Die polnische EU-Vertretung formulierte etwas konzilianter: "Wir werden das Ziel in unserem eigenen Tempo erreichen." Die große Mehrheit der EU-Mitglieder sieht in dem Zugeständnis aber nicht viel mehr als einen Aufschub bis zur nächsten Ratstagung.
Mit der Einführung einer gelenkten Justiz und anderen Verstößen gegen grundlegende EU-Normen gehört Polen neben Ungarn, Bulgarien und Rumänien sowieso schon zu den problematischsten EU-Mitgliedern. Bei allem Verständnis für die übergroße Abhängigkeit des Landes von der Kohleverstromung bewegt sich deshalb die Duldungsbereitschaft der anderen EU-Mitglieder in zunehmend engeren Grenzen. Der französische Präsident Emanuel Macron machte dies im Anschluss an die Ratstagung sehr deutlich, als er von einer "befristeten Ausnahmeregelung" für Polen sprach, welche die EU in ihrer Gesamtheit nicht an der Umsetzung des beschlossenen Ziels der Klimaneutralität hindere.
Macron unterstrich, dass die nun geplanten geplanten legislativen Maßnahmen zur Umsetzung des "Green Deal" von Polen sowieso nicht blockiert werden können, da sie keine Einstimmigkeit, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit erfordern. Außerdem würde sich die polnische Regierung beim Beharren auf einem klimapolitischen Sonderweg selber von Prinzipien der Gemeinschaft verabschieden, zu denen insbesondere die finanzielle Solidarität gehöre ("elle se placerait elle-même en-dehors des mécanismes européens, notamment de solidarité financière"). - Ein Wink mit dem finanziellen Zaunpfahl, der die von EU-Transferleistungen abhängigen Nationalisten in Warschau am ehesten beeindrucken dürfte.
Ungarn und Tschechien wollten das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zunächst ebenfalls nicht unterstützen, wie das schon bei der vorherigen Ratstagung der Fall war. Sie ließen sich ihren Widerstand dann aber gegen ein Zugeständnis abhandeln, das ihnen noch wichtiger war als die weitere Kohleverstromung: Im Unterschied zu Polen verfügen diese ehemaligen Sowjet-Satelliten seit Jahrzehnten über KKW-Standorte, die sie mit Unterstützung aus Brüssel weiter betreiben wollen. Sie wollten deshalb die CO2-freie Kernenergie ausdrücklich als "grüne Energiequelle" anerkannt haben. Das gelang ihnen zwar nicht. Als Gegenleistung für ihr Einschwenken auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 mussten die übrigen Ratsmitglieder aber der Aufnahme der folgenden Sätze in die "Schlussfolgerungen" zustimmen:
"Der Europäische Rat erkennt an, dass die Energieversorgungssicherheit gewährleistet werden muss und das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden und die am besten geeigneten Technologien zu wählen, zu achten ist. Einige Mitgliedstaaten haben erklärt, dass sie als Teil ihres nationalen Energiemixes Kernenergie nutzen."
Laut Artikel 4 des Pariser Klimaabkommens ist unter Klimaneutralität der "weltweite Scheitelpunkt der Emissionen von Treibhausgasen" zu verstehen, den alle Vertragsparteien so bald wie möglich zu erreichen versuchen. Darüber hinaus sollen dann weitere Reduzierungen der Gesamtemissionen erfolgen, "um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogengen Emissionen von Treibhausgasen und dem Abbau solcher Gase durch Senken herzustellen". Solche Senken könnten beispielsweise Aufforstungsmaßnahmen sein.
Im Juni dieses Jahres unternahm der Europäische Rat einen ersten Versuch, für die Gesamtheit der EU-Staaten die Ereichung dieses Ziels bis 2050 zu proklamieren. Er scheiterte jedoch wegen der erforderlichen Einstimmigkeit am Widerstand Polens, Tschechiens, Ungarns und Estlands. Lediglich in Form einer Fußnote kam zum Ausdruck, dass "für eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden" müsse (190601).