September 2019

190910

ENERGIE-CHRONIK


Grundversorger benachteiligen Stromsparer und Kleinverbraucher immer stärker

Die deutschen Grundversorger benachteiligen Stromsparer und Kleinverbraucher immer stärker, indem sie die Grundpreise gegenüber den Arbeitspreisen erhöhen. Wie der Tarifvergleicher Verivox am 9. September mitteilte, sind die Strompreise der Grundversorgung in den letzten fünf Jahren für Verbraucher mit niedrigen Verbräuchen fast doppelt so stark gestiegen wie die Preise für Kunden mit höherem Stromverbrauch. Der Vergleich bezieht sich dabei auf die Stromkosten für einen Jahresverbrauch von 1.500 Kilowattstunden (Ein-Personen-Haushalt ohne elektrische Warmwasserbereitung) und für einen Jahresverbrauch von 6.000 Kilowattstunden (zum Beispiel Vier-Personen-Haushalt mit elektrischer Warmwasserbereitung). Im einen Fall stieg der Grundversorgungtarif zwischen 2014 und 2019 um 8,4 Prozent, im anderen nur um 4,8 Prozent.

Grundpreise stiegen in fünf Jahren zehnmal mehr als die Arbeitspreise

Der Grund für die ungleiche Preisentwicklung bei unterschiedlichen Verbräuchen liege in der Struktur der meisten Stromtarife: Sie bestehen aus einem festen monatlichen Grundpreis, der unabhängig vom Verbrauch fällig wird, und einem Arbeitspreis pro Kilowattstunde. Die Arbeitspreise seien bei dem Fünf-Jahres-Vergleich um rund drei Prozent gestiegen. Dagegen hätten die Grundpreise im gleichen Zeitraum um über 30 Prozent – also um das Zehnfache – zugenommen. Dies sei vor allem auf die Entwicklung der Netzentgelte zurückzuführen, die rund ein Viertel des Strompreises ausmachen.

Aufteilung des Strompreises bewirkt einen mehr oder weniger großen Mengenrabatt

In der Tat bewirkt die Aufteilung des Strompreises in einen festen Grundpreis und einen variablen Arbeitspreis einen faktischen Mengenrabatt, der umso größer wird, je mehr Bestandteile des Strompreises vom Arbeitspreis in den Grundpreis umgeschichtet werden. Dieser Mengenrabatt führt wiederum dazu, dass Stromsparen faktisch bestraft wird und ausgerechnet sozial schwache Kleinverbraucher wie Hartz-IV-Empfänger die absolut höchsten Strompreise pro Kilowattstunde zahlen müssen.

Gesetzlich vorgeschrieben ist nur der Arbeitspreis

Was jedoch in der Mitteilung von Verivox und auch in der Berichterstattung der Medien darüber nicht deutlich wurde, ist die Beliebigkeit – um nicht zu sagen Willkür -, mit der dieses Verhältnis verändert werden kann. Zum Beispiel erweckte die "Süddeutsche Zeitung" (10.9.) in dem Artikel "Der Preis des Sparens" den Eindruck, als ob es vorgeschrieben sei, dass die Netzentgelte oder andere Kostenbestandteile in Form eines Grundpreises ausgewiesen werden müssten, anstatt über den Arbeitspreis abgerechnet zu werden. Dem ist aber nicht so. Vielmehr bleibt es bei Haushaltskunden dem Gutdünken von Netzbetreibern oder Stromlieferanten überlassen, ob sie einen Teil ihrer Netzentgelte bzw. des Gesamtpreises in Form einer Pauschale berechnen oder sämtliche Kosten inklusive ihrer Gewinnmarge in den Arbeitspreis packen.

In § 17 Abs. 6 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck, indem für die Abrechnung bei nicht leistungsgemessenen Niederspannungskunden – also im gesamten Haushaltsbereich – nur der Arbeitspreis vorgeschrieben wird: "Für Entnahmen ohne Leistungsmessung im Niederspannungsnetz ist anstelle des Leistungs- und Arbeitspreises ein Arbeitspreis in Cent pro Kilowattstunde festzulegen."

Zugleich wird allerdings auch die Umschichtung von Preisbestandteilen in einen Grundpreis zugelassen, soweit der daraus resultierende Mengenrabatt nicht allzu groß wird: "Soweit zusätzlich ein monatlicher Grundpreis in Euro pro Monat festgelegt wird, haben Grundpreis und Arbeitspreis in einem angemessenen Verhältnis zueinander zu stehen. Das sich aus Grundpreis und Arbeitspreis ergebende Entgelt hat in einem angemessenen Verhältnis zu jenem Entgelt zu stehen, das bei einer leistungsgemessenen Entnahme im Niederspannungsnetz auf der Grundlage der Arbeits- und Leistungswerte nach dem Standardlastprofil des Netznutzers entstehen würde." Einer weiteren Bestimmung in § 30 Abs. 2 Nr. 5 zufolge hätte im Zweifelsfall die Regulierungsbehörde darüber zu entscheiden, wieweit die Kostenverschiebung vom Arbeits- zum Grundpreis noch als "angemessen" angesehen werden kann.

Möglichst hoher Mengenrabatt soll Vorteile der Eigenversorgung verringern

Nun sind viele Grundversorger allerdings an einem möglichst hohen Mengenrabatt interessiert, zumal sie fast immer zugleich der lokale Netzbetreiber sind. Auch der VKU, der Spitzenverband der kommunalen Unternehmen, will das Mißverhältnis zwischen Grund- und Arbeitspreisen nicht etwa verringern, sondern sogar noch verschärfen (siehe Hintergrund, Januar 2018). Der Grund ist das Vordringen der Eigenversorgung mit Solarstrom: Für die Stromvertriebe schmäler das den Absatz, und aus Sicht der Netzbetreiber wird die Vorhaltung des weiterhin benötigten Netzanschlusses nicht hinreichend honoriert. Durch möglichst hohe Fixkosten für den noch immer benötigen Strom aus dem Netz werden die Vorteile der Eigenversorgung geringer. Deshalb haben beide ein Interesse an möglichst hohen Grundpreisen sowohl für den Strombezug im allgemeinen als auch für die Netzentgelte im besonderen. Das Nachsehen haben Stromsparer, die für sorgamen Umgang mit elektrischer Energie einen höheren Preis pro Kilowattstunde zahlen müssen. Der schlimmste "Kollateralschaden" ist aber sicher, dass ausgerechnet Hartz-IV-Empfängern und anderen sozial schwachen Kleinverbrauchern, die aus irgendeinem Grund den Wechsel zu einem günstigeren Wahltarif nicht geschafft haben, in der Grundversorgung die höchsten Strompreise abverlangt werden.

 

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