April 2017 |
170402 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Die Vertreter der EU-Staaten billigten am 28. April eine "Novelle für Technikstandards von Großfeuerungsanlagen", die auf 77 Seiten festlegt, wieviel Quecksilber, Feinstaub, Schwefeldioxid (SO2) und Stickstoffdioxid (NO2) die Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen ab 2021 noch emittieren dürfen. Dabei wurde der Grenzwert für Stickoxid-Emissionen aus Braunkohle, der bisher 200 Milligramm pro Normkubikmeter beträgt, auf 175 Milligramm heruntergesetzt. Gegen den neuen Grenzwert stimmten Deutschland, Polen, Tschechien, Bulgarien, Finnland, Ungarn, die Slowakei und Rumänien. Der Vorschlag der EU-Kommission wurde deshalb nur mit 65 Prozent der Stimmen verabschiedet. Die Novelle wird nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU noch in die nationale Gesetzgebung umgesetzt werden müssen.
Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur (EUA) verursachten Stickoxide 2012 in Deutschland rund 10.400 Todesfälle. Rechnet man die Opfer von Ozon mit ein, das in Erdnähe aus der Reaktion von Stickoxiden mit Sauerstoff entsteht, steigt die Zahl auf rund 12.500. Noch mehr Todesfälle gibt es innerhalb der EU nur noch in Italien (siehe Grafik 2).
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion bestätigte die Bundesregierung am 24. Mai 2016, daß die Aufnahme von Stickoxiden über die Atemluft ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt:
"Kurzzeitig hohe NO2-Expositionen können Reizungen der Atemwege verursachen. Längerfristige Belastungen, insbesondere in Kombination mit anderen Luftschadstoffen, können zur Beeinträchtigung der Lungenfunktion, zu chronischen Herz-Kreislauferkrankungen, Lungenkrebs und durch diese zu vorzeitigen Sterbefällen führen. Kinder sind besonders sensibel gegenüber hohen NO2-Belastungen und können bei Überschreitungen des Kurzzeit-Grenzwertes vermehrt an Husten, Bronchitis und Atemwegsinfekten erkranken."
Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur gab es 2012 in Deutschland insgesamt 12.500 Todesfälle durch Stickoxide und das Folgeprodukt Ozon. |
Dennoch wollte die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel den Grenzwert für Stickoxide aus Braunkohle allenfalls auf 190 Milligramm herabsetzen. Der Grund dafür war, daß nicht alle deutschen Kraftwerke den neuen Grenzwert von 175 Milligramm einhalten können. Die betroffenen Anlagen müssen deshalb nachgerüstet werden, soweit sie nicht ohnehin bis 2021 stillgelegt werden. Diese Nachrüstung ist nach Meinung der Bundesregierung technisch nicht durchführbar oder zumindest wirtschaftlich unzumutbar. Letztendlich befürchtet sie wohl, daß eine aufwendige Nachrüstung die Betreiber veranlassen würde, die Anlagen möglichst lange am Netz zu belassen, um die Investitionskosten wieder hereinzuholen. Das Umweltbundesamt scheint diese Sichtweise zu teilen. In der Tat hat in der Vergangenheit der Zubau an fossil befeuerten Kraftwerken die Erhöhung der Grenzwerte, wie sie 2004 (040706) und 2008 (080211) beschlossen wurde, mehr als kompensiert (siehe Grafik 1). In ähnlicher Weise könnte sich eine Verzögerung der Stillegung älterer Anlagen nachteilig auf die Stickoxid-Bilanz auswirken und die Absenkung des Grenzwerts mehr als ausgleichen.
Umwelt- und Gesundheitsorganisationen demonstrierten am 25. April vor dem Kanzleramt und übergaben mehr als 120.000 Unterschriften für eine Eindämmung der Kraftwerks-Emissionen. |
Die "Klima-Allianz Deutschland" ist aufgrund der von ihr ermittelten Emissions-Daten allerdings der Ansicht, daß von den elf Braunkohle-Blöcken, die ab den neunziger Jahren in Betrieb gingen, nur drei betroffen sind. In diesen Fällen lohne die Nachrüstung, weil es sich ausgerechnet um die jüngsten Blöcke handele, denen dann noch eine Restlaufzeit von zwanzig bzw. zehn Jahren gewährt werden könne. Von den restlichen acht Blöcken würde die Hälfte unter dem neuen Stickoxid-Grenzwert bleiben. Die andere Hälfte habe ihn zwischen 2010 und 2017 nur in ein bis zwei Jahren nicht eingehalten. Der Schadstoff-Ausstoß lasse sich hier mit vertretbaren Investitionen und technischen Maßnahmen verringern.
Bei den drei nachzurüstenden Anlagen handelt es sich um die beiden BoA-Blöcke am Standort Neurath und den Block Q in Boxberg. Die Blöcke in Neurath verfügen jeweils über eine Leistung von 1100 MW und sind seit 2012 am Netz. Bei der Inbetriebnahme unterstrich RWE ihre angebliche Umweltfreundlichkeit durch einen grünen Knopf, mit dessen Betätigung sie in Gang gesetzt wurden (120807). Der Block Q in Boxberg verfügt über 900 MW und wurde seinerzeit von der Veag im Oktober 2000 in Betrieb genommen (001022). Später gelangte er mit der Veag an den Vattenfall-Konzern, der ihn 2016 mit zwölf anderen Braunkohle-Blöcken dem tschechischen Energiekonzern EPH überließ (160401).
Aufgrund der als "Sicherheitsbereitschaft" kaschierten Abwrackprämie werden bis 2019 ohnehin acht deutsche Braunkohle-Blöcke stillgelegt (160503). Den Anfang machte bereits das Kraftwerk Buschhaus (161009). Damit bleiben noch 16 Blöcke übrig, die zwischen 1965 und 1985 ans Netz gingen und den neuen Grenzwert nicht erfüllen. In diesen Fällen hält die Klima-Allianz den Weiterbetrieb mit Blick auf Alter und Klimaziele nicht für sinnvoll. Im östlichen Braunkohle-Revier handelt es sich um die Blöcke A, B, C und D in Jänschwalde sowie die Blöcke N und P in Boxberg. Sie gehören neuerdings alle der tschechischen EPH. Im westlichen Revier sind es die Blöcke D und E in Neurath, die Blöcke E, F, G und H in Weisweiler sowie die Blöcke E, F, G und H in Niederaußem. Hier ist durchweg RWE der Eigentümer.