Februar 2017 |
170209 |
ENERGIE-CHRONIK |
Noch am 30. September vorigen Jahres freute sich
der jetzt gefeuerte Matthias Brückmann über den "Sonderpreis
Digitalisierung", mit dem im Rahmen des "Handelsblatt Energy
Awards" das EWE-Projekt "enera" ausgezeichnet wurde.
Überreicht wurde ihm der Preis von der Hauptgeschäftsführerin
des Verbands kommunaler Unternehmen, Katherina Reiche.
Foto: EWE |
Der Aufsichtsrat der EWE AG beschloß am 22. Februar einstimmig, den bisherigen Vorstandsvorsitzenden Matthias Brückmann mit sofortiger Wirkung aus seinem Amt zu entlassen. Der Aufsichtsrat repräsentiert die kommunalen Anteilseigner des Konzerns, der sich zu hundert Prozent im Eigentum der öffentlichen Hand befindet (siehe Grafik). Er begründete seine Entscheidung unter anderem mit einer Spende in Höhe von 253.000 Euro, die Brückmann ohne vorherige Abstimmung und Genehmigung einer Stiftung des Profi-Boxers Wladimir Klitschko zukommen ließ, die Kinder in der Ukraine unterstützt. Ein Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG habe diesen und andere Vorwürfe bestätigt. Außerdem würden Brückmann eine "Vielzahl diverser grober Verfehlungen" vorgeworfen.
Die in Oldenburg ansässige EWE AG ist einer der größten deutschen Energiekonzerne. Sie gehört über zwei Beteiligungsgesellschaften 17 Landkreisen und vier Städten aus Niedersachsen. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) verfügt nach dem Scheitern der 2008 besiegelten strategischen Partnerschaft (080701) derzeit noch über einen Anteil von sechs Prozent, den die EWE aber bis 2019 ebenfalls zurückerwerben muß (151001). |
Außer der Spende wurde keiner der Vorwürfe näher beschrieben. Brückmann hatte sie am 25. März 2016 auf einer Gala-Veranstaltung zugunsten der Klitschko-Foundation in Kiew zugesagt und im Oktober 2016 überwiesen. Wie die Stiftung in einer Stellungnahme betonte, war die Spende an keine Gegenleistung gebunden. Es treffe deshalb nicht zu, daß angebliche Sponsoring-Verpflichtungen wie ein Auftritt von Wladimir Klitschko in der EWE-Region nicht erfüllt worden seien.
Brückmann hat die Spende nie bestritten. Am 3. Februar ließ er via EWE-Pressemitteilung wissen, daß er aufgrund der damals geltenden internen EWE-Regeln zu der Zusage in Kiew befugt gewesen sei. Die heutige Spendenrichtlinie habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegolten. Er habe es allerdings versäumt, den Finanz- und Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates der EWE AG vorab zu informieren. Dies sei "ein persönlicher Fehler"gewesen. Er habe sich deshalb entschlossen, die Summe in Gänze privat zu übernehmen.
Ab 7. Februar hatte Brückmann dann keine Gelegenheit mehr, sich via EWE-Pressemitteilung zu äußern. An diesem Tag empfahl das Präsidium des Aufsichtsrats einstimmig seine Entlassung. Bis zur endgültigen Beschlußfassung durch den gesamten Aufsichtsrat mußte er "im Einvernehmen mit dem Präsidium" sein Amt ruhen lassen.
Presseberichten zufolge begann die Affäre am 6. Dezember vorigen Jahres mit einem anonymen Brief an mehrere Aufsichtsratsmitglieder der EWE. Der unbekannte Absender warf darin dem Vorstandsvorsitzenden eine "permanente Vermischung von Dienstlichem und Privatem" vor. Neben der erwähnten Spende habe er einem Pizzeria-Kellner bei der Stromrechnung geholfen, eine Fahrerflucht mit dem Dienstwagen begangen und die eigene Ehefrau mit auf die Spesenabrechnung gesetzt.
Sonderlich brisant klingen sämtliche Vorwürfe nicht, zumal man bei Energieunternehmen noch ganz anderes gewohnt ist und Brückmann sie in wesentlichen Teilen bestreitet. So sei die angebliche Fahrerflucht ein Lackschaden gewesen, der dadurch entstand, daß er seinen Dienstwagen an einer Betonwand beschädigte. Er habe diesen Vorfall am nächsten Tag der zuständigen Stelle im Unternehmen gemeldet. Der Pizza-Kellner habe ihn tatsächlich um Hilfe wegen einer von EWE angemahnten Stromrechnung gebeten. Diese sei aber schon beglichen gewesen, noch ehe er deshalb aktiv werden konnte.
Den zentralen Vorwurf, mit der Zusage der Klitschko-Spende seine Kompetenzen überschritten zu haben, weist Brückmann ohnehin zurück. Laut einem Gutachten, das der Rechtswissenschaftler Uwe Schneider von der Universität Mainz in seinem Auftrag anfertigte, hätte er sogar über ein Spendenbudget bis zu 500.000 Euro verfügen dürfen. Brückmanns Frankfurter Anwalt Bernd-Wilhelm Schmitz findet es außerdem befremdlich, daß seinem Klienten nicht einmal Gelegenheit geboten worden sei, sich selber zu den erhobenen Vorwürfen vor dem Aufsichtsrat zu äußern.
In der Tat wirkt einiges seltsam an dieser Affäre, die wohl nur in Zusammenhang mit anderen Vorgängen bei dem Kommunalkonzern zu verstehen ist. So sollen bei der EWE Netz mehrere Manager die Auftragsvergabe von Schmiergeldern abhängig gemacht haben. Auch Naturalien wie Essenseinladungen oder Flüge nach Thailand seien gern akzeptiert worden. In derselben Sitzung, in der er Brückmann endgültig feuerte, beschloß der Aufsichtsrat, diese Vorwürfe "unter Hinzunahme einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft rückhaltlos aufzuklären". Im September vorigen Jahres trennte sich der Energieversorger von seinem Personalvorstand Nikolaus Behr, weil dieser die Ausspähung eines früheren Mitarbeiters mit illegalen Methoden veranlaßt haben soll. Eine nicht unwesentliche Rolle für den Unmut der kommunalen Anteilseigner spielt wohl auch, daß die EWE unter Brückmann das bisher übliche Sponsoring aller möglichen Vereinsaktivitäten in der von ihr versorgten Region zurückgefahren hat. Außerdem verweisen Kenner der Verhältnisse darauf, daß nach den Maßstäben, die jetzt bei Brückmann angelegt wurden, auch die Entlassung seines Vorgängers Werner Brinker fällig gewesen wäre, der sich bei den Kommunen größter Wertschätzung erfreute. So durfte Brinker im November 2011 im Amt bleiben, obwohl er Millionensummen für eine höchst fragwürdige PR-Aktion verplemperte und eine enorme Geldbuße verheimlichte, die der EWE wegen Bestechung eines Bürgermeisters auferlegt wurde (111115).
Brückmann war seit 1. Oktober 2015 Vorstandsvorsitzender des Kommunalkonzerns. Er trat damals die Nachfolge Brinkers an, der in den Ruhestand ging. Zuvor war er seit Juli 2013 im EWE-Vorstand tätig und verantwortete dort das Vertriebsressort. Seine Karriere begann er bei der MVV Energie in Mannheim: Dort war er ab 2000 zunächst für Marketing und Vertrieb zuständig, bevor er 2003 den Vorstandsvorsitz der Tochter Energieversorgung Offenbach (EVO) übernahm und von dieser Position aus 2007 den Sprung zum Vertriebsvorstand der MVV Energie schaffte (070414). Ein Jahr später hatte er sich außerdem um den Posten des MVV-Vorstandsvorsitzenden beworben, seine Bewerbung aber wieder zurückgezogen, nachdem der Aufsichtsrat den bis heute amtierenden Georg Müller favorisierte (081017).
Nach dem Rauswurf Brückmanns muß der EWE-Aufsichtsrat jetzt insgesamt drei neue Spitzenkräfte suchen, denn auch die Vorstandsposten für Technik und Personal sind seit Monaten unbesetzt.