November 2016

161110

ENERGIE-CHRONIK


Belastung durch "vermiedene Netzentgelte" soll erst 2030 auslaufen

Die Bundesregierung will die Stromverbraucher noch bis zum Jahr 2030 für "vermiedene Netzentgelte" zahlen lassen. Dies ergibt sich aus dem "Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur", der Anfang November bekannt wurde. Die Prämien für "vermiedene Netzentgelte" werden demnach ab 2021 nur für Neuanlagen gestrichen. Dagegen dürfen die Betreiber von Bestandsanlagen neun Jahre lang weiter mit Zahlungen rechnen. Es ist lediglich vorgesehen, deren Höhe schrittweise abzusenken.

Ein Bonus für Kraftwerksbetreiber, der vor 15 Jahren von der Strombranche erfunden wurde

Die Prämien für "vermiedene Netzentgelte" werden den Betreibern kleinerer konventioneller Kraftwerke gewährt, die ins Verteilnetz statt ins Übertragungsnetz einspeisen. Angeblich handelt es sich um einen Ausgleich für die Nicht-Beanspruchung der vorgelagerten Netzebenen und um einen Anreiz für dezentrale Stromeinspeisung. Daher auch die Bezeichnung "vermiedene Netzentgelte", die an sich widersinnig ist und in die Irre führt, da für die Stromeinspeisung durch Kraftwerke überhaupt keine Netzentgelte erhoben werden. Es bedarf auch keiner Anreize, um die dezentrale Einspeisung zu fördern, zumal kleinere Anlagen aufgrund ihrer technischen Auslegung sowieso ins Verteilnetz einspeisen. Letztendlich handelt es sich bei den "vermiedenen Netzentgelten" um ein einen sachlich nicht gerechtfertigten Bonus, den vor 15 Jahren die Strombranche als Bestandteil ihrer damaligen "Verbändevereinbarungen" erfunden hat und der dann 2005 in die neu erlassene Stromnetzentgeltverordnung übernommen wurde (siehe Hintergrund).

Prämien machen bis zu zwanzig Prozent der Netzentgelte aus

Die in § 18 der Stromnetzentgeltverordnung verankerte Regelung begünstigt vor allem die Betreiber von (Block-)Heizkraftwerken und gewährt ihnen neben der regulären KWK-Förderung zusätzliche Einkünfte. Rein formal gilt sie auch die Betreiber von EEG-Anlagen. Diese erhalten jedoch keine Zahlungen, obwohl sie den größten Teil der dezentralen Einspeisung bestreiten. Der Gesetzgeber unterstellt nämlich, daß ihre Prämien bereits in der EEG-Förderung enthalten seien. Aufgrund dieser Fiktion werden die errechneten Prämien nicht ausgezahlt, sondern von den Netzbetreibern einbehalten. Faktisch führt dies zur Umschichtung eines Teils der EEG-Umlage in Höhe von 0,2 Cent/kWh auf die Netzentgelte. Insgesamt bewirkt das Konstrukt der "vermiedenen Netzentgelte" einen Anstieg der real zu zahlenden Netzentgelte, der im Bundesdurchschnitt zehn Prozent der Netzkosten ausmacht, in einigen Regionen aber auch doppelt so hoch sein kann.

Schon das "Strommarktgesetz" sah eine Neuregelung vor

Diese künstliche Verteuerung der Netzentgelte belastet besonders die ostdeutschen Bundesländer und hat deren Ministerpräsidenten veranlaßt, gemeinsam bei der Bundesregierung zu protestieren (160501). Auch die Bundesnetzagentur hält das ganze System "für nicht mehr sachgerecht" und warnt vor einer "sich selbst verstärkenden Kostenspirale". Schon im Entwurf des "Strommarktgesetzes" (151103) war deshalb vorgesehen, das Konstrukt der "vermiedenen Netzentgelte" ab 2021 für Neuanlagen abzuschaffen. Auf Empfehlung des Wirtschaftsausschusses wurde dieser Passus aber wieder aus dem Gesetzespaket gestrichen – und zwar zugunsten einer "umfassenden Lösung", die noch in diesem Jahr verabschiedet werden sollte (160604).

Dem Energiewirtschaftsgesetz wird ein neuer Paragraph hinzugefügt

Der nun vorliegende Gesetzentwurf unterscheidet sich nicht wesentlich von der ursprünglich geplanten Regelung. Wie diese beschränkt er die Abschaffung der "vermiedenen Netzentgelte" auf Neuanlagen ab dem Jahr 2021. Immerhin begrenzt er aber die weiteren Zahlungen für Bestandsanlagen auf neun Jahre und verfügt deren schrittweise jährliche Absenkung um zehn Prozent.

Wichtigster Punkt ist die Erweiterung des Energiewirtschaftsgesetzes um einen neuen § 119, der in Absatz 1 die Zahlung der Prämie für "vermiedene Netzentgelte" ab 2021 auf Bestandsanlagen beschränkt. Für "Anlagen mit volatiler Erzeugung" – d.h. Wind- und Solarstrom – gilt diese Beschränkung auf Bestandsanlagen bereits ab 2018. Da die EEG-Einspeiser sowieso keine Zahlungen erhalten, ist das für sie allerdings ohne Belang und nicht mit realen Einbußen verbunden. Dasselbe gilt für das endgültige Auslaufen der Prämien, die durch Absatz 8 für die "volatile Erzeugung" auf den 1. Januar 2027 vorverlegt wird, während sie ansonsten auf den 1. Januar 2030 terminiert ist.

Da mit einem starken Anstieg der Netzentgelte zu rechnen ist, der automatisch auch die "vermiedenen Netzentgelte" vergrößert, begrenzt der neue Paragraph in Absatz 4 die Berechnungsgrundlage der Prämien auf die 2015 erreichte Höhe der Netzentgelte. Außerdem sind nach Absatz 5 bei den Übertragungsnetzbetreibern jene Kostenbestandteile nicht zu berücksichtigen, die auf die Offshore-Anbindungskosten und die Erdverkabelung entfallen. Absatz 3 schreibt vor, daß die Prämie nicht von Kraftwerken beansprucht werden kann, die bis 2015 nur ins Höchstspannungsnetz eingespeist haben. – Demnach bleibt die Prämie trotz aller Begrenzungen und künftigen Abstriche so attraktiv, daß sie die Betreiber großer Kraftwerke veranlassen könnte, den Wechsel zu einer nachgelagerten Netz- oder Umspannebene vorzunehmen.

Änderung der Stromnetzentgeltverordnung

Parallel zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes bekommt der einschlägige § 18 der Stromnetzentgeltverordnung einen neuen Absatz 5, der die Prämien für die "vermiedenen Netzentgelte" ab 2018 bzw. 2021 jährlich schrittweise um zehn Prozent absenkt. Ferner wird der Verordnung in Absatz 2 eine neue Anlage 6 eingefügt. Diese enthält ein sogenanntes Schattenpreisblatt, das als Berechnungsgrundlage zur Ermittlung der "vermiedenen Netzentgelte" bei den vier Übertragungsnetzbetreibern zu verwenden ist.

 

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