September 2016 |
160901 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die beiden größten der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber planen für das kommende Jahr eine enorme Erhöhung ihrer Netzentgelte und kommunizieren dies bereits jetzt, um die dafür nach § 23a des Energiewirtschaftsgesetzes vorgeschriebene Genehmigung der Bundesnetzagentur zu erhalten. "Unsere Netzentgelte werden zum Jahreswechsel um 80 Prozent steigen", erklärte Tennet-Chef Urban Keussen gegenüber dem "Handelsblatt" (23.9.). Kurz darauf ließ ein Sprecher des ostdeutschen Netzbetreibers 50Hertz wissen, daß dieser eine Erhöhung um 45 Prozent beabsichtige. Amprion nannte auf Anfrage einen Aufschlag von 12 Prozent und TransnetBW von 5 Prozent.
Die Bundesnetzagentur scheint die angekündigten Aufschläge für begründet zu halten. Jedenfalls bekundete ein Sprecher der Behörde gegenüber der FAZ (24.9.) viel Verständnis: "Die Bundesnetzagentur hat oft darauf hingewiesen, daß die Kosten der Systemstabilisierung aus dem Ruder laufen, wenn der Netzausbau nicht vorankommt." Sogar die von TenneT geplante Erhöhung um 80 Prozent sei grundsätzlich nachvollziehbar: "Inwieweit die von TenneT angekündigten Steigerungen erforderlich sind, können wir noch nicht abschließend bewerten. Uns liegen im Moment aber keine Anhaltspunkte vor, daß die Steigerungen nicht gerechtfertigt sind."
In der Tat kletterten die Kosten der Systemstabilisierung bereits im vergangenen Jahr in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß: Die Kosten für den sogenannten Redispatch nach § 13 Abs. 1, 1a des Energiewirtschaftsgesetzes, die 2014 noch bei 187 Millionen Euro lagen (151201), explodierten auf 402,5 Millionen Euro. Die Entschädigungen für das "Einspeisemanagement" nach § 14 Abs. 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Verbindung mit § 13 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes (d.h. die Abregelung von EEG-Anlagen), die für das Jahr 2014 mit 82,7 Millionen Euro angegeben wurden (151109), stiegen sogar um fast das Sechsfache auf 478 Millionen Euro. Davon entfielen allein 363 Millionen auf die Entschädigung von Windkraftanlagen. Da diese in aller Regel unterhalb der Transportebene einspeisen, kamen die Kosten des "Einspeisemanagements" zu über neunzig Prozent im Verteilnetz zustande. Nur etwa sieben Prozent entfielen auf das Übertragungsnetz.
Vergleichsweise geringen Umfang hatten dagegen "Anpassungsmaßnahmen" nach § 13 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes, die zur Abregelung konventioneller Kraftwerke führten und für die es grundsätzlich keinen Anspruch auf Entschädigung gibt: Während der Redispatch eine Strommenge von 16.000 und das Einspeisemanagement von 4.722 Gigawattstunden umfaßten, waren von diesen entschädigungslosen Anpassungsmaßnahmen lediglich 26,5 Gigawattstunden betroffen.
Daß die vier Übertragungsnetzbetreiber diesen Kostenanstieg nun in sehr ungleichmäßiger Weise an die Netznutzer weitergeben wollen, liegt an der ungleichmäßigen Verteilung der Entstehung: TenneT verfügt nicht nur über den größten Anteil an Windstromeinspeisung, sondern hat in seinem von der Nordsee bis zu den Alpen reichenden Gebiet auch stark mit Netzengpässen zwischen dem Norden und Süden Deutschlands zu kämpfen. Ähnlich ist die Problematik bei 50Hertz. Die Gebiete von Amprion und TransnetBW sind dagegen deutlich geringer betroffen. Zum Beispiel entfielen 2015 von den Entschädigungen für das "Einspeisemanagement" 74 Prozent auf TenneT und 25 Prozent auf 50Hertz, aber nur 0,5 Prozent auf Amprion und 0,1 Prozent auf TransnetBW.
Wenn die Bundesnetzagentur die geplanten Erhöhungen der Netzentgelte genehmigt, bedeutet das für einen Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von jährlich 3.500 Kilowattstunden im Bereich von TenneT eine jährliche Mehrbelastung von rund 30 Euro. Im Bereich von 50 Hertz sind es rund 15 Euro. In diesen beiden großen Netzbereichen kommt somit auf die Verbraucher eine unverhältnismäßig größere Belastung zu als im übrigen Teil Deutschlands. In Ostdeutschland sind die Netzentgelte aus historischen Gründen sowieso schon besonders hoch. Zum Beispiel betrug dort 2015 das Netzentgelt auf der Übertragungsebene durchschnittlich 2,02 Cent/kWh, während Amprion nur 1,33 Cent/kWh berechnete. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein überschritten die Netzentgelte für Haushaltskunden zu Beginn dieses Jahres bereits die Schwelle von 10 Cent pro Kilowattstunde. Dagegen waren sie in anderen Teilen Deutschlands bis zur Hälfte niedriger (160501). Dabei gibt es keinen vernünftigen Grund, weshalb die Stromkunden der erwähnten drei Bundesländer dafür bluten müssen, daß bei ihnen besonders viele Windkraftanlagen einspeisen. Oder weshalb sie für andere Faktoren wie die notwendige Netzerneuerung nach der "Wende" in Ostdeutschland individuell zur Kasse gebeten werden.
Die bereits bestehenden starken Unterschiede werden nun noch größer. Dies unterstreicht die Forderung, mit der Kleinstaaterei in der Stromlandschaft endlich Schluß zu machen und die Netzentgelte bundesweit anzugleichen (140308). Als erstes könnten die "vermiedenen Netzentgelte" nach § 18 Abs. 1 der Stromnetzentgeltverordnung gestrichen werden. Angeblich sollen sie die dezentrale Stromeinspeisung fördern. Sie waren aber von Anfang nichts anderes als ein über die Netzentgelte finanziertes Zubrot für kleine konventionelle Kraftwerke, die sowieso auf der Verteilnetzebene einspeisen. Eine besondere Augenwischerei stellte die nachträgliche Einbeziehung der EEG-Anlagen dar, die nicht etwa diese förderte, sondern auf eine verkappte Erhöhung der EEG-Umlage über die Netzkosten hinauslief (siehe Hintergrund). Im Rahmen des "Strommarktgesetzes" war ursprünglich beabsichtigt, wenigstens diese Pseudo-Vergütung für neue Anlagen ab 2021 zu streichen. Aber nicht einmal dazu ist es gekommen. Zur Begründung hieß es, im zweiten Halbjahr 2016 werde ohnehin eine umfassende Lösung zur Neuregelung der "vermiedenen Netzentgelte" verabschiedet (160604). Bisher ist davon nichts in Sicht.