April 2016

160402

ENERGIE-CHRONIK


 


Schwere Geburt: Eigentlich sollte die 19-köpfige Atomkommission ihren Abschlußbericht schon Ende Februar vorlegen. Es dauerte aber zwei Monate länger, bis die drei Vorsitzenden Jürgen Trittin, Matthias Platzeck und Ole von Beust (rechts) die einstimmig gefaßten Empfehlungen dem Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, überreichen konnten. Die Bundesregierung war ferner durch die Staatssekretäre Rainer Baake vom Bundeswirtschaftsministerium und Rainer Bomba vom Bundesverkehrsministerium vertreten (links).

Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann

Kommission legt Vorschläge zur Finanzierung der Entsorgung vor

Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK), die von der Bundesregierung am 14. Oktober 2015 eingesetzt wurde (151003), hat am 27. April ihren Abschlußbericht vorgelegt. Sie schlägt darin vor, die Zwischen- und Endlagerung des radioaktiven Abfalls dem Staat zu übertragen, während die KKW-Betreiber weiterhin für Stillegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie andere Aufgaben zuständig bleiben. Damit verbunden ist die Zuweisung entsprechender Gelder aus den vorhandenen bzw. noch zu bildenden Entsorgungs-Rückstellungen der KKW-Betreiber, die nach jüngsten Angaben der Bundesregierung 40,1 Milliarden Euro betragen.

Staat übernähme das Entsorgungsproblem, bekäme dafür aber nur 23,3 Milliarden Euro

Den Finanzbedarf des Staates, der sich aus diesem Vorschlag ergibt, veranschlagt die Kommission mit insgesamt 23,3 Milliarden Euro. Davon sollen 17,2 Milliarden aus den vorhandenen Rückstellungen kommen und in einen neu zu errichtenden öffentlich-rechtlichen Fonds eingebracht werden. Der größte Teil dieser Summe entfällt mit 12,4 Milliarden auf Auswahl, Bau, Betrieb und Stilllegung der nuklearen Endlager. Den Rest von 4,7 Milliarden beanspruchen die Zwischenlagerung, die Herstellung von Endlagergebinden der Abfälle aus der Wiederaufarbeitung sowie die Transporte aus den Zwischenlagern zum Endlager. Zur Gesamtsumme von 23,3 Milliarden kommt noch ein "Risikozuschlag" von 35 Prozent bzw. 6,1 Milliarden Euro. Mit der schrittweisen Zahlung dieses Differenzbetrags würden die Betreiber enthaftet.

Die von der Kommission veranschlagten 23,3 Milliarden Euro sind auf das Kostenniveau vor zwei Jahren bezogen und sollen noch um den Zinssatz von 4,6 Prozent nach oben korrigiert werden, den die KKW-Betreiber bisher ihren eigenen Rückstellungs-Berechnungen zugrunde legten (151004). Aber auch dann würde das Geld wahrscheinlich nicht reichen. Somit müßte der Staat in unbeschränkter Höhe für die Kosten der Zwischen- und Endlagerung aufkommen. Für die KKW-Betreiber wäre dagegen das Entsorgungsproblem mit der Zahlung des "Risikozuschlags" erledigt, obwohl sie es verursacht haben.

Die vier KKW-Betreiber würden lediglich weiterhin für jene Aufgaben haften, die sich auf kürzere Sicht aus der Stillegung ihrer Kernkraftwerke ergeben. Es eröffnet sich ihnen aber auch die Chance zu Kosteneinsparungen, falls die erforderlichen Mittel geringer sind als die verbleibenden bzw. noch zu bildenden Rückstellungen. Das geplante Gesetz zur Nachhaftung (151003) soll so ausgestaltet werden, daß die Rückstellungen transparenter und überprüfbarer werden.

Restlose Beseitigung der Kernkraftwerke soll Pflicht werden

Die Kommission empfiehlt, das Wahlrecht zwischen "sicherem Einschluß" und "Abbau" abzuschaffen, das sich bisher aus § 7 Abs. 3 des Atomgesetzes ergibt. Stattdessen soll der direkte Rückbau bis zur "grünen Wiese" verbindlich vorgeschrieben werden. Ergänzend sollen Bund und Länder dafür Sorge tragen, dass die Stilllegungs- und Rückbaugenehmigungen schneller und effizienter erteilt werden. Ferner empfiehlt sie den KKW-Betreibern, die Klagen zurückzunehmen, die sie im Zusammenhang mit der nuklearen Entsorgung erhoben haben (160302).

BUND befürchtet enorme finanzielle Risiken für Steuerzahler

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisierte den Vorschlag als unzureichend, weil er das Verursacherprinzip aufweiche, "Obwohl gesetzlich klar geregelt ist, daß die AKW-Betreiber die Folgekosten der Atomkraftnutzung tragen, werden sie jetzt aus der umfassenden Haftung entlassen", erklärte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "Der im Gegenzug vereinbarte Risikoaufschlag ist viel zu gering. Die in einen Fonds einzuzahlende Summe von 23,3 Milliarden Euro wird nicht ausreichen, um die Lagerung der strahlenden Atommüllberge zu finanzieren. Auf die Steuerzahler kommen enorme finanzielle Risiken zu."

KKW-Betreiber sehen ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überfordert

Die KKW-Betreiber wiesen dagegen den Vorschlag als nicht akzeptabel zurück. Insbesondere der "Risikozuschlag" überfordere ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Dies könnten sie "schon aus Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern, Kunden und Eigentümern so nicht akzeptieren". Gleichwohl seien sie "weiterhin an einer Organisation und Finanzierung des Kernenergieausstiegs im Konsens interessiert" und würden nun – "vor einer abschließenden Bewertung" – den Bericht zunächst eingehend analysieren.

Deutlich günstiger war die Bewertung an der Börse: Der Kurs der E.ON-Aktie schoß nach der Bekanntgabe des Vorschlags um bis zu zehn Prozent in die Höhe, und auch die RWE-Stammaktie konnte zeitweilig um über sechs Prozent zulegen.

 

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