September 2014 |
140915 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der in Deutschland geplante Ausbau von Wind- und Solaranlagen ist in den kommenden zwanzig Jahren nicht auf neue Stromspeicher angewiesen. Das ist das zentrale Ergebnis der Studie "Stromspeicher in der Energiewende", die von vier Forschungsinstituten im Auftrag der Initiative "Agora Energiewende" erstellt wurde. Der Bundesverband Energiespeicher (BVES) widersprach diesem Befund allerdings umgehend, weil er auf "fehlerhaften Grundannahmen" basiere. Auch die Erneuerbare-Energien-Vereinigung Eurosolar hält die Prämissen der Studie für einseitig.
Der Agora-Studie zufolge läßt sich der Ausgleich der wetterabhängigen Wind- und Solarstromproduktion durch andere Maßnahmen günstiger erreichen als durch den Neubau von speziellen Anlagen zur Stromspeicherung. Dazu gehören eine flexible Fahrweise von fossilen Kraftwerken, aktives Lastmanagement bei industriellen Stromverbrauchern und der Stromhandel mit Nachbarstaaten.
Dieser Befund deckt sich teilweise mit dem der Pumpspeicher-Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium vor vier Wochen veröffentlichte: Demnach bestünde zumindest in den nächsten zehn Jahren kein Bedarf für den Neubau von Pumpspeicherkraftwerken. Erst auf längere Sicht könnten solche Speicher wichtiger oder sogar unverzichtbar werden, um eine Stromversorgung abzupuffern, die dann größtenteils auf der schwankenden Einspeisung von Wind- und Solaranlagen beruht (140804).
"Die Studie der Agora-Energiewende eignet sich nicht als Handlungsempfehlung für die Politik", erklärte Prof. Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Bundesverbands Energiespeicher (BVES). "Die Notwendigkeit der Speicherung von zunehmenden Mengen volatiler Energien wird aufgrund fehlerhafter Grundannahmen, wie z.B. ein engpaßfreies Stromnetz, nicht aufgezeigt."
Außerdem liegen der Agora-Studie nach Ansicht des BVES-Vorsitzenden zweifelhafte Kostenannahmen zugrunde, die zu einer negativen Beurteilung von Energiespeichern führen: "Die Agora-Energiewende vergleicht die sprichwörtlichen Äpfel mit Birnen. In der Studie werden Kosten für konventionelle Kraftwerke, Netzausbau, Demand-Side-Management und andere Möglichkeiten der Flexibilisierung von Stromangebot und -nachfrage nicht oder nicht vollständig eingerechnet. So ist es nicht verwunderlich, daß Speicher im Vergleich als zu teuer und wenig effizient erscheinen."
Die Erneuerbare-Energien-Vereinigung Eurosolar bemängelte ebenfalls, daß die Agora-Studie nicht untersucht habe, wieweit sich durch Stromspeicher ein kostspieliger Netzausbau verhindern läßt: "Die Untersuchung nimmt den massiven Übertragungsnetzausbau als gegeben hin und untersucht nicht die aktuelle Frage, ob die schnelle Markteinführung bereits bestehender Speichertechnologien einen großen Teil des umstrittenen Übertragungsnetzausbaues überflüssig machen würde." In Verkennung dieses Sachverhalts und in unzulässiger Verkürzung der Ergebnisse der Studie hätten einige Medien bereits den Eindruck erweckt, als ob ein massiver Netzausbau Stromspeicher erübrigen würde.
Die jetzt vorgelegte Agora-Studie wurde von den Instituten FENES (OTH Regensburg), IAEW (RWTH Aachen), ef.Ruhr (TU Dortmund) und ISEA (RWTH Aachen) erstellt. Sie untersucht den Speicherzubau in jeweils drei Szenarien, die das voraussichtliche Stromsystem der Jahre 2023 und 2033 sowie bei einem 90-prozentigen Anteil Erneuerbarer Energien abbilden. Sie unterscheidet dabei zwischen Kurzzeitspeichern, bei denen die Ausspeicherung Sekunden bis zu 24 Stunden dauert, und Langzeitspeichern, bei denen die Energie über Tage, Wochen oder Monate bevorratet wird (diese Unterscheidung mutet insofern etwas willkürlich an, als Pumpspeicherkraftwerke oder Strom-zu-Gas-Anlagen sich in beiden Bereichen einsetzen lassen).
Soweit Kurzzeitspeicher für Systemdienstleistungen in Frage kommen, betrachtet die Agora-Studie auch deren Einsatz auf der Verteilnetz-Ebene. Sie stellt fest, daß es hier bereits einige Batteriespeicher gibt, die kosteneffizient eingesetzt werden können (140914). Diese Nischenanwendungen würden jedoch auch langfristig nur ein beschränktes Marktvolumen erreichen. Obwohl die Energiewende in den nächsten zwanzig Jahren ohne neue Stromspeicher auskommen könne, seien Speicher-Technologien in anderen Bereichen auf dem Vormarsch. Vor allem beim Verkehr und in der chemischen Industrie würden sie sich voraussichtlich schon recht bald stark verbreiten. Davon könne dann wiederum das Stromsystem profitieren, weil ihm beispielsweise durch die Batterien in Elektroautos kostengünstig Flexibilität bereitgestellt werde.
Die im Juni 2012 entstandene Initiative "Agora Energiewende" versteht sich als "Denk- und Zukunftslabor" zur Umsetzung der Energiewende. Sie wird finanziell von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation getragen. Ihr Direktor war zunächst Rainer Baake, der nach seinem Wechsel ins Bundeswirtschaftsministerium (131201) von Patrick Graichen abgelöst wurde. Baake ist aber weiterhin Mitglied des Leitungsgremiums "Rat der Agora", dem unter Vorsitz des früheren Bundesumweltministers Klaus Töpfer knapp dreißig weitere Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verbänden angehören (siehe Liste). Zum Beispiel sind die Chefs des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz im "Rat der Agora" vertreten. Die Erneuerbaren werden seit Mai 2013 nur noch von "Windwärts"-Chef Lothar Schulze (140907) repräsentiert, weil der "Photon"-Herausgeber Philippe Welter die Mitgliedschaft "auf eigenen Wunsch" ruhen läßt (und zwar vor dem Hintergrund der Insolvenzen, welche die Photon-Gruppe einschließlich der Solarstrom-Fachzeitschrift erschütterten).
Der im September 2012 gegründete Bundesverband Energiespeicher (BVES) sieht sich als Mittler zwischen Forschung, Industrie und Politik. Der Verband will möglichst alle im Bereich Energiespeicher tätigen Unternehmen als Mitglieder gewinnen. Zu den derzeit knapp hundert Mitgliedern (siehe Liste) gehören auch acht Fraunhofer-Institute, das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg (ZSW) und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Vorsitzender ist der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, Eicke Weber.