Juli 2014

140702

ENERGIE-CHRONIK


 


Zum Anlagenpark der Energieversorgung Gera (EGG) gehört auch ein GuD-Heizkraftwerk, das wie andere Gaskraftwerke unter mangelnder Auslastung leidet. Dadurch sinken die Erträge, die via Querverbund mit defizitären Bereichen verrechnet werden können. Die Insolvenz der Geraer Stadtwerke-Holding und der Verkehrsbetriebe hat aber vor allem hausgemachte Ursachen. Zum Beispiel wurde der 2006 erfolgte Kauf des Heizkraftwerks vollständig über ein Darlehen fremdfinanziert.
Foto: EGG

Insolvenz der Stadtwerke Gera hat vor allem interne Ursachen

Die Stadtwerke Gera haben Ende Juni / Anfang Juli für Teilbereiche des Unternehmens Insolvenz beantragt und damit bundesweit Aufsehen erregt. Vordergründige Ursache ist, daß die Erlöse aus der Energieversorgung nicht mehr ausreichen, um den defizitären Verkehrsbereich zu finanzieren. Insbesondere litt das GuD-Heizkraftwerk Gera-Nord unter der seit 2009 andauernden Talfahrt der Strompreise am Spotmarkt, die auch anderen Betreibern von Gaskraftwerken zu schaffen macht (130702). Eine weitere Belastung war der anhaltende Bevölkerungsschwund in der ehemaligen DDR-Bezirkshauptstadt, der für ein besonders kräftiges Defizit der Verkehrsbetriebe sorgte. Dennoch wurde die bisher beispiellose Pleite vor allem durch hausgemachte Mißwirtschaft verursacht.

Vorstand verausgabte Millionensumme für nutzlose Beratung

Die Unternehmensberatung Roland Berger will herausgefunden haben, daß bei jedem fünften Stadtwerk in Deutschland die Lage noch schlechter sei als in Gera. Vermutlich ließ sie diese Nachricht zwecks Kundenwerbung verbreiten. In Gera waren es aber gerade externe Berater, die keine Lösung herbeiführten, sondern Teil des Problems waren. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young kassierte hier pro Berater und Arbeitstag 2000 Euro. Der Staatsanwaltschaft liegt eine anonyme Anzeige vor, wonach sie den Stadtwerken allein bis zum 29. Januar dieses Jahres 369,45 Manntage zuzüglich Spesen für 1,01 Millionen Euro in Rechnung gestellt hat. Größter Posten war die Unterstützung des Vorstands mit 520.000 Euro, dessen ohnehin üppigen Bezüge in einem argen Mißverhältnis zu Kompetenz und Leistung gestanden zu haben scheinen. Bis zur Insolvenz ist ein weiterer sechsstelliger Betrag aufgelaufen. Die teuer erkauften Ratschläge wurden von Insidern als völlig banal bewertet ("nicht mal Kindergarten, sondern höchstens Krabbelgruppe").

Schon 2008 waren die Stadtwerke nur noch mit Haftungsgarantie der Kommune kreditwürdig

Nach Darstellung der Geraer Oberbürgermeisterin Viola Hahn (parteilos) liegen die Ursachen der aktuellen Probleme bis zu 15 Jahre zurück. "Ähnlich einem Krebsgeschwür, das für die Öffentlichkeit lange Zeit unentdeckt blieb, haben sich im Laufe der Zeit immer weitere Metastasen gebildet." Schon Ende 2007 hätten sich die Verlustausgleichsverbindlichkeiten auf rund 15,3 Millionen Euro belaufen. Ende 2008 habe die Stadt eine Patronatserklärung vorlegen müssen, damit die Stadtwerke überhaupt noch einen Kredit über acht Millionen Euro bekamen, um die Verluste des Geraer Verkehrsbetriebs auszugleichen. Im März 2009 habe sie sogar eine "harte" Patronatserklärung nachschieben müssen. Durch die Überführung der kommunalen Entsorgung in die GUD Geraer Umweltdienste – ein im Oktober 2007 gegründetes Gemeinschaftsunternehmen, an dem der Veolia-Konzern zu 49 Prozent beteiligt ist –, seien den Stadtwerken finanzielle Belastungen in Millionenhöhe entstanden.

Teilprivatisierung der Energieversorgung halbierte von vornherein die Gewinne

Der steuerliche Querverbund habe von Anfang an nicht so funktioniert, wie es offiziell dargestellt wurde. Gewinne aus den Stadtwerke-Töchtern seien nicht nur in der üblichen Weise verwendet worden, um Verluste aus dem Öffentlichen Personennahverkehr auszugleichen, sondern auch zur Finanzierung von "Prestigeprojekten". Der Bereich Energieversorgung habe unter den übermäßigen Gewinnentnahmen derart gelitten, daß zur Finanzierung dringend notwendiger Aufgaben keine Rückstellungen mehr vorhanden waren und notwendige Investitionen zu hundert Prozent fremdfinanziert werden mußten.

Die Gewinne aus dem Bereich Energieversorgung litten auch darunter, daß seit 2002 die Electrabel bzw. die heutige GDF Suez an Vertrieb, Netz und Kraftwerken zu 49,9 Prozent beteiligt ist (011216). Das hatte zur Folge, daß die Hälfte der hier erwirtschafteten Gewinne an den Stadtwerken vorbeifloß.

Zum Schluß sollte die chronische Finanzmisere auf Beschluß des Stadtrats dadurch gelindert werden, daß die Stadt für 30,5 Millionen Euro die Viertelbeteiligung an der Wohnungsbaugesellschaft Elstertal zurückkauft, die sie ihrer Stadtwerke-Tochter 2003 überlassen hat. Das Landesverwaltungsamt versagte aber seine Zustimmung zu einer entsprechenden Kreditaufnahme. Damit war die Insolvenz absehbar.

Insolvenzanträge betreffen nur Holding und Verkehrsbetriebe

Am 27. Juni stellte die Stadtwerke Gera AG Insolvenzantrag beim Amtsgericht. Dabei handelt es sich um die Holding, deren 25 Mitarbeiter ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt sind. Am 3. Juli folgte die Tochtergesellschaft Geraer Verkehrsbetrieb (GVB) GmbH, die drei Straßenbahn- und zwanzig Buslinien betreibt. Die rund 300 GVB-Mitarbeiter erhalten damit ihre Gehälter ab Juli vom Insolvenzverwalter. Der öffentliche Nahverkehr bleibt jedoch bis auf weiteres im bisherigen Umfang aufrechterhalten. Nicht betroffen von der Insolvenz sind bisher die anderen Bereiche der Stadtwerke, insbesondere die Energieversorgung und die Abfallentsorgung, die sowieso zur Hälfte anderen Eigentümern gehören.

Landesregierung will Stadt "nicht hängen lassen", verlangt aber "umfassende Darstellung der Hintergründe"

Am 15. Juli kam es in Erfurt zu einem Gespräch zwischen der Geraer Oberbürgermeisterin Viola Hahn und der Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Weitere Teilnehmer waren der Landesfinanzminister Wolfgang Voß (CDU) sowie der vorläufige Insolvenzverwalter, die Geschäftsführer und die Betriebsräte der betroffenen Stadtwerke-Bereiche. "Wir werden die drittgrößte Thüringer Stadt mit ihren derzeitigen Problemen nicht alleine lassen", erklärte die Ministerpräsidentin anschließend in einer Mitteilung der Staatskanzlei. Sie erwarte jedoch "von den örtlich Zuständigen auch eine Aufklärung der Geschichte der Stadtwerkeinsolvenz und eine umfassende Darstellung der Hintergründe".

In einem Interview mit der "Ostthüringer Zeitung" (19.7.) warf der frühere Landesinnenminister Richard Dewes (SPD) der Landesregierung vor, nicht schon vor der Insolvenz aktiv geworden zu sein. "Die Pleite eines Kommunalkonzerns dieser Größe hätte niemals zugelassen werden dürfen", meinte er. Die Regierung Lieberknecht unterschätze die fatale Außenwirkung der Affäre, die weit über Thüringen hinausgehe.

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