Dezember 2011

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ENERGIE-CHRONIK


Die 2007 einsetzende Finanz- und Wirtschaftskrise führte auch beim Primärenergieverbrauch zu deutlichen Einbrüchen. Der erneute Rückgang 2011 hat dagegen andere Gründe.

Verbrauch an Primärenergie um fünf Prozent gesunken

Der Energieverbrauch in Deutschland wird in diesem Jahr deutlich zurückgehen und voraussichtlich bei 13.411 Petajoule (PJ) beziehungsweise 457,6 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten (Mio. t SKE) liegen. Nach vorläufigen Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AG Energiebilanzen) wäre das ein Rückgang um knapp 5 Prozent. Der Rückgang ist jedoch nicht auf die Wirtschaftslage zurückzuführen, wie in den Jahren 2007 bis 2009, sondern auf die warme Witterung, den Preisanstieg für Heizöl und nicht zuletzt die statistischen Effekte des Atomausstiegs.

Wie die Arbeitsgemeinschaft am 20. Dezember mitteilte, hatte im abgelaufenen Jahr die milde Witterung den größten Einfluß auf die Verbrauchsentwicklung , was den Bedarf an Wärmeenergie deutlich verminderte. Einen weiteren wesentlichen Faktor bildeten die hohen Energiepreise. Ein zusätzlicher statistischer Effekt ergab sich aus dem Rückgang der Kernenergie und dem Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie Kraftwerken mit hoher Effizienz. Bereinigt um Temperatureffekte wäre der Energieverbrauch 2011 nur um ein Prozent gesunken. Dieser Befund relativiert zugleich die Minderung der energiebedingten CO2-Emissionen um mehr als 3 Prozent, denn ohne den Temperatureffekt wäre der CO2-Ausstoß sogar um etwa ein Prozent gestiegen.

Rückläufiger Absatz bei Öl und Gas


Trotz eines leichten Rückgangs stand Mineralöl auch 2011 an der Spitze des deutschen Primärenergieverbrauchs, gefolgt von Kohle und Erdgas (in Klammern die Werte des Vorjahres)
Grafik: AGEB

Wichtigster Energieträger blieb auch 2011 das Mineralöl mit einem Anteil von 33,8 Prozent. Es folgte das Erdgas, dessen Anteil leicht auf 20,6 Prozent zurückging. Die Steinkohle erhöhte ihren Beitrag zum Energiemix auf 12,6 Prozent, und die Braunkohle kam auf einen Anteil von 11,7 Prozent. Die Kernenergie verminderte sich auf 8,8 Prozent. Die Erneuerbaren erhöhten ihren Beitrag zum Energiemix auf 10,8 Prozent. Auf sonstige Energieträger und den Stromaustauschsaldo entfielen 1,7 Prozent.

Der Mineralölverbrauch sank allerdings auf das niedrigste Niveau seit 1990. Mit 4.549 PJ (155,2 Mio. t SKE) verringerte er sich gegenüber dem Vorjahr um 3 Prozent. Zuwächse ergaben sich ausschließlich beim Diesel, dessen Absatz konjunkturbedingt um 2 Prozent anstieg. Otto- und Flugkraftstoffe lagen dagegen leicht im Minus. Besonders stark stockte die Nachfrage nach Heizöl. Der Absatz an leichtem Heizöl lag um 15 Prozent unter dem des Vorjahres und beim schweren Heizöl gab es ein Minus von 3 Prozent. Neben der milden Witterung sorgten insbesondere der kräftige Preisauftrieb im Jahresverlauf für Kaufzurückhaltung bei den Verbrauchern.

Der Erdgasverbrauch blieb 2011 um gut 10 Prozent hinter dem Wert des Vorjahres zurück und erreichte eine Höhe von 2.760 PJ (94,2 Mio. t SKE). Obwohl sich die Konjunktur positiv auf den Gasabsatz auswirkte, sorgten die im Vergleich zum Vorjahr nahezu durchgängig höheren Temperaturen für einen rückläufigen Absatz im Wärmemarkt. Der Einsatz von Erdgas in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung stabilisierte sich im zweiten Halbjahr nach einem deutlichen Rückgang in der ersten Jahreshälfte; insgesamt blieb er unter dem Vorjahresniveau.

Braunkohle profitierte vom Atomausstieg

Beim Verbrauch von Steinkohle gab es 2011 ein leichtes Minus von 0,7 Prozent. Insgesamt wurden 1.685 PJ (57,5 Mio. t SKE) verbraucht. Der Einsatz von Steinkohle in Kraftwerken, auf den mehr als zwei Drittel des Gesamtverbrauchs entfallen, nahm um rund 2 Prozent ab. Die Stahlindustrie hingegen steigerte ihren Bedarf um rund 4 Prozent. Die Lieferungen an den Wärmemarkt waren witterungsbedingt rückläufig.

Der Verbrauch an Braunkohle stieg um knapp 4 Prozent auf 1.568 PJ (53,5 Mio. t SKE). Der Zuwachs spiegelt die vermehrten Lieferungen an die Kraftwerke wider, an die rund 90 Prozent der inländischen Braunkohlegewinnung gehen. Wegen der niedrigen Preise für Emissionszertifikate ist es für die Kraftwerksbetreiber günstiger, zur Deckung der Atomstrom-Lücke Braunkohle statt Steinkohle zu verstromen. Zuwächse gab es auch bei Briketts und anderen Veredlungsprodukten.

Die erneuerbaren Energien legten 2011 insgesamt um 4,1 Prozent zu. Mit einem Beitrag von 1.449 PJ (49,4 Mio. t SKE) steigerten sie ihren Anteil am Energieaufkommen auf knapp 11 Prozent. Besonders stark stiegen die Beiträge der Windkraft (+22 Prozent ) und der Photovoltaik (+67 Prozent). Die Nutzung von Biogas stieg um 21 Prozent. Demgegenüber sanken die Beiträge der Wasserkraft (ohne Pumpspeicher) um 9 Prozent und der Biokraftstoffe um 8 Prozent. Die Photovoltaik leistete 2011 mengenmäßig erstmals einen größeren Beitrag zur Energiebilanz als die Wasserkraft.

Der Stromaustauschsaldo mit den europäischen Nachbarländern wies Ende 2011 noch einen leichten Ausfuhrüberschuß in Höhe von 5 Terawattstunden (TWh) auf. Hinter dieser Entwicklung verbirgt sich eine deutliche Zunahme der Stromimporte, bei gleichzeitiger Abnahme der Stromexporte.

Anteil der Kernenergie ging um 23 Prozent zurück

Der Beitrag der Kernenergie zum deutschen Primärenergieverbrauch wurde 2010 wurde noch mit 1532 Petajoule (PJ) veranschlagt, während es 2011 nur noch 1180 PJ waren. Das ist ein Rückgang um 23 Prozent, der auf die im Frühjahr politisch erzwungene Stillegung von acht Kernkraftwerken zurückzuführen ist. Im selben Verhältnis sank die Stromerzeugung der Kernkraftwerke von 140,5 auf knapp 110 Milliarden Kilowattstunden. Die so entstandene Stromlücke wurde allerdings aus Importen und anderen Quellen geschlossen, so daß sich die Stillegung der Kernkraftwerke nicht auf den Endenergieverbrauch von Strom auswirkte. Dennoch verringerte sich dadurch im Gesamtergebnis der Primärenergieverbrauch. Das liegt daran, daß bei der Umrechnung von Atomstrom in Primärenergie ein besonders ungünstiger Wert herauskommt: Er ist dreimal so hoch wie die tatsächlich erzeugte elektrische Arbeit, die sich wahlweise ebenfalls in Petajoule oder Terawattstunden beziffern läßt (siehe Hintergrund).

Links (intern)

 

 

 

Hintergrund

Die Crux mit dem "Primärenergieverbrauch"

(siehe oben)

Der Primärenergieverbrauch wird zwar exakt in Petajoule oder Tonnen SKE beziffert, ist aber keineswegs so exakt zu ermitteln wie der Stromverbrauch einer Glühlampe oder auch der eines ganzen Landes. Das liegt daran, daß dieser Begriff nicht dem physikalischen, sondern dem technisch-wirtschaftlichen Instrumentarium entstammt. Er ist von derselben Natur wie der Begriff Sekundärenergie, mit dem man die Primärenergie bezeichnet, wenn sie zu Verbrauchszwecken umgewandelt wurde (etwa zu Strom oder Benzin). Nach Abzug der für die Umwandlung verbrauchten Energie spricht man von Endenergie. Und jene Leistung, die mit dieser Endenergie tatsächlich erzielt wird, ist dann die sogenannte Nutzenergie.

Die Primärenergie steht also ganz am Anfang der Verbrauchskette und ist die diffuseste Größe. Sie umfaßt zunächst mal Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas, deren Energieinhalt sich chemisch-physikalisch genau ermitteln läßt. Allerdings nur im Einzelfall. In der Praxis ist etwa der Brennwert von Steinkohle je nach Herkunft durchaus unterschiedlich, so daß sich für die Kategorie Steinkohle nur eine Bandbreite bzw. Durchschnittswerte angeben lassen. Das ist aber noch eine vergleichsweise kleine Unschärfe gegenüber dem Problem, tatsächlich alle verwendeten Brennstoffe zu erfassen. Im Grunde ist das nur bei kommerziell gehandelten Brennstoffen möglich. Die rein private Nutzung von Holz, Biomasse oder organischen Abfällen – in Entwicklungsländern kann das bis zur Hälfte des Energieverbrauchs sein – taucht also gar nicht in den scheinbar so exakten Statistiken auf.

Die Statistik läßt aber nicht nur einen erheblichen Teil des tatsächlichen Primärenergieverbrauchs unberücksichtigt. Sie operiert auch mit fiktiven Brennwerten für Strom, soweit er aus Kernenergie stammt. Für den "Brennstoff" der Kernkraftwerke gibt es eben keinen natürlichen Heizwert. Man hat sich deshalb darauf geeinigt, deren Primärenergieverbrauch aus dem Verhältnis von elektrischer und thermischer Leistung zu ermitteln. Man übernimmt also die Formel zur Feststellung des thermischen Wirkungsgrads von fossil befeuerten Wärmekraftwerken. Für Druck- und Siedewasserreaktoren mit ihren verhältnismäßig niedrigen Arbeitstemperaturen ergibt sich so ein Wirkungsgrad von 33 Prozent. Das ist heutzutage recht wenig und entspricht dem Wirkungsgrad von alten Kohlekraftwerken. Hätte sich dagegen etwa der Hochtemperatur-Reaktor (HTR) durchgesetzt, läge er bei 48 Prozent.

Fiktiv ist auch der Primärenergieverbrauch der erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Wasserkraft). Man nimmt hier der Einfachheit halber einen Wirkungsgrad von hundert Prozent an, so daß eine Kilowattstunde regenerativ erzeugter Strom auch mit einer Kilowattstunde Primärenergie zu Buche schlägt. Genauso wird Strom behandelt, wenn er die Grenze passiert, also ex- oder importiert wird. Auf diese Weise schrumpft dann Atomstrom auf ein Drittel des sonst geltenden fiktiven Primärenergieverbrauchs. Sowohl der Export als auch der Import von Atomstrom entlastet deshalb die Primärenergiebilanz unverhältnismäßig stark.

Der Atomstromanteil des Primärenergieverbrauchs ist somit eine etwas willkürliche, rechnerische Größe, die nicht zusammen mit "echten" Primärenergieverbrauchs-Daten für Kohle, Gas und Öl auf die Goldwaage gelegt werden sollte. Zum Beispiel hat das rohstoffarme Frankreich auf diese Weise einen relativ höheren Verbrauch an Primärenergie als Deutschland, da seine zahlreichen Kernkraftwerke von der Statistik behandelt werden, als ob es Kohlekraftwerke mit dem Wirkungsgrad vor fünfzig Jahren wären. Und in Deutschland ergab sich jetzt durch die politisch erzwungene Stillegung von acht Kernkraftwerken ein solcher Knick in der Kurve des Primärenergieverbrauchs, daß sich die "Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen" veranlaßt sah, ausdrücklich auf den statistischen Effekt des Atomausstiegs aufmerksam zu machen (siehe oben).

Der Atomausstieg schlägt in der Primärenergie-Statistik sogar mehrfach zu Buche. Denn wenn der Strom aus Kernenergie durch solchen aus erneuerbaren Energien ersetzt wird, drückt das die Primärenergie-Bilanz weit stärker, als wenn der Strom nur aus effizienteren Gas- oder Kohlekraftwerken käme. Nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen wäre der statistische Verbrauch an Primärenergie im Jahr 2010 um gut sieben Prozent gesunken, wenn man den Atomstrom – bei sonst gleichbleibendem Stromverbrauch - komplett durch regenerativ erzeugten Strom ersetzt hätte. Beim Ersatz durch Gas- oder Kohlekraftwerke neuester Bauart hätte die rechnerische Einsparung dagegen nur knapp fünf bzw. drei Prozent betragen. Derselbe Effekt wie durch Regenerativstrom entsteht durch Stromimporte, die ja 2011 stark zugenommen haben, um die KKW-Lücke zu schließen – obwohl es sicher größtenteils Atomstrom ist, der da über die Grenzen nach Deutschland fließt.