Juli 2009 |
090704 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Europäische Kommission belegte am 8. Juli E.ON und GDF Suez mit Geldbußen in Höhe von insgesamt 1,106 Milliarden Euro. Die beiden führenden europäischen Energiekonzerne sollen jeweils 553 Millionen Euro für eine Marktabsprache zahlen, die ihre beiden Vorgänger-Unternehmen Ruhrgas und Gaz de France (GDF) 1975 anläßlich des gemeinsamen Baues der Megal-Pipeline durch Süddeutschland getroffen haben. Ruhrgas und GDF hatten damals vereinbart, das über die Megal transportierte russische Erdgas nicht im jeweils anderen Land zu verkaufen. Nach Erkenntnissen der EU-Kommission hielten die Firmen auch nach der Liberalisierung der europäischen Gasmärkte an der Marktabsprache fest und rückten erst 2005 endgültig von ihr ab. Die Ruhrgas AG gehört seit 2003 zum E.ON-Konzern. Die Gaz de France fusionierte vor einem Jahr mit Suez zum Konzern GDF Suez.
Die Megal ("Mitteleuropäische Gasleitungsgesellschaft") ist Teil eines von Rußland nach Frankreich führenden Erdgastransportsystems. Die 461 Kilometer lange Megal Nord wurde 1977 erbaut und führt von Waidhaus an der Grenze zu Tschechien nach Medelsheim an der Grenze zu Frankreich. 1985 wurde sie auf einer Strecke von 449 Kilometer durch eine Parallelleitung ergänzt. Hinzu wurde 1980 die 167 Kilometer lange Megal Süd gebaut, die von Oberkappel an der deutsch-österreichischen Grenze nach Schwandorf führt. Die Leitungen gehören der Megal GmbH, einem 1976 gegründeten Gemeinschaftsunternehmen von Ruhrgas (51 Prozent) und Gaz de France (44 Prozent), an dem auch die österreichische OMV (5 Prozent) beteiligt ist. |
Die Kommission hat damit erstmals eine Kartellstrafe im Energiebereich verhängt. "Durch diese Vereinbarung wurden die Verbraucher in zwei der größten Gasmärkte in der EU um einen stärkeren Preiswettbewerb und eine größere Anbieterauswahl gebracht", sagte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. "Die Aufteilung von Märkten zählt zu den schwerwiegendsten Kartellverstößen." Darum habe die Behörde keine andere Wahl, als hohe Geldbußen zu verhängen. Sie gebe damit den Energieversorgern ein deutliches Signal, daß sie keinerlei wettbewerbswidriges Verhalten dulde.
Die Kommission stützt ihren Bußgeldbescheid auf das Ergebnis einer Razzia in den Geschäftsräumen von E.ON und Gaz de France im Mai 2006 (060503). Aufgrund der dabei sichergestellten Materialien leitete sie eine Untersuchung ein und eröffnete im Juli 2007 das förmliche Verfahren (070710). Im Juni 2008 wurde den beteiligten Parteien eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt.
Als Ruhrgas und Gaz de France 1975 die Marktabsprache im Zusammenhang mit dem Bau der MEGAL-Pipeline trafen, verstießen sie noch nicht gegen die Gesetze. Die Gaz de France hatte damals ein legales Monopol auf den Erdgasimport nach Frankreich, das erst im August 2000 aufgehoben wurde. Das Versorgungsgebiet der Ruhrgas in Deutschland war bis zum Inkrafttreten des neuen Energierechts im April 1998 durch Demarkationsverträge mit anderen deutschen Anbietern vor Wettbewerb geschützt. Strafbar machten sich die Konzerne erst dadurch, daß sie auch nach der Liberalisierung des Energiemarktes an der Marktaufteilung festhielten. Die EU-Kommission will Beweise dafür haben, daß sie die wettbewerbswidrige Absprache bis Ende September 2005 fortgesetzt haben. Die Unternehmen seien zu diesem Zweck regelmäßig zusammengekommen, hätten die Handhabung der Vereinbarung im liberalisierten Markt erörtert und das Geschäftsverhalten der jeweiligen anderen Partei überwacht.
Sowohl E.ON als auch GDF Suez wiesen noch am selben Tag die Brüsseler Vorwürfe zurück und kündigten an, die Milliarden-Buße vor dem Europäischen Gerichtshof anzufechten. "Die Entscheidung und insbesondere das hohe Bußgeld sind nicht nachvollziehbar", erklärte der Vorstandsvorsitzende der E.ON Ruhrgas AG, Bernhard Reutersberg. Die Kommission konstruiere Marktabsprachen, die zwischen den Unternehmen nie stattgefunden hätten, auch nicht im Zeitraum zwischen 2003 und 2005. Zudem ignoriere sie den inzwischen stattfindenden Wettbewerb auf dem europäischen Gasmarkt.
Anscheinend können und wollen die Konzerne nicht leugnen, daß es 1975 zu der Marktabsprache gekommen war. Sie wollen aber bestreiten, daß sie das Kartell fortgeführt haben, nachdem es illegal geworden war. Zumindest möchten sie den Anschein erwecken, als ob das Festhalten an der Marktabsprache in der Praxis keine oder keine große Rolle mehr gespielt habe.
Unabhängig von dem jetzt ergangenen Bußgeldbescheid wegen der Marktabsprache mit E.ON betreibt die EU-Kommission ein zweites Verfahren gegen GDF Suez, das sie im Mai 2008 eingeleitet hat, weil der französischen Gasmonopolist GDF seine Marktmacht innerhalb Frankreichs zur Ausschaltung von Wettbewerb mißbraucht hat. Und zwar soll GDF den Großteil der Gasimportkapazität Frankreichs langfristig gebucht und dadurch den Zugang zum französischen Gasmarkt für andere potenzielle Gaslieferanten weitgehend blockiert haben. Entsprechende Erkenntnisse gewann die Kommission ebenfalls bei der Razzia im Mai 2006.
Um die Einstellung des Verfahrens zu erreichen, hat GDF Suez der Kommission angeboten, die langfristigen Buchungen von Gasimportkapazitäten in Frankreich umfassend und strukturell zu reduzieren. Eine Zusammenfassung der vorgeschlagenen Verpflichtungszusagen wurde im Amtsblatt der EU vom 9. Juli 2009 veröffentlicht. Die Kommission hat die Verpflichtungszusagen in enger Zusammenarbeit mit der französischen Regulierungsbehörde geprüft und interessierte Dritte aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten nach der Veröffentlichung im Amtsblatt Stellung zu nehmen. Sollte der Markttest zur Zufriedenheit der Kommission ausfallen, kann sie – wie zuvor schon in den ähnlich gelagerten Fällen von E.ON (081101) und RWE (090304) – die Verpflichtungszusagen für bindend erklären.
Am 16. Juni verhängte die Kommission außerdem eine Geldbuße von
20 Millionen Euro gegen die GDF Suez-Tochter Electrabel, weil diese die Kontrolle
über die Compagnie Nationale du Rhône (CNR) ohne Genehmigung der Kommission
erworben hatte. Nach der EU-Fusionskontrollverordnung müssen Zusammenschlüsse
mit europaweiter Bedeutung vor ihrem Vollzug in Brüssel angemeldet werden, damit
die Kommission untersuchen kann, ob dadurch der Wettbewerb im Europäischen Wirtschaftsraum
(EWR) oder einem wesentlichen Teil davon beeinträchtigt würde. Die Electrabel
hatte zwar den Erwerb von CNR am 26. März 2008 bei der Kommission angemeldet
und am 29. April 2008 gemäß der EU-Fusionskontrollverordnung die Freigabe
erhalten. Die Kommission ermittelte jedoch, dass Electrabel bereits im Dezember 2003
de facto die alleinige Kontrolle über CNR erworben hatte und damit schon mehr
als vier Jahre vor der Anmeldung das Unternehmen beherrschte.