März 2009 |
090313 |
ENERGIE-CHRONIK |
RWE und Vattenfall dürfen nicht aus dem Reststrom-Kontingent für Mülheim-Kärlich schöpfen, um die Laufzeiten ihrer Kernkraftwerke Biblis A (070303) und Brunsbüttel (070608) zu verlängern. Die Unvereinbarkeit dieses Vorhabens mit dem Atomgesetz, die vor einem Jahr bereits von den Oberverwaltungsgerichten in Hessen und Schleswig-Holstein festgestellt wurde (080205), hat am 26. März auch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
Die beiden Kernkraftwerksbetreiber hatten bezweifelt, daß § 7 Abs. 1d in Verbindung mit Anlage 3 des Atomgesetzes die Übertragung der fiktiven Reststrommengen für das abgeschaltete Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich lediglich auf die dort aufgeführten Kernkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf, Gundremmingen B und C sowie Biblis B zulasse. Rechtlich stand diese Position von Anfang an auf so schwachen Füßen, daß die Juristen der beiden Konzerne eigentlich nicht ernsthaft glauben konnten, damit Erfolg zu haben. Möglicherweise waren es deshalb taktische Überlegungen anderer Art, die sie zu einer Art juristischem Schattenboxen veranlaßten.
Das Bundesverwaltungsgericht hält zwar die Sonderregelung für Mülheim-Kärlich in § 7 Abs. 1d des Atomgesetzes für "sprachlich verunglückt" (was sich von etlichen anderen Passagen in jüngst verabschiedeten Gesetzen ebenfalls sagen ließe). Es sieht aber keinen Anlaß, am Willen des Gesetzgebers zu zweifeln, die Übertragungsmöglichkeiten aus dem Kontingent für Mülheim-Kärlich exklusiv zu regeln. Die Sonderregelung sei "nach Sinn und Zweck und der Gesetzessystematik dahingehend auszulegen, daß die Reststrommenge des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich nur auf die in der amtlichen Anmerkung in Anlage 3 des Atomgesetzes ausdrücklich genannten Kernkraftwerke, zu denen Biblis A und Brunsbüttel nicht gehören, übertragen werden kann". Eine weitergehende Auslegung im Sinne der Kläger sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Die Revision gegen die Entscheidungen der beiden Oberverwaltungsgerichte war deshalb abzulehnen (BVerwG 7 C 8.08 und 7 C 12.08)
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte das Urteil. Er verwies darauf, daß die Kernkraftwerksbetreiber noch in drei weiteren Fällen mittels verwaltungsgerichtlicher Klagen das Ziel verfolgen, eine Laufzeitverlängerung ihrer ältesten Atomkraftwerke durch Übertragung von jüngeren Anlagen zu erreichen. Es handelt sich dabei um die Anträge von RWE zur Übertragung von Emsland auf Biblis A, von EnBW zur Übertragung von Neckarwestheim 2 auf Neckarwestheim 1 und von Vattenfall zur Übertragung von Krümmel auf Brunsbüttel. In allen drei Fällen wäre nach § 7 Abs. 1b des Atomgesetzes die Übertragung nur dann zulässig, wenn das Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium zustimmt. Die Anträge von RWE und EnBW hat Gabriel bereits im April bzw. Juni 2008 abgelehnt, weil ein Sicherheitsvergleich beider Anlagen jeweils ergeben habe, daß das ältere Atomkraftwerk über weniger Sicherheitsreserven verfügt als das jüngere (080401, 080604). Über den Vattenfall-Antrag hat das Bundesumweltministerium noch nicht entschieden.
In der Praxis haben sich die Kernkraftwerksbetreiber längst darauf eingerichtet, in dieser Legislaturperiode keine Laufzeitverlängerung zu erreichen. Die Altanlagen Biblis A, Neckarwestheim 1, Biblis B und Brunsbüttel, die normalerweise noch vor den Bundestagswahlen hätten abgeschaltet werden müssen, wurden mittels außerplanmäßiger Stillstände so sparsam genutzt, daß ihnen noch immer Reststrommengen zustehen. Und nach den Bundestagswahlen – so hoffen die Kernkraftwerksbetreiber – wird eine Regierung aus Union und FDP ohnehin für den Weiterbetrieb sämtlicher Anlagen sorgen. Vor allem in der FDP haben die vier Atomstromerzeuger einen eifrigen Fürsprecher, und es ist zu vermuten, daß sie sich dafür auch finanziell wieder so erkenntlich zeigen wie dies nach Angaben des ehemaligen FDP-Bundesgeschäftsführers Goergen schon früher der Fall war.
Der Bundestag lehnte am 19. März mit der Mehrheit der großen Koalition und der FDP einen von der Linksfraktion unterstützten Antrag der Grünen ab, alte Atomkraftwerke wie Biblis oder Krümmel "umgehend vorläufig stillzulegen, wenn die Prüfungen Sicherheitsdefizite erkennbar machen". Ebenfalls abgelehnt wurde ein weiterer Antrag der Grünen, "besonders terroranfällige Atomreaktoren" abzuschalten.
Daß beide Anträge mit den Stimmen der SPD abgelehnt wurden, ist nicht ohne Pikanterie, da die Partei im Entwurf ihres Wahlprogramms recht ähnliche Forderungen erhebt: Berichten zufolge will sie bis 2013 alle alten Reaktoren vom Netz nehmen, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen und schlechter gegen Terrorangriffe geschützt sind als neue Anlagen. Der Programmentwurf soll Mitte April vorgelegt werden.