Oktober 2008 |
081010 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach mehr als vierjährigen Verhandlungen mit wechselnden Forderungen und Zugeständnissen hat die russische Gazprom sich bereit erklärt, den E.ON-Konzern am sibirischen Gasfeld Juschno Russkoje zu beteiligen, wenn er ihr dafür knapp drei Prozent ihrer eigenen Aktien überläßt. Am 2. Oktober unterzeichneten die beiden Vorstandsvorsitzenden Wulf Bernotat und Alexej Miller in Sankt Petersburg eine entsprechende Vereinbarung. Die Zeremonie fand im Beisein des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel statt, die sich zu Regierungsgesprächen in Sankt Petersburg aufhielten.
E.ON wird demnach – wie von Anfang an vorgesehen – mit 25 Prozent minus einer Aktie am sibirischen Gasfeld Juschno Russkoje beteiligt. Im Gegenzug erhält Gazprom nun jedoch keine Beteiligungen an E.ON-Unternehmen, sondern 2,93 Prozent eigene Aktien, die derzeit einen Börsenwert von rund vier Milliarden Euro darstellen.
Bei dem Aktienpaket, das jetzt den Besitzer wechseln soll, handelt es sich um die indirekte Beteiligung an Gazprom, die E.ON bisher über das Gemeinschaftsunternehmen ZAO Gerosgaz hält. Dieses Unternehmen war 1999 gegründet worden, um der Ruhrgas eine weitere Aufstockung ihrer Beteiligung bei gleichzeitiger Kontrolle durch Gazprom zu ermöglichen. E.ON besitzt deshalb nur 49 Prozent an dem Joint Venture. Die übrigen 51 Prozent gehören der Gazprom-Außenhandelstochter VEP Gazexport.
Bisher gehören E.ON insgesamt knapp 6,5 Prozent der Gazprom-Aktien. Davon sind 3,5 Prozent direkte Beteiligungen und 2,93 Prozent durchgerechnete Anteile über die ZAO Gerosgaz. Im wesentlichen stammen diese Beteiligungen aus der Zeit, als die Ruhrgas AG noch ein selbständiges Unternehmen war und sich vom Einstieg bei ihrem Hauptlieferanten strategische Vorteile erhoffte. Eine erste Beteiligung in Höhe von 2,5 Prozent erwarb sie im Dezember 1998. Ein halbes Jahr später erhöhte sie diese direkte Beteiligung auf 3,5 Prozent. Zugleich bekam sie über die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens ZAO Gerosgaz erstmals eine indirekte Beteiligung von 0,5 Prozent, die später bis zur heutigen Höhe von 2,93 Prozent aufgestockt wurde.
Aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung darf die Ruhrgas AG bzw. E.ON Ruhrgas AG seit dem Jahr 2000 einen der elf Direktoren stellen, die bei Gazprom die Funktion eines Aufsichtsrats haben. Einen wirklichen Einfluß auf die Geschäftspolitik hat sie damit aber nicht, zumal die wichtigsten Entscheidungen ohnehin der Kreml trifft. Im Grunde ist deshalb von dem ursprünglich strategisch motivierten Einstieg der Ruhrgas AG nur noch eine Finanzbeteiligung übrig geblieben. Die indirekten Anteile an Gazprom über die ZAO Gerosgaz sind dabei für E.ON von geringerem Wert als die direkte Beteiligung, da sie nicht frei verkauft werden können.
Der strategische Wert der jetzt vereinbarten Beteiligung am Erdgasfeld Juschno Russkoje wird sich ebenfalls erst noch herausstellen müssen. Fachleute verweisen auf die besonderen Rahmenbedingungen. So könne der E.ON-Konzern über seinen Feldanteil nicht frei verfügen, sondern müsse das Gas an an die Gazprom verkaufen, der auch die Betriebsführung obliegt. Finanziell sei die Beteiligung an Juschno Russkoje für E.ON aber sicher von Vorteil, da sie eine Dividende von bis zu 400 Millionen Euro jährlich erwarten lasse. Die Gazprom-Beteiligung, die E.ON im Tausch dafür abgibt, habe dagegen 2007 nur eine Dividende von 49 Millionen Euro erbracht.
Juschno Russkoje verfügt über Reserven von mehr als 600 Milliarden Kubikmetern Erdgas und zählt damit zu den größten Gasfeldern der Welt. Eigentümer der Förderlizenz und gleichzeitig Betreiber ist die OAO Severneftegazprom (SNGP), die künftig zu knapp 51 Prozent Gazprom und zu jeweils 25 Prozent minus einer Aktie E.ON Ruhrgas und BASF-Wintershall gehört. Die Produktion wurde im vergangenen Jahr aufgenommen und soll im kommenden Jahr rund 25 Milliarden Kubikmeter Erdgas betragen.
Schon im Juli 2004 hatten E.ON und Gazprom eine Absichtserklärung über die weitere Vertiefung ihrer Zusammenarbeit unterzeichnet, die auch die gemeinsame Ausbeutung von Juschno Russkoje umfaßte (040808). Der deutsche Energiekonzern verlor dann aber die Rolle des privilegierten Partners bei diesem Projekt, weil er sich der von Gazprom verlangten Beteiligung an E.ON Ruhrgas widersetzte. Stattdessen schloß Gazprom im April 2005 eine Vereinbarung mit dem Chemiekonzern BASF und dessen Gastochter Wintershall (050404), die ein Jahr später bindend gemacht wurde und der Gazprom mit Hilfe der BASF den Weg in den westeuropäischen Markt ebnete (060403).
Nachdem sie die BASF als Geschäftspartner gewonnen hatte, verhandelt die Gazprom weiter mit E.ON, wobei sie nun Beteiligungen an Tochterunternehmen forderte (060313). Im Juli 2006 kam es zu einem Rahmenvertrag, in dem E.ON der Gazprom eine Beteiligung an den ungarischen Gas- und Stromtöchtern von E.ON sowie die Kooperation bei "ausgewählten Gaskraftwerksprojekten in Europa" zusicherte (060703).
Dieser Rahmenvertrag blieb aber ebenfalls Papier. Stattdessen überraschten beide Seiten im Dezember 2007 mit der Ankündigung, E.ON werde der Gazprom als Gegenleistung für die Beteiligung am Erdgasfeld Juschno Russkoje bedeutende Geschäftsanteile am westeuropäischen Markt überlassen werde. Man sei sich nur noch nicht über die detaillierte Bewertung der in Frage kommenden Objekte einig, zu denen Kraftwerke in verschiedenen west- und zentraleuropäischen Ländern sowie unterirdische Erdgasspeicher gehörten (071209).
Unterdessen nahmen Gazprom und BASF das Erdgasfeld Juschno Russkoje offiziell in
Betrieb: Mit einem symbolischen Knopfdruck in der Moskauer Gazprom-Zentrale starteten
Gazprom-Chef Alexej B. Miller und der stellvertretende BASF-Vorstandsvorsitzende Eggert
Voscherau am 18. Dezember 2007 die Förderung in Sibirien (071209).